Schwammbakterien als Chemikalienfabrik
Die meisten bioaktiven Substanzen, die der Steinschwamm Theonella swinhoei absondert, werden nicht von ihm selbst, sondern von in ihm lebenden Bakterien hergestellt. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von ETH-Professor J?rn Piel hat diese Naturstoffe, die dazu geh?renden Gene und den Bakterienstamm nun beschrieben.
Schw?mme sind eigenartige Lebewesen: Sie sind wirbellose Tiere, die in Symbiose mit bisweilen hunderten von verschiedenen Bakterienarten leben; ?hnlich wie Flechten, die eine Lebensgemeinschaft aus Algen und Pilzen sind. ?Einfach gesagt sind viele Schw?mme Bakterienklumpen, in denen einige Schwammzellen vorkommen?, sagt J?rn Piel, Professor für Mikrobiologie an der ETH Zürich.
Und viele Schw?mme haben es in sich: Die in ihnen enthaltenen Bakterien produzieren zahlreiche, teilweise toxische Naturstoffe, die interessante Kandidaten für einen medizinischen Einsatz sein k?nnten. Eine besonders reichhaltige und gut erforschte Quelle von solchen Naturstoffen ist der Steinschwamm Theonella swinhoei. Von ihm gibt es verschiedene Chemotypen, also Individuen der gleichen Art, die unterschiedliche Stoffwechselprodukte enthalten. Aus der gelben Variante, Theonella swinhoei Y, die in den Gew?ssern rund um die Insel Hachijo an der Ostküste Japans vorkommt, konnten bis anhin über 40 verschiedene bioaktive Substanzen – mehrheitlich Polyketide oder Peptide – isoliert werden. Welches Bakterium des Schwamms diese Stoffe produziert, war bis anhin aber nicht bekannt.
Nun hat ein Team von Forschern mehrerer Hochschulen aus Deutschland, Japan, den USA und der Schweiz unter der Leitung von J?rn Piel den Urheber dieser Substanzen ausfindig machen k?nnen: ein Bakterium der Gattung Entotheonella. In einer Studie, die soeben in ?Nature? ver?ffentlicht wurde, beschreiben die Wissenschaftler Entotheonella-Bakterien zudem als Vertreter einer neuen übergeordneten systematischen Einheit (Phylum) innerhalb des Reichs der Bakterien, für die der Name Tectomicrobia gew?hlt wurde.
Schwamm zentrifugieren
Um den Substanzproduzenten zu finden, mussten die Forschenden im Meer gesammelte Schw?mme in ihre Einzelteile auftrennen und einzelne Zellen untersuchen. Nachdem sie die Bestandteile des Schwamms zentrifugiert hatten, fiel den Wissenschaftlern unter dem Mikroskop eine f?dige Bakterienkolonie auf, die – nachdem sie sie mit UV-Licht beleuchteten – fluoreszierte. Eine n?here Untersuchung brachte zwei nahe verwandte Entotheonella-Bakterienarten ans Licht, die den Schwamm als f?dige Kolonie besiedeln. Die Zuordnung der bioaktiven Substanzen zum Genom der beiden Bakterien sprach schliesslich dafür, dass nur einer der beiden Mikroorganismen die aus dem Schwamm gewonnen Naturstoffe herstellt.
Mit ihrem chemisch vielf?ltigen Stoffwechsel geh?ren die Entotheonella-Bakterien zu den sogenannten ?talented producers?. Dazu z?hlen nur wenige Mikroorganismengruppen, etwa Actinomyceten oder Bacillus, die in der Lage sind, medizinisch interessante Stoffwechselprodukte herzustellen. Alle bisher isolierten bakteriellen Wirkstoffe wurden aus St?mmen gewonnen, die sich im Labor vermehren lassen. Entotheonella sind die ersten talentierten Produzenten, die bisher nicht kultiviert werden k?nnen. Nicht kultivierbare Bakterien machen den weitaus gr?ssten Anteil aller Bakterien aus und sind bisher kaum erforscht. Derzeitige Forschungsarbeiten zielen darauf ab, mit den aus der Studie gewonnenen Erkenntnissen die Wirkstoffproduzenten aus Schw?mmen in Reinkultur zu bringen.
Bakterien kultivieren statt Schw?mme sammeln
Die interessanten Substanzen aus Schw?mmen zu isolieren, w?re zwar m?glich, ist aber nicht nachhaltig, weil es für die Anreicherung der Wirkstoffe grosse Mengen des Schwamms braucht. Die Substanzen sollen deshalb im Labor hergestellt werden, entweder über die Kultivierung entsprechender Bakterienst?mme oder über die Synthese im Reagenzglas. In verschiedenen L?ndern ist bereits ein Krebsmedikament auf dem Markt, das auf einem Schwamm-Wirkstoff basiert. ?Um den Wirkstoff synthetisch herzustellen, sind allerdings über 60 Arbeitsschritte n?tig?, sagt Piel und betont damit die Komplexit?t des Unterfangens.
Eine andere M?glichkeit sieht der ETH-Professor darin, die Gene, die die Wirkstoffproduktion codieren, in einen Organismus zu transferieren, der einfach zu kultivieren ist und dann die gewünschte Substanz (oder einen Vorl?ufer) in ausreichender Menge produziert. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg.
Literaturhinweis
Wilson MC et al. An environmental bacterial taxon with a large and distinct metabolic repertoire. Nature, Online-Publikation 29. Januar 2014. DOI: externe Seite 10.1038/nature12959