Chancen und Risiken im Energiesektor
Mit der Energiestrategie 2050 will der Bund das Schweizer Energiesystem für eine klimavertr?gliche Zukunft rüsten. Das Vorhaben stellt – ?hnlich wie die Energiewende in Deutschland – die betroffenen Akteure vor zahlreiche Herausforderungen und Risiken. Es ergeben sich aber auch etliche Chancen, die es zu ergreifen gilt.
N?chste Woche findet an der ETH Zürich die zweite ?Klimarunde? statt. Sie dreht sich um das Thema ?Innovationen fürs Klima? und fragt: Was braucht es, damit wir handeln k?nnen? Expertinnen und Experten verschiedener Fachgebiete diskutieren gemeinsam mit Besucherinnen und Besuchern, welche Beitr?ge die Schweiz als globale Innovatorin zur L?sung der Klima-Probleme leisten kann.
Natürlich spielt der Energiesektor dabei eine entscheidende Rolle. Nachdem Bundesrat und Parlament 2011 entschieden hatten, schrittweise aus der Kernenergie auszusteigen, formulierte der Bund die Energiestrategie 2050, um das Schweizer Energiesystem nachhaltig umzubauen. Die Chancen und Herausforderungen, die sich dabei ergeben, m?chte ich in diesem Beitrag erl?utern.
Brennende Fragen für die Podiumsdiskussion?
Wer spannende Fragen an die Podiumsteilnehmer der ETH-Klimarunde hat, kann uns diese bis am Montag, 3. November, per Tweet an externe Seite @ETHZukunftsblog mit Hashtag #klimarunde schicken.
Herausforderungen der Energiestrategie 2050
Folgende Themenfelder geben eine Auswahl der wichtigsten Herausforderungen für die Akteure im Schweizer Stromsektor:
Handelsregeln
Die Schweiz nimmt eine zentrale Rolle im internationalen Stromaustausch ein. Sie ist aber immer st?rker von den Regulierungen und Handelsregeln der EU abh?ngig. Ein bilaterales Abkommen mit der EU im Stromsektor w?re für uns enorm wichtig. Derzeit ist allerdings offen, ob die Schweiz ein solches in n?herer Zukunft abschliessen kann. Würde das Abkommen mit der EU nicht zustande kommen, so h?tten die Schweizer Marktakteure wohl mit einer zunehmenden Rechts- und Planungsunsicherheit zu k?mpfen. Dies würde sich vor allem auf den grenzüberschreitenden Stromhandel und Betrieb sowie auf die Versorgungssicherheit in der Schweiz auswirken, da notwendige Investitionen in die inl?ndische Infrastruktur wegen den mangelnden Marktabsatzchancen nicht mehr (oder nur verz?gert) get?tigt würden.
Produktionsmuster
Die Energiepolitik in der EU hat zur Folge, dass in grossem Stil erneuerbare Energien zugebaut werden, insbesondere Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen. Diese Anlagen produzieren dargebotsabh?ngig, das heisst, immer dann, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Das Marktgefüge, wie es vor einigen wenigen Jahren noch existiert hat, ver?ndert sich dadurch massiv. Das zeigt sich etwa darin, dass die grossen Preisunterschiede zwischen Nacht- und Tagstrom (w?hrend der Mittagsspitze) heute nicht mehr ausgepr?gt existieren.
In europ?ischen L?ndern hat diese Entwicklung noch weitere Auswirkungen: Der Preiszerfall beim Strom, die günstigen (da oft subventionierten) Kohlepreise und die tiefen CO2-Zertifikatspreise sorgen dafür, dass immer mehr Gaskraftwerke unrentabel und vom Netz genommen werden.
Investitionsanreize
In Europa bestehen derzeit im Bereich der erneuerbaren Energien starke Investitionsanreize, vornehmlich allerdings wegen der Subventionen mittels Einspeisevergütung. So übersteigt zum Beispiel die Leistung der in Deutschland in den letzten Jahren installierten Photovoltaik-Anlagen die Gr?ssenordnung von mehreren Kernkraftwerken. Und auch in Italien werden in grossem Stil Anlagen zugebaut. Dabei ist aber unsicher, wie der zukünftige Regulierungsrahmen gestaltet wird. Im Gegensatz dazu sind bei den traditionellen Kraftwerkstypen die Investitionsanreize in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Das hat zur Folge, dass für die Versorgungssicherheit dringend notwendige Produktionskapazit?ten teils nicht mehr vorhanden sind (z.B. in Deutschland).
