Nobelpreis für Simulation chemischer Prozesse
Der Nobelpreis für Chemie geht dieses Jahr an Martin Karplus, Michael Levitt und Arieh Warshel für ihre Arbeiten zur Modellierung komplexer chemischer Prozesse. Solche Computermodelle werden zum Beispiel gebraucht, um neue Medikamente zu entwickeln.
Wer kennt sie nicht noch aus dem Chemieunterricht, die Molekülmodelle aus farbigen Kugeln und St?ben, die die Elemente und chemische Verbindungen darstellen sollten? Nicht nur sind diese Modelle starr, sie sind auch extrem eingeschr?nkt, was die Gr?sse und Komplexit?t des Moleküls angeht. Die Bewegung von Atomen und die einzelnen Schritte einer chemischen Reaktion blieben den Augen der Forschenden lange Zeit verborgen. Doch dann hielten in der Chemie der Computer und mit ihm die M?glichkeit Einzug, Moleküle und chemische Prozesse mit Simulationen realistisch nachzubilden und im Detail zu studieren.
Die Entwicklung solch biomolekularer Simulationen würdigte das Nobelkomitee heute in Stockholm: Martin Karplus (Harvard University), Michael Levitt (Stanford University) und Arieh Warshel (University of Southern California, Los Angeles) erhalten den Nobelpreis für Chemie für ihre Arbeiten zu biomolekularer Modellierung. Indem sie quantenmechanische Simulationen mit klassisch Newtonschen Simulationstechniken zusammenführten und somit vereinfachten, erm?glichten sie die Modellierung auch hoch komplexer Biomoleküle, wie zum Beispiel Proteinen. Diese Computermodelle haben die Erforschung molekularer Prozesse revolutioniert.
Startschuss mit Protein aus 58 Teilchen
?Warshel, Levitt und Karplus haben die Entwicklung der biomolekularen Simulation stark gepr?gt?, sagt Wilfred van Gunsteren, Professor emeritus für Informatikgestützte Chemie an der ETH Zürich. Seinen Anfang nahm das Forschungsfeld bei einem Workshop im Jahr 1976 in Paris, kurz nach zwei entscheidenden Publikationen der drei nun gekürten Forscher. Bei diesem Workshop wurde zum ersten Mal ein Protein am Computer simuliert, erinnert sich van Gunsteren.
Dieses erste in silico-Protein war zwar noch sehr einfach aufgebaut, bestand es doch nur aus 58 Teilchen, sogenannten Aminos?uren. Seither hat das Feld aber riesige Fortschritte erzielt. 1996 ver?ffentlichten van Gunsteren und seine Kollegen ein Modell der HIV-Protease, eines Enzyms aus dem HI-Virus, welcher die Krankheit AIDS verursacht, mit 21‘000 Atomen. Dank neuer Algorithmen werden Computermodelle chemischer Interaktionen und Prozesse auch heute laufend verbessert. Inzwischen bilden solche Modelle Moleküle mit über 100‘000 Atomen ab.
Design neuer Wirkstoffe im Computermodell
?Fast jede Proteinstruktur, die wir kennen, ist mithilfe von Computersimulationen entschlüsselt worden?, erkl?rt van Gunsteren. Die Kenntnis dieser Strukturen erlaubt es Forschenden beispielsweise, neue Medikamente zu entwickeln. Auch hierbei kommen Computermodelle zum Einsatz, mithilfe derer Wissenschaftler Moleküle designen, die lebenswichtige Prozesse in einem Krankheitserreger hemmen und ihn somit unsch?dlich machen sollen. Dank solcher Modellierungen gelang es in den 1990er Jahren, eine neue Generation von Medikamenten gegen das HI-Virus zu entwickeln, welche die ?berlebenschancen von AIDS-Patienten entscheidend verbesserten.
?Im Experiment sind wir sehr limitiert, was wir zu sehen bekommen?, erkl?rt Peter Chen, Professor für Physikalisch-Organische Chemie an der ETH Zürich. ?Computersimulationen erlauben es dagegen, jeden gewünschten Aspekt eines Prozesses bis ins kleinste Detail zu studieren.? W?hrend seiner Assistenzprofessur in Harvard Anfang der 1990er Jahre lernte Chen Karplus kennen und erinnert sich, dass dieser grosse Freude an seiner Forschung hatte. ?Es ist ein Segen, das zu lieben, was man tut, und Karplus schien dies immer zu tun.?
?Obwohl unz?hlige Forschende zur Modellierung chemischer Prozesse beigetragen haben, stehen Karplus, Warshel und Levitt am Anfang dieser Entwicklung und haben das Feld w?hrend mehr als drei Jahrzehnten entscheidend vorangetrieben?, sagt van Gunsteren, ?der Nobelpreis ist deshalb sehr verdient.?