Der Fingerabdruck des Musizierens

Darüber wie Mensch und Musikinstrument zusammenspielen, gibt es bislang wenige Daten. ETH-Forschende untersuchen dieses Zusammenspiel nun mit Hilfe von Sensoren. Ihre Messdaten könnten helfen, das Üben effizienter und interessanter zu gestalten und typische Musikerleiden wie Schmerzen aufgrund von Fehlhaltungen zu vermeiden.

Vergr?sserte Ansicht: Geige mit Sensoren auf Griffbrett
Geige mit Foliensensor auf dem Griffbrett. (Bild: Tobias Grosshauser, Bernd Tessendorf / ETH Zürich)

Profimusiker, allen voran Solistinnen und Solisten, sind Hochleistungssportler. Mit scheinbarer Leichtigkeit entlocken sie ihrem Instrument wundersch?ne Kl?nge, aber diese Leichtigkeit ist hart erk?mpft – mit stundenlangem ?ben, bis auch die virtuosesten Stücke mit atemberaubender Geschwindigkeit fehlerfrei klingen. Musiker klagen dabei oft über Schmerzen in Fingern, Schultern, Gelenken und im Rücken, und versuchen mit Akupunktur, Medikamenten, Massagen oder Physiotherapie, den typischen Musikerleiden beizukommen. Die Ursachen zu finden und zu beheben, erweist sich oft als schwierig, da sie von aussen kaum sichtbar und für den Spielenden selbst oft schwer zu bestimmen sind. Beispielsweise k?nnte der Druck eines Fingers auf die Saite einer Violine unn?tig stark angesetzt, oder die Geige ungünstig und daher verkrampft unter das Kinn eingeklemmt sein.

??ber die Interaktion eines Musikers mit seinem Instrument gibt es bislang kaum Messdaten?, erkl?rt Tobias Grosshauser, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Gerhard Tr?ster, Professor am Institut für Elektronik der ETH Zürich. Insbesondere für die Musikermedizin w?ren diese Daten jedoch sehr hilfreich, um die Ursache von Schmerzen zu identifizieren.

Effizienteres ?ben dank Software-Feedback

Deshalb entwickeln Grosshauser und seine Kollegen Sensorsysteme, die in Instrumente integriert Druck und Position der Berührungspunkte messen. Auch die Haltung des Musikers, der Winkel des Arms, die Position der Hand und wie synchron die rechte und die linke Hand ihre jeweilige Aufgabe ausüben, k?nnen die jeweiligen Druck-, Positions- und Beschleunigungs-Sensoren messen. ?ber einen Sender werden die Daten an einen Computer übermittelt.

Die Software verarbeite die Messdaten und generiere ein Feedback für den Musiker, das dabei helfe, eine optimale Technik zu entwickeln und effizienter zu üben, erkl?rt Grosshauser. Eine App für Tabletcomputer oder Smartphones existiert bereits. Sie bildet die Messdaten als Kurven ab und warnt mit rotem Signal, beispielsweise wenn ein Musiker die Finger zu stark auf die Saiten der Violine drückt.

In Zusammenarbeit mit verschiedenen Musikhochschulen, unter anderen der Zürcher Hochschule der Künste und der Hochschulen für Musik in Nürnberg und München, testeten Grosshauser und sein Team, wie empfindlich die Technologie beispielsweise die Position eines Fingers misst. Bereits feinste Bewegungen, wie Musikerinnen sie bei einem sanften Vibrato auf der Geige ansetzen, bildet die Software hochgenau ab.

Interessant sind diese Daten auch für die Frage, wie synchron die Mitglieder eines Ensembles spielen. Zu diesem Zweck rüsteten die Forschenden mehrere Musiker mit sensorbestückten Instrumenten aus und erfassten ihr Zusammenspiel in der Gruppe.

