Was tun, wenn in einer Forschungskooperation ethisch unvertretbare Dinge passieren?

?Was ist meine Verantwortung, wenn ich feststelle, dass mein Kooperationspartner von einer intransparenten, staatlichen Organisation gesteuert ist?? ?Was muss ich tun, wenn ich weiss, dass mein Partner nicht das Recht erh?lt, seine Ergebnisse zu publizieren?? ?Darf ich mit Personendaten forschen, die in einem Polizeistaat erhoben wurden?? Mit solchen und anderen Fragen ethischer Art k?nnen ETH-Forschende konfrontiert sein; insbesondere, wenn sie in internationalen Kooperationen t?tig sind oder solche aushandeln. Der von der ETH-Schulleitung per 1. September 2014 verabschiedete ?Verhaltenskodex f¨¹r wissenschaftliche Kooperationen? ist als Unterst¨¹tzung in solchen Problematiken gedacht.

Wahrung der Rechte aller

Als Institution des Bundes ist die ETH Z¨¹rich auf die Beachtung der in der Bundesverfassung als Grundrechte festgeschriebenen Menschenrechte verpflichtet. ?Dar¨¹ber hinaus hat die ETH Z¨¹rich im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Kooperationen auch auf die Einhaltung der Menschenrechte durch die Partner zu achten,? sagt Raffael Iturrizaga, Sekret?r der ETH-Ethikkommission und Wissenschaftlicher Koordinator im Stab Wissenschaftskoordination, und betont: ?Die ETH will die Bereicherung von wissenschaftlichen Kooperationen nutzen; aber nicht auf Kosten der Verletzung von Grundrechten anderer.? Zu diesen Rechten geh?ren insbesondere Forschungsfreiheit, Lehrfreiheit, Publikationsfreiheit, Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, effektiver Schutz vor rassischer, religi?ser, geschlechtlicher Diskriminierung und vor Beeintr?chtigungen der k?rperlichen Unversehrtheit und der Schutz der Menschenw¨¹rde.

Treffen ETH-Forschende im Rahmen einer konkreten Kooperation auf eine bez¨¹glich der Menschenrechte kritische Situation, so haben sie eine sorgf?ltige G¨¹terabw?gung vorzunehmen. Sie m¨¹ssen den zu erwartenden Forschungswert und die moralischen Bedenken einbeziehen, aber auch allenfalls die Chance, die menschenrechtliche Situation beim Kooperationspartner zu verbessern. Hierf¨¹r dient der Kodex als Basis. Zu welchem Ergebnis die betroffenen Forschenden im Einzelfall zu gelangen haben, schreibt das Dokument nicht vor. ?Dies ist ganz im Sinne der Kultur der Eigenverantwortung und des Vertrauens an der ETH Z¨¹rich,? so Raffael Iturrizaga. ?Am Ende muss es bei aller Vielfalt der Einzelentscheidungen doch einen gemeinsamen Nenner geben, der uns als Institution in unserem Handeln zusammenh?lt. Dieser kleinste gemeinsame Nenner sollen die Kriterien des Kodex sein.?

Keine obligatorische Vorgabe

F¨¹r die betroffenen Forschenden ist es je nach Fall keine einfache Aufgabe, eine Abwa?gung vorzunehmen. Im Zweifelsfall k?nnen sie jederzeit die Vertrauensperson, die Ethikkommission der ETH oder Raffael Iturrizaga hinzuziehen. Die Anwendung des Kodex¡® soll sich jeweils auf einzelne konkrete Kooperationsprojekte und dessen Mitarbeitenden beziehen. Das engere (z.B. die Universita?t) oder das weitere Umfeld (z.B. das Land oder der Konzern) stehen nicht im Fokus.

Beim Kodex, mit dem die ETH Z¨¹rich Position in ethischen Themen bezieht und ¨¹brigens Vorreiterin ist, handelt es sich zumindest vorl?ufig noch nicht um ein rechtsverbindliches Reglement. Vielmehr soll er Anstoss geben f¨¹r einen Lern- und Diskussionsprozess. ?Vorrangiges Ziel ist es, die ETH-Forschenden f¨¹r diese Thematik zu sensibilisieren und ihr Verantwortungsbewusstsein zu f?rdern?, sagt Raffael Iturrizaga, und erg?nzt: ?Auch die Schulleitung m?chte aus dem Dokument und den kommenden Erfahrungen Lehren ziehen k?nnen. Die Erfahrungen werden zeigen, wie ein solcher Kodex umsetzbar ist.?

An Diskussion interessiert

Vorg?ngig zur Verabschiedung des neuen Dokuments wurden im April 2014 insgesamt 47 ETH-Einheiten zur Stellungnahme eingeladen. Diese begr¨¹ssten grunds?tzlich die Einf¨¹hrung  gemeinsamer Kriterien f¨¹r ethische Fragen in wissenschaftlichen Kooperationen. Einzelne Stellungnehmende beurteilten den Kodex jedoch als zu restriktiv, andere hingegen als zu unverbindlich. Nicht zuletzt deswegen beabsichtigt die Schulleitung, die Diskussion zum Thema fortzusetzen. Raffael Iturrizaga: ?Tats?chlich bewegt sich die ETH mit dem Kodex auf relativ unerschlossenem Terrain. Wir sind am ETH-internen Dialog und am Austausch mit anderen Institutionen interessiert und bringen gerne unsere Erfahrungen und Erkenntnisse ein.?

F¨¹r die Vertiefung des Themas bei den wissenschaftlich t?tigen Mitarbeitenden plant der Stab Wissenschaftskoordination zusammen mit der Hochschulkommunikation eine Webplattform mit konkreten Fallbeispielen als auch ein Diskussionsforum.