Die Mathematik der Ebola-Epidemie
Mit neuen Eckwerten, die Forschende am ETH-Departement Biosysteme errechneten, kann die Ebola-Epidemie in Westafrika mathematisch genau beschrieben werden. Die Daten der Wissenschaftler k?nnen Gesundheitsbeh?rden helfen, die Epidemie einzud?mmen.
Die Ebola-Epidemie im Westen Afrikas scheint aus dem Ruder zu laufen. Lokale und weltweite Gesundheitsbeh?rden sind mehr denn je daran interessiert zu wissen, wie sich die Epidemie weiterentwickeln wird, und wie sie allenfalls doch noch einged?mmt werden kann. Dabei helfen ihnen bestimmte Kenngr?ssen. Die Reproduktionsrate ist eine solche. Sie besagt, wie viele bisher gesunde Menschen eine mit dem Erreger infizierte Person im Schnitt ansteckt. Ebenfalls wichtig sind Inkubationszeit und Ansteckungszeit, also wie lange es von der Ansteckung bis zum Ausbruch von Symptomen dauert und in welchem Zeitraum nach der Ansteckung ein Patient infekti?s ist.
Bei der gegenw?rtigen Ebola-Epidemie gibt es mehrere Sch?tzungen dieser Kennzahlen. Sie wurden anhand von offiziellen Daten der Krankheitsf?lle getroffen. Ein Team um Tanja Stadler, Professorin für Computational Evolution am Departement Biosysteme der ETH Zürich in Basel, hat diese Kenngr?ssen nun ausgerechnet – anhand der Gensequenz des Virus in verschiedenen Patientenproben und einem von der Gruppe entwickelten statistischen Computerprogramm.
Dunkelziffer erhoben
Die Sequenzen des Virus sind solche, die amerikanische, britische und sierra-leonische Wissenschaftler aus Blutproben von Patienten in Sierra Leone ermittelt hatten, und zwar in den ersten Wochen nachdem die Epidemie aus dem benachbarten Guinea in das Land überschwappte, im Mai und Juni 2014. Neuere Sequenzen seien derzeit nicht ?ffentlich erh?ltlich, sagt Stadler. Aus den Daten errechneten die Wissenschaftler eine Reproduktionsrate des Virus von 2,18. Dieser Wert ist im Bereich der bisherigen, anhand der Krankheitsh?ufigkeit (Pr?valenz) gesch?tzten Werte, die zwischen 1,2 und 8,2 liegen.
?Ein grosser Vorteil unserer Methode ist, dass wir damit auch die Dunkelziffer und somit das wahre Ausmass der Epidemie errechnen k?nnen?, so Stadler. Denn bei den offiziellen Patientenzahlen handelt es sich immer nur um die den Gesundheitsbeh?rden gemeldeten F?lle. Die Zahl der tats?chlich Infizierten ist in der Regel um einiges h?her. Mit den Daten, die den ETH-Forschenden zur Verfügung standen, ermittelten sie eine Dunkelziffer von 30 Prozent. ?Dies gilt aber nur für die untersuchte Situation im Mai und Juni in Sierra Leone. Wir müssen davon ausgehen, dass die Dunkelziffer heute weit h?her ist?, pr?zisiert Stadler.
Virus-Stammbaum erstellt
Ermitteln konnten die Forschenden schliesslich auch die Inkubationszeit von Ebola (5 Tage, wobei dieser Wert mit einer grossen Unsicherheit behaftet ist) und die Ansteckungszeit: Patienten k?nnen das Virus zwischen 1,2 und 7 Tagen nach ihrer Ansteckung weitergeben.
Um diese Werte zu erhalten, erstellten die Forschenden anhand der Gensequenzen der verschiedenen Virusproben einen sogenannten phylogenetischen Stammbaum. ?Das Ebola-Virus ver?ndert sich im K?rper von Patienten von Tag zu Tag, so dass sich die Virussequenz von Patient zu Patient leicht unterscheidet?, erkl?rt Stadler. In Kenntnis der verschiedenen Sequenzen konnten die Wissenschaftler bestimmen, zu welchem Zeitpunkt in der Vergangenheit es zu einer Ansteckung zwischen den Patienten gekommen ist. Daraus wiederum liessen sich die epidemiologischen Kenngr?ssen errechnen.
Bereits bei HIV getestet
Wichtig sind diese Werte, wenn es darum geht, Strategien zu entwickeln, um die Epidemie einzud?mmen sowie die Wirksamkeit dieser Massnahmen zu überprüfen. Eine solche Massnahme ist beispielsweise eine Ausgangssperre. ?Dauert sie l?nger als die Inkubationszeit, sind im Anschluss daran nur noch Personen, die Symptome zeigen, Tr?ger der Krankheit?, sagt Stadler. Die Reproduktionsrate wiederum ist einer der wichtigsten Benchmarks von Gesundheitsdiensten. Das vordringlichste Ziel der Beh?rden ist, diese Rate auf einen Wert unter eins zu senken. Dies würde besagen, dass sich eine Epidemie nicht mehr weiter ausbreitet.
Die ETH-Wissenschaftler entwickelten das nun verwendete Computerprogramm in den vergangenen Jahren und testeten es damals mit Daten von HIV- und Hepatitis-C-Patienten. Nun passten sie das Programm an, um es für die Ebola-Epidemie verwenden zu k?nnen. Die Wissenschaftler hoffen, dass trotz der widrigen Umst?nde in den Epidemiegebieten das Erbgut der aktuell zirkulierenden Ebola-Viren sequenziert wird. Stadler: ?Unser Programm steht nun bereit. Wenn wir aktuelle Ebola-Sequenzen erhalten, k?nnen wir damit buchst?blich über Nacht einen detaillierten Einblick in die Ausbreitung der Epidemie erhalten.?
Literaturhinweis
Stadler T, Kühnert D, Rasmussen DA, du Plessis L: Insights into the Early Epidemic Spread of Ebola in Sierra Leone Provided by Viral Sequence Data, PLOS Currents: Outbreaks, externe Seite Online-Publikation vom 6. Oktober 2014