Müdigkeitswarner für Musiker

Vergr?sserte Ansicht: Geige mit Sensoren unter den Saiten
Hauchdünne Sensorstreifen unter den Saiten lesen den Druck und die Position der Finger aus und sind über Kabel mit einem Funksender verbunden. (Bild: Tobias Grosshauser, Bernd Tessendorf / ETH Zürich)

Auch Ermüdung beim ?ben erkennen Sensoren und Software, zum Beispiel daran, dass die Geige nicht mehr korrekt gehalten oder eine Bewegung weniger fliessend ausgeführt wird. Dabei verglichen die Forscher die Aussagen der Musiker über ihren Müdigkeitszustand mit der an den Messdaten ablesbaren Ersch?pfung. ?Oft merkt man mitten im ?ben nicht, wie müde man eigentlich schon ist?, erkl?rt Grosshauser, der selbst seit Jahren professionell Geige spielt. Man k?nne einen Müdigkeitswarner, wie es ihn in manchen Autos gibt, in die App einbauen, damit er die ?benden rechtzeitig auffordere, eine Pause zu machen.

Bis Sensortechnologie und App marktreif sind, braucht es weitere Studien und Entwicklung, doch besch?ftigen sich Grosshauser und seine Kollegen schon jetzt damit, wie gut diese Technologie von Musikern angenommen wird. ?Insbesondere junge Musiker sind fasziniert davon, ihr eigenes Spiel so zu erfassen?, sagt Grosshauser. Profimusiker h?tten gegenüber der Technologie bislang gemischte Gefühle, da sich einige an der Verkabelung ihres geliebten Instruments st?ren. Deshalb bemühen sich die Forscher, die Verkabelung weiter zu minimieren, so dass sie praktisch unsichtbar wird.

Auf der anderen Seite bietet diese Technologie auch die M?glichkeit v?llig neuer Ausdrucksformen in der Musik, was für Konzertsolisten wie Laien gleichermassen interessant sei. So kann beispielsweise eine mit Sensoren bestückte Geige mit einem Synthesizer verbunden und so für elektronische Musik verwendet werden.

Auf der Bühne und zuhause

Auch bei Musiklehrern st?sst der elektronische Vorstoss nicht immer auf Gegenliebe. Aber das Ziel sei nicht, den Musiklehrer durcheine Software zu ersetzen, betont Grosshauser. Vielmehr soll die Sensortechnologien beim Unterrichten und ?ben unterstützen.

Ausserdem erlauben sie erstmals, Daten über unterschiedliche Spielweisen in verschiedenen Situationen – im Unterricht, beim ?ben zuhause und auf der Bühne – zu vergleichen. Als dünne Folie auf das Geigengriffbrett geklebt und über Kabel mit dem Sender verbunden, der an den Korpus geklemmt wird, braucht die Technologie schon jetzt wenig Platz und kann so überall eingesetzt werden. ?Man merkt instinktiv, dass man anders spielt, wenn man zuhause allein für sich spielt oder auf der Bühne vor mehreren hundert Leuten.? Nun k?nne man die Unterschiede tats?chlich quantifizieren und diese Daten beispielsweise einsetzen, um die Ursache von Schmerzen beim Musizieren zu ergründen.
 

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Literaturhinweise:

Grosshauser T, Candia V, Hindebrand H, Tr?ster G: Sensor Based Measurements of Musicians' Synchronization Issues. Proceedings of the International Conference on New Interfaces for Musical Expression (NIME), University of Michigan, 2012 (pdf)

Grosshauser T, Tr?ster G: Further Finger Position and Pressure Sensing Techniques for Stringed and Keyboard Instruments. New Interfaces for Musical Expression, NIME13, 2013 (pdf)

Grosshauser T, Gro?ekath?fer U, Tr?ster G: Fatigue Detection in Music Making Using Wearable Sensors, SMAC - Stockholm Music Acoustics Conference, 2013 (pdf)

Weitere Informationen:

Interessierte Musiker k?nnen sich per Email bei Tobias Grosshauser melden unter

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