Bluttest für Asbest-Lungenkrebs
Ein internationales Forschungsteam erstellte für den von Asbestfasern ausgelösten Lungenkrebs mit einer neuen Technologie eine Proteinsignatur, die aufzeigt wie diese Krankheit künftig frühzeitig erkannt werden könnte.
Asbest ist eine Zeitbombe. Feinste Fasern dieses Materials dringen tief in die Lungen ein und k?nnen eine schwere, in der Regel t?dlich verlaufende Form von Lungenkrebs, das Mesotheliom, ausl?sen. Zwischen der Kontamination mit Asbest und dem Ausbruch der Krankheit k?nnen jedoch mehrere Jahrzehnte verstreichen. In dieser langen Zeit bleibt das sp?tere Leiden oft unentdeckt, und mit den heutigen Nachweismethoden gelingt es der Medizin erst in einem Sp?tstadium, ein Mesotheliom zu diagnostizieren. Dementsprechend schlecht sind die Aussichten für Betroffene.
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Bernd Wollscheid, Gruppenleiter am Institut für Molekulare Systembiologie, hat nun einen neuen Weg für die nichtinvasive Diagnose von Mesothelioma entwickelt. Dieser Ansatz k?nnte es künftig erm?glichen, diese Krebsart anhand einer Blutprobe frühzeitig zu erkennen. Die Resultate ihrer Studie haben die Forscherinnen und Forscher soeben in der Fachzeitschrift ?Clinical Proteomics? publiziert.
Ein Satz von m?glichen Biomarkern
Bis anhin wurde meist einzig das Protein Mesothelin als Biomarker zur Erkennung dieses Krebses genutzt. Dieses ist allerdings wenig spezifisch, denn auch andere Krebsarten produzieren es in oft grosser Menge. Das mindert dessen diagnostischen Wert.
Das Forschungsteam identifizierte nun sechs weitere Moleküle, die als Signatur für das Vorliegen eines Mesothelioms in Frage kommen. Dabei handelt es sich um Glykoproteine – mit Zuckermolekülen ver?nderte Eiweisse. Sie kommen auf der Oberfl?che der Krebszellen vor, von wo sie aber auch in die Blutzirkulation gelangen k?nnen.
M?chtige Messmethode
Die richtigen, ein Mesotheliom anzeigende Glykoproteine zu finden, war mehr als die buchst?bliche Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen, denn im Blutserum sind sehr viele verschiedene Proteinarten vorhanden. Der Erstautor der Studie, der Mediziner Ferdinando Cerciello, untersuchte und bestimmte deshalb zuerst anhand von Modellzelllinien Hunderte von verschiedenen Oberfl?chenproteinen, die potenziell auch im Blut vorhanden sein k?nnen.
In einem zweiten Schritt musste er diese Auswahl eingrenzen und die Biomarker-Kandidaten im Serum von Mesotheliom-Patienten best?tigen. Um diese Kandidaten aus dem Meer von Proteinen herausfischen zu k?nnen, entwickelte Cerciello einen Testansatz, der auf dem sogenannten Selected Reaction Monitoring (SRM) beruht. Dies ist eine ?usserst pr?zise und quantitative Proteinmessmethode, die an der ETH Zürich von der Gruppe von Ruedi Aebersold, Professor für Molekulare Systembiologie, w?hrend den vergangenen fünf Jahren für die Proteinforschung weiterentwickelt wurde.
Beim SRM wird ein Massenspektrometer vor der Messung mit den spezifischen Daten von hypothetisch anzutreffenden Peptiden, also den Proteinbruchstücken der untersuchten Oberfl?chenproteine der Krebszellen, programmiert. Das Ger?t sucht dann in einer biologischen Probe – in diesem Fall im Blutserum – nach diesen Proteinen.
Dadurch gelang es den Forschenden, ohne die bislang notwendigen Antik?rper und mithilfe ihrer Krebsmodell-Zelllinien 51 Biomarker-Kandidaten zu identifizieren und quantitativ zu untersuchen. Der statistischen Validierung mit Patientenproben und gesunden Probanden hielten schliesslich noch sechs dieser Oberfl?chen-Glykoproteine stand.
Viele weitere Messungen n?tig
Noch gibt sich Studienleiter Bernd Wollscheid vorsichtig: Um die bei 200 Patienten gefundene Proteinsignatur wirklich als diagnostisches Werkzeug brauchen zu k?nnen, seien weitere Messungen an einer gr?sseren Zahl von Patienten und Kontrollgruppen n?tig. Obwohl die Proteinsignatur zwischen den an Mesothelioma erkrankten Menschen und Gesunden unterscheiden kann, ist derzeit noch offen, ob sie andere Lungenkrankheiten wie etwa chronische Infektionen ausschliesst.
?Um unser potenzielles Biomarker-Panel zu festigen und die Zulassung der Beh?rden zu erhalten, müssten wir unter anderem einige Tausend Patienten durchtesten?, gibt er zu bedenken, ?eine solche Aufgabe liegt momentan aber ausserhalb unseres entwicklungstechnischen Fokus‘ und Budgets.? Der Forscher rechnet deshalb nicht damit, dass die gefundenen Glykoproteine schon bald zur Diagnose des gef?hrlichen Lungenkrebses in der Klinik eingesetzt werden k?nnen.
Die Entwicklung von brauchbaren Biomarkern verz?gere sich bisher unter anderem wegen der zu geringen Zahl von geeignetem Proben, die darüber hinaus zu kurze Zeitspannen abdecken. ?Um marktf?hige Biomarker entwickeln zu k?nnen, brauchen wir beispielsweise spezielle Biobanken, in denen Patientenproben aus langen Zeitreihen vor und nach Diagnose einer Krankheit gesammelt und für Forschungszwecke aufbewahrt werden k?nnen?, sagt der Biochemiker.
Verbund Hochschulmedizin wird wirksam
Weiter braucht es aber auch eine enge Verzahnung der verschiedenen Fachbereiche und Institutionen, um Projekte wie die Mesotheliom-Früherkennung zum Erfolg zu führen. Besonders wichtig sind dabei Schnittstellen zwischen Klinik und Grundlagenforschung. Für Wollscheid ist deshalb der Verbund Hochschulmedizin Zürich ein Schritt in die richtige Richtung. ?Dank dieses Verbunds entsteht auf dem Platz Zürich nun die für solche Forschungsvorhaben passende Struktur?, sagt der ETH-Forscher.
Am Projekt Mesotheliom-Früherkennung arbeiteten Systembiologen der ETH Zürich, Onkologen des Universit?tsspitals Zürich und Biostatistiker der Purdue Universit?t in den USA eng zusammen. Die Forschung an solchen komplexen Themen sei nur zu bewerkstelligen, wenn alle Beteiligten in neuen, die Grenzen der Institutionen überwindenden Strukturen an einem Strick ziehen.
Literaturhinweis
Cerciello et al. Identification of a seven glycopeptide signature for malignant pleural mesothelioma in human serum by selected reaction monitoring. Clinical Proteomics 2013, 10:16 DOI: externe Seite 10.1186/1559-0275-10-16