Magnetische Eigenschaften mit Elektrizität ändern
Wissenschaftler der ETH Zürich und des PSI haben Hinweise gefunden, dass sich die magnetischen Eigenschaften bestimmter Materialien extrem schnell ändern lassen. Dies ist Grund zur Hoffnung, dass sich aus solchen Materialien in Zukunft ultraschnelle Computerfestplatten herstellen lassen.
In aller Regel gibt es nur eine einzige M?glichkeit, einen geeigneten Gegenstand magnetisch zu machen: Man setzt ihn einem ?usseren Magnetfeld aus. Bei einer speziellen Klasse von Materialien, den Multiferroika, gibt es allerdings noch eine zweite M?glichkeit: Ihre magnetischen Eigenschaften kann man auch direkt durch das Anlegen einer elektrischen Spannung beeinflussen. Multiferroika werden derzeit in der Physik intensiv erforscht. Dies hat auch damit zu tun, dass sie dereinst als Computerspeichermedien Verwendung finden k?nnten. Denn w?hrend Daten heute mit einem mechanisch bewegten Magnetkopf auf die Festplatte eines Computers geschrieben werden, k?nnten multiferroische Festplatten in Zukunft sehr viel schneller elektrisch beschrieben werden.
Bis es soweit ist, ist es allerdings noch ein langer Weg. Derzeit werden erst die physikalischen Grundeigenschaften der relativ neuen Stoffklasse untersucht. Auch wurde bisher nie ein experimenteller Beweis erbracht, dass die magnetische Ordnung von Multiferroika hinreichend schnell ge?ndert werden kann, um mit heutigen Festplatten zu konkurrieren. ?Die bisher schnellste gemessene ?nderung mittels elektrischer Spannung liegt im Bereich von Tausendstelsekunden?, sagt Teresa Kubacka, Doktorandin in der Gruppe von ETH-Professor Steven Johnson. Zum Vergleich: Mit einem Magnetkopf lassen sich Daten schon heute eine Million Mal schneller auf einer Festplatte speichern.
In einem internationalen Forscherteam unter der Leitung von Wissenschaftlern der ETH Zürich und des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) hat Kubacka nun experimentelle Hinweise gefunden, dass die magnetischen Momente der Multiferroika auch sehr viel schneller auf elektrische Spannung reagieren k?nnen – in weniger als einer Billionstelsekunde, also tausendmal schneller als sich heute Daten auf eine Festplatte schreiben lassen.
Magnetische Momente drehen sich leicht
Konkret untersuchten die Wissenschaftler das Material Terbiummanganit, dessen multiferroische Eigenschaften erst vor rund zehn Jahren entdeckt worden sind und das Physikern seither als Modellmaterial zur Erforschung dieser Eigenschaften dient. In Messungen mit einem Freie-Elektronen-R?ntgen-Laser (siehe Kasten) im kalifornischen Stanford zeigten die Forschenden aus der Schweiz, dass die magnetischen Momente in einem mehrere Millimeter grossen Kristall dieses Stoffs nach einer bestimmten elektrischen Anregung innerhalb von 200 Femtosekunden ihre Richtung ?ndern. ?Obschon andere Wissenschaftler bereits zuvor Multiferroika untersuchten, ist dies das erste Mal, dass magnetische Momente in einem Experiment derart schnell auf eine ?nderung im elektrischen Feld reagierten?, sagt Kubacka.
Die magnetischen Momente von Terbiummanganit drehten sich im Experiment zwar nicht komplett um 180 Grad, wie es für potenzielle Anwendungen interessant w?re, sondern ?bloss? um 4 Grad. Für die im Experiment zur Anregung des Materials verwendeten elektrischen Felder entspricht dies allerdings den Voraussagen, die eine Gruppe von theoretischen Physikern aus Japan zuvor machte. Die Forschenden von der ETH und dem PSI best?tigten somit im Experiment teilweise diese Theorie. Diese sagt auch voraus, dass es mit ausreichend starken elektrischen Feldern m?glich ist, die Richtung der magnetischen Momente komplett – um 180 Grad – umzukehren. Allerdings lassen sich heute in keiner Forschungseinrichtung so starke elektrische Felder erzeugen, womit sich diese Voraussage zurzeit nicht überprüfen l?sst. Dennoch wecken die Ergebnisse laut Kubacka Hoffnung. ?Aus heutiger Sicht scheint es zumindest nicht unm?glich, dass man die magnetischen Momente von multiferroischen Materialien dereinst ultraschnell komplett umkehren kann?, sagt sie.
Kühlung n?tig
Allerdings würden Anwendungen wie jene in der Datenspeicherung kaum je mit dem Modellmaterial Terbiummanganit umgesetzt, pr?zisiert die Forscherin. Denn es zeigt seine multiferroischen Eigenschaften erst bei Temperaturen tiefer als minus 246 Grad Celsius. In ihren Experimenten konnten die Forschenden das Material auf diese tiefen Temperaturen kühlen. Für die breite Anwendung dürften allerdings multiferroische Materialien Vorteile haben, die diese Eigenschaften auch bei Raumtemperatur aufweisen. Mindestens ein solches Material ist bereits bekannt.
Schnelle Vorg?nge hochaufl?send sichtbar machen
Ein Freie-Elektronen-R?ntgen-Laser (FEL) ist eine Strahlungsquelle, mit der sogenannte Synchrotron-R?ntgenstrahlung mit Lasereigenschaften erzeugt werden kann. Weil Synchrotron-R?ntgenstrahlung sehr kurzwellig ist, k?nnen damit feinste Strukturen von der Gr?sse eines Atoms sichtbar gemacht werden. Klassische Synchrotron-R?ntgenstrahlung kann jedoch nur in verh?ltnism?ssig langen Pulsen erzeugt werden. Mit der Lasertechnik hingegen lassen sich extrem kurze Lichtpulse erzeugen, wobei optische Laser den Nachteil haben, dass sie langwelliges Licht erzeugen. Beim FEL werden die Vorteile der Synchrotron-R?ntgenstrahlung mit jenen von Lasern kombiniert. Es ist damit m?glich, ultraschnell ablaufende Prozesse in einer hohen r?umlichen und zeitlichen Aufl?sung (zehn Billiardstelsekunden) sichtbar zu machen.
FEL sind Forschungsgrosseinrichtungen, von denen es derzeit weltweit nur vier gibt. Der gr?sste davon steht an der Universit?t Stanford in den USA, wo die besprochene Forschungsarbeit durchgeführt wurde. Der sich im Bau befindende externe Seite SwissFEL am Paul-Scherrer-Institut im aargauischen Würenlingen soll 2016 seinen Betrieb aufnehmen und Messungen in einer ?hnlichen r?umlichen und zeitlichen Aufl?sung erm?glichen.
Literaturhinweis
Kubacka T et al.: Large amplitude spin dynamics driven by a THz pulse in resonance with an electromagnon. Science, Online-Vorabver?ffentlichung 6. M?rz 2014, doi: externe Seite 10.1126/science.1242862