Wie Doppelkarriere und Integration zusammenspielen
Wie können Hochschulen ihre Dienstleistungen für mobile Forschende verbessern? Darum dreht sich eine internationale Konferenz Anfang Juni an der ETH Zürich. Die ETH unterstützt Doppelkarrieren von Forschenden seit 15 Jahren.
Die Schweiz, insbesondere Zürich, ist ein attraktiver Arbeitsort für Forschende – davon zeugt der hohe Anteil ausl?ndischer Wissenschaftler auf allen Stufen der Karriereleiter. An der ETH Zürich beispielsweise rekrutieren sich über 50 Prozent der Lehrkr?fte aus dem Ausland.
Ein Grund für den Erfolg des Wissensstandorts Schweiz im internationalen Wettbewerb um die Besten, liegt unter anderem an einer über die letzten Jahre gewachsenen Servicekultur für mobile Forschende. Eine gute Betreuung der Professorenfamilien aus dem Ausland, das haben die Hochschulen erkannt, ist ein wichtiger Faktor im Standortwettbewerb. Denn ein Forscher oder eine Forscherin kommt selten allein.
?Die ETH Zürich will sich im internationalen Wettbewerb um die besten Forscherinnen und Forscher an der Spitze behaupten. Dazu geh?rt, dass wir Paare, bei denen beide Spitzenforschung betreiben oder ein Partner eine ausseruniversit?re Karriere verfolgt, bei der Realisierung ihrer Doppelkarriere unterstützen?, sagt ETH-Pr?sident Ralph Eichler.
Nicht ohne meinen Partner
Madeleine Lüthy ist Leiterin der Dual-Career-Advice-Stelle an der ETH Zürich und damit zentrale Ansprechperson für neuberufene Professorinnen und Professoren. Sie hat über die letzten zehn, zw?lf Jahre vor allem zwei entscheidende Entwicklungen beobachtet. Zum einen hat das klassische Erwerbsmodell – der Mann macht Karriere, die Frau bleibt zu Hause oder arbeitet Teilzeit ohne Anspruch auf berufliches Fortkommen – endgültig ausgedient. Heute sind haupts?chlich hochqualifizierte Ehepaare in egalit?ren Beziehungen in der Wissenschaftslandschaft unterwegs.
?Meine Frau h?lt 51 Prozent der Familien-AG? – solche Aussagen sind in Akademikerfamilien mittlerweile Usus. Dementsprechend muss sich ein Wechsel in die Schweiz für beide Ehepartner lohnen. Zum anderen gehen Forschende nicht mehr um jeden Preis ins Ausland – sei es, weil eine lokale Laufbahn in der Heimat ebenso attraktiv geworden ist, sei es, weil Hochschulen heute gezielt den eigenen Nachwuchs zurückholen oder weil sich im Laufe einer wissenschaftlichen Karriere eine gewisse Integrationsmüdigkeit eingestellt hat.
?Noch Mitte der 1990er Jahre war es undenkbar, eine angebotene Professorenstelle an der ETH Zürich abzulehnen?, sagt Madeleine Lüthy. Heutzutage geh?rt es für eine renommierte Hochschule dazu, mit Dual-Career-Massnahmen und Integrationsangeboten um Spitzenkr?fte werben. Auch, weil die Kandidatinnen und Kandidaten gelernt haben, Forderungen zu stellen.
Rundum-Betreuung für die besten K?pfe
An der ETH Zürich werden Dienstleistungen für mobile Forschende standardm?ssig in Berufungsverhandlungen integriert. Ist eine Professorenstelle zu besetzen, bietet Lüthy neben einem formalen Servicepaket – etwa Hilfe bei der Einreise, Krankenkassenwechseln, Doppelbesteuerung, Wohnungssuche, Organisation der Kinderbetreuung – auch pers?nliche Beratungen an. ?Für die Bewerbenden ist es ganz wesentlich, eine Vertrauensperson vor Ort zu haben?, sagt Lüthy. Sie weiss: Ob ein Wunschkandidat zusagt, kann manchmal von ?weichen Faktoren?, das heisst rein famili?ren Dingen abh?ngen.
Vor allem aber h?ngt die Entscheidung von der beruflichen Perspektive des begleitenden Ehepartners ab. Unterstützung bei der (ausseruniversit?ren) Jobsuche – von einem professionellen Bewerbungscoaching bis zur Kontaktvermittlung zu Personalverantwortlichen in Industrie, Privat- und Staatssektor – ist eine der zentralen Aufgaben des Dual-Career-Advice-Büros.
