Die echte Debatte beginnt jetzt
Ecopop thematisierte die gr?sste Herausforderung unserer Zeit – die Grenzen des Bev?lkerungswachstums und der Ressourcen – auf der Basis eines ungeeigneten L?sungsansatzes. Nun ist die Initiative an der Urne gescheitert. Die eigentliche Problematik bleibt jedoch bestehen. Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen – und jetzt damit beginnen.
Am letzten Wochenende haben wir über die Volksinitiative ?Stopp der ?berbev?lkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen? – kurz Ecopop – abgestimmt. Die Initiative wollte das Wachstum der Schweizer Bev?lkerung auf 0,2 Prozent beschr?nken und 10 Prozent der Entwicklungshilfe-Gelder dafür investieren, das Bev?lkerungswachstum in Entwicklungsl?ndern zu beschr?nken. Die Ablehnung der Initiative wurde in weiten Kreisen mit grosser Erleichterung aufgenommen. Doch das Thema ist zu ernst und dr?ngend, um einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Jetzt muss eine echte Debatte beginnen.
Die Grenzen des Wachstums
In der Wissenschaft gibt es einen breiten Konsens, dass wir in wenigen Jahrzehnten an die Grenzen des Bev?lkerungswachstums und Umweltverbrauchs stossen werden [z.B. 1]. Der berühmte Bericht des Club of Rome zu den ?Grenzen des Wachstums? hat anfangs der 1970er Jahre einen ?globalen Kollaps? aufgrund von Ressourcenknappheit für die Mitte des 21. Jahrhunderts vorhergesagt [2]. Die Daten der letzten 40 Jahre zeigen, dass wir uns seither auf dem projizierten Weg bewegen [3]. Befürchtet wird, dass eine Verknappung von Ressourcen zu einer Kaskade von Krisen führen wird, welche sich gegenseitig verst?rken werden [4]. Sind die leicht zug?nglichen Energie-Reserven aufgebraucht, erschwert dies die Bereitstellung von neuen Energiequellen, Nahrungsmittel werden knapp, und soziale Konflikte verst?rken sich.
Es besteht also wissenschaftlich kein Zweifel, dass die Problemanalyse der Ecopop-Initianten korrekt war. Genauso wenig bestehen aber Zweifel, dass die vorgeