Politischer Wandel begünstigt Energiewende
Ereignisse wie die Reaktorkatastrophe in Fukushima k?nnen unsere Einstellungen – etwa zu Atomenergie und erneuerbaren Energien – grundlegend ver?ndern. Das kann zu neuen politische Mehrheiten und einem Politikwandel führen. Eine Studie hat dies am Beispiel der Schweizer Energiepolitik untersucht.
Externe Schocks sind ein Erkl?rungsansatz für tiefgreifenden Wandel. Das gilt für sozio-technische Transitionen wie auch für die Ver?nderung von Politik. Im Bereich der Energiepolitik ist die Energiewende derzeit ein zentrales Thema. Mit der Energiestrategie 2050 hat der Schweizer Bundesrat dem Parlament im Herbst 2013 eine Reihe von Massnahmen vorgeschlagen, die vom Energiesparen über den Ausbau der neuen erneuerbaren Energien bis hin zu einem Umbau des Stromnetzes in Richtung ?smart grid? reichen. Hintergrund dieser Massnahmen ist der Beschluss von Bundesrat und Parlament, schrittweise aus der Kernenergie auszusteigen.
Aber werden bei künftigen Abstimmungen im Parlament die notwendigen politischen Mehrheiten für einen solch weitreichenden Umbau des Energiesystems zustande kommen? Auch wenn darüber heute nur spekuliert werden kann, ist es doch m?glich zu untersuchen, inwieweit sich grundlegende Werte und ?berzeugungen von zentralen politischen Akteuren im Bereich der schweizerischen Energiepolitik ge?ndert haben. Ein solcher Wertewandel w?re gem?ss dem in den Politikwissenschaften etablierten ?advocacy coalition framework? eine Voraussetzung für einen politischen Kurswechsel.
Stabile ?berzeugungen in der Energiepolitik
Eine Masterarbeit am Lehrstuhl für Nachhaltigkeit & Technologie hat nun die Antworten in der Vernehmlassung zur Energiestrategie 2050 mit früheren energiepolitischen Vernehmlassungen aus den Jahren 2001 und 2007 verglichen.1 Dabei zeigt sich, dass sich grundlegende Einstellungen der Akteure, so genannte ?policy core beliefs?, nur geringfügig ver?ndert haben. Zu diesen Grundüberzeugungen z?hlt etwa, ob staatliche Eingriffe im Energiebereich befürwortet werden oder nicht, welche Priorit?t man dem Umweltschutz oder den Interessen der Wirtschaft beimisst oder welche Bedeutung man der Energiewende zugesteht. Das Feld der Schweizer Energiepolitik wird nach wie vor von zwei Akteursgruppen bestimmt, die jeweils ?hnliche Grundüberzeugungen haben: einer gr?sseren ?Pro-?konomie?-Gruppe, die Wettbewerbsf?higkeit und günstige Preise hervorhebt, und einer kleineren ?Pro-?kologie?-Gruppe, für die insbesondere die Umweltaspekte der Energieversorgung wichtig sind. Der als ?Pro-?konomie? bezeichneten Koalition geh?ren etwa Economiesuisse, Axpo, Alpiq, FDP, BDP und SVP an; der ?Pro-?kologie?-Koalition die Umweltverb?nde, Swisscleantech, SGB, GPS oder SP.
Und dennoch: Zustimmung zur Energiestrategie
Aufgrund dieser Ergebnisse würde man zun?chst davon ausgehen, dass es sich bei der Energiepolitik um ein stabiles Politikfeld handelt, in dem keine gr?sseren Ver?nderungen zu erwarten sind. Bei einer genaueren Betrachtung f?llt aber auf, dass sich die Grundüberzeugungen innerhalb der ?Pro-?konomie?-Koalition deutlich st?rker unterscheiden und ihre Heterogenit?t zugenommen hat: manche ?Pro-?konomie?-Akteure wie CVP oder ewz (Elektrizit?tswerk der Stadt Zürich) weisen nur eine geringe Distanz zu ?Pro-?kologie?-Akteuren wie Swisscleantech oder AEE auf, der Dachorganisation für erneuerbare Energien und Energieeffizienz.
Die Antworten auf die spezifischen Fragen in der Vernehmlassung zeigen schliesslich, dass eine deutliche Mehrheit der betrachteten Akteure dem neuen Kurs in der Energiepolitik zustimmt und damit für den Ausstieg aus der Atomenergie und für eine verst?rkte F?rderung von erneuerbaren Energien pl?diert. Es gibt somit klare Anzeichen für einen tiefgreifenden Politikwechsel, auch wenn sich die Grundüberzeugungen der zentralen Akteure kaum ver?ndert haben. Dieser Befund steht im Widerspruch zu dem der Studie zugrunde gelegten ?advocacy coalition framework?, welches davon ausgeht, dass es erst dann zu einem politischen Kurswechsel kommt, wenn die am Politikprozess beteiligten Akteure ihre ?berzeugungen ver?ndert haben.
Offen für Ver?nderung
Für die Wissenschaft bedeuten diese Ergebnisse einmal mehr, bestehende Erkl?rungsans?tze kritisch zu hinterfragen und weiter zu entwickeln. Gleichzeitig ist ein vorsichtiger Umgang mit Prognosen geboten, insbesondere wenn es um derart vielschichtige Ph?nomene wie die Energiewende geht.
Ein grundlegender Wandel von bestehenden Sektoren geht nicht nur mit technischen und gesetzlichen Neuerungen einher, sondern auch mit einer Ver?nderung bestehender Werte und ?berzeugungen. Diese Ver?nderung betrifft die oben genannten politischen Akteure ebenso wie Unternehmen und Individuen insgesamt – etwa in ihrer Rolle als Energiekonsumenten. Wer sich flexibel aufstellt, sich auf Ver?nderungen einrichtet und wom?glich auch aktiv die Energiewende mitgestaltet, kann von den zukünftigen Entwicklungen profitieren.
Dieser Beitrag basiert auf den Ergebnissen der Masterarbeit von Marco Suter.
Weiterführende Information
1 Suter, Marco, 2013. Energiewende und Energiestrategie 2050 – Koalitionen in der Schweizer Energiepolitik und deren Ver?nderungen. Masterarbeit ETH Zürich / Uni Basel.
Download Poster Energiewende und Energiestrategie 2050 (PDF, 1.2 MB)