Diese Rundum-Betreuung für internationale Neuank?mmlinge vor, w?hrend und auch nach dem eigentlichen Stellenantritt, existiert an der ETH Zürich bereits seit fünfzehn Jahren – so lange wie an keiner anderen europ?ischen Hochschule. 1999 wurde die Beratung zu Laufbahn- und Integrationsfragen auf Initiative des damaligen Pr?sidenten Olaf Kübler ins Leben gerufen.
Als strategisches Rekrutierungsinstrument nach amerikanischem Vorbild ist die Servicestelle eingebettet im Stab Professuren, direkt beim Pr?sidenten. ?Wir wollten damit ein starkes Signal an die Professorenschaft senden, n?mlich dass sich die ETH Zürich in Verhandlungen aktiv dieser Fragen annimmt.?
Private Zufriedenheit f?rdert die Motivation und sorgt für ein angenehmes Arbeitsklima, das ist mittlerweile bekannt. ?Es ist eine Frage der guten Kultur?, so Kübler, ?sich um die Angeworbenen ad?quat zu kümmern und die Konsequenzen zu übernehmen, die sich aus Rekrutierungsprozessen ergeben.?
Konferenzthema: Doppelkarriere und Integration
Gefeiert wird das 15-Jahr-Jubil?um der ETH-Vorzeigeberatung Anfang Juni mit einer zweit?gigen Konferenz zum Thema (siehe Kasten). Organisiert wird sie vom Stab Professuren und der gemeinsamen Informations- und Beratungsstelle EU GrantsAccess von Universit?t und ETH Zürich.
Forschende und deren Partner oder Partnerinnen, Nachwuchswissenschaftler, Vertreter aus der Privatwirtschaft und Fachpersonen aus Servicebereichen von Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen k?nnen sich zu Fragen und Herausforderungen austauschen, die sich für internationale Forschende mit ihrem Wechsel in ein neues Land ergeben. Was ben?tigen die mobilen Forschenden vor Ort? Wie l?sst sich das Serviceangebot verbessern? Welcher Strategien bedienen sich europ?ische Universit?ten, um die besten K?pfe an ihre Institution zu binden?
Die Konferenz bildet gleichzeitig den Abschluss eines vor knapp zwei Jahren gestarteten Tandem-Projekts im Rahmen der europ?ischen Initiative ?Euraxess?, die Karriere und Mobilit?t von Forschenden in Europa f?rdert. Am Tandem beteiligt sind neben der ETH Zürich Partnerinstitutionen aus Griechenland, D?nemark, Estland und der Slowakei.
Aus Zürich sind Madeleine Lüthy und Sibylle Hodel, Forschungsmanagerin und stellvertretende Leiterin von EU GrantsAccess, zusammen mit ihren Teams dabei. An der Schlusskonferenz des Tandem-Projekts sollen unter anderem die l?nderspezifischen Umfrageergebnisse unter Forschenden und ihren Familien vorgestellt und diskutiert werden.
W?hrend griechische Hochschulen in Zukunft eher daran arbeiten müssen, bürokratische Mobilit?tshindernisse, also administrative Hürden, zu beseitigen, besteht unter ausl?ndischen Wissenschaftlern, die in die Schweiz emigrieren, vor allem Bedarf an gesellschaftlich orientierten Hilfestellungen, sprich kultureller und sozialer Integration.
?Dass die gr?sste Schwierigkeit darin liegt, mit Schweizern in Kontakt zu kommen, ein soziales Umfeld und ein privates Netzwerk aufzubauen, damit haben wir nicht unbedingt gerechnet?, sagt Sibylle Hodel. Diese Integrationslücke zu schliessen, sei nun einer der n?chsten Schritte. Ein Anfang ist getan mit dem in Zusammenarbeit mit der Personalabteilung der ETH Zürich gegründeten Welcome Center für neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Auch über einen Ausbau der entsprechenden Unterstützungsmassnahmen für den akademischen Mittelbau wird nachgedacht. Sibylle Hodel ist überzeugt: ?Doktorierende und PostDocs sind die besten Botschafter, wenn es darum geht, den Ruf der ETH Zürich in die Welt hinaus zu tragen.?