Chancen der neuen Energiepolitik
Wie jeder Umbruch birgt auch die Energiewende nicht nur Risiken, sondern auch Chancen. Um sich in Zukunft im Markt etablieren und halten zu k?nnen, wird es essenziell sein, diese Chancen zu erkennen und entsprechende Produkte auf den Markt zu bringen.
Dienstleistungen
Das klassische Gesch?ft mit dem Handel und Vertrieb von Strom gestaltet sich immer unrentabler. Gleichzeitig werden die Gesamtenergiekosten in Zukunft eher steigen. Deshalb werden Dienstleistungen im Bereich Gesamtenergiekonzepte und Energieeffizienz künftig interessanter.
Flexibilit?t
Die verst?rkte Einspeisung dargebotsabh?ngiger Energiequellen bringt das Gesamtsystem immer mehr an seine Grenzen: Bereits heute muss man zum Teil massive Einschr?nkungen in der Produktion und im Handel hinnehmen, um das Netz weiterhin stabil betreiben zu k?nnen. Somit k?nnten neue (Finanz-)Produkte, die den Handel von Flexibilit?tsoptionen etwa von Wasserkraftwerken erleichtern, einen hohen Stellenwert erhalten – sei dies bei der Produktion oder beim Verbrauch.
Speicher
Eng mit der Flexibilit?t h?ngen die Stromspeicher zusammen. Ich gehe aus den oben genannten Gründen davon aus, dass der Bedarf an Speichern sowohl für die Kurz- wie auch die Langzeitspeicherung eine wichtige Rolle im zukünftigen Stromsystem spielen wird. Mengenm?ssig werden sowohl kleine Speicher als auch solche im grosstechnischen Massstab wichtig.
Smart Grids
Daneben wird es unumg?nglich sein, all dieser Anwendungen zu einem intelligenten Netz – einem sogenannten Smart Grid – zu verbinden, um die neuen Herausforderungen zu meistern. Komponenten eines Smart Grids sind einerseits steuerbare Produktionsanlagen, andererseits steuerbare Endverbraucher (z.B. W?rmepumpen, Boiler) sowie geeignete Messeinrichtungen.
Erneuerbare Anlagen
Gegenw?rtig ist der Investitionsbedarf in erneuerbare Energien noch anhaltend, beruht aber zu einem grossen Teil auf staatlich gesteuerter F?rderung. Somit sind diese Investitionsm?glichkeiten sehr stark von den politischen und regulatorischen Entwicklungen in den einzelnen L?ndern abh?ngig. Deshalb sollten die Investitionschancen, die heute klar bestehen, immer auch sorgf?ltig auf allf?llige Regulierungsrisiken von morgen hin überprüft werden.
Fazit: Die Chancen packen!
Um in Zukunft erfolgreich in der Energiebranche sein zu k?nnen, gilt es, die genannten Herausforderungen anzugehen und gleichzeitig die vielf?ltigen Chancen m?glichst früh zu erkennen und zu nutzen. Ich bin optimistisch, dass uns das gelingt, und dass eine nachhaltige Energieversorgung in Zukunft m?glich ist. Sicher braucht es grosse Anstrengungen von allen Beteiligten, und bei einigen gewiss auch ein Umdenken. Doch der Forschungs- und Wirtschaftsplatz Schweiz ist für die bevorstehenden Aufgaben gut gewappnet.
Weiterführende Informationen
- Veranstaltungshinweis: Energieversorgung 2050: Integration oder Inseldenken?
Workshop und Podiumsdiskussion am Donnerstag, 11. Dezember 2014, organisiert vom Energy Science Center (ESC) und foraus (Forum Aussenpolitik).
- Eine Bestandesaufnahme zur Schweizer Energiewende: ?externe Seite Die Finanzierung der Energiewende in der Schweiz?, Tobias Reichmuth (Herausgeber), NZZ Libro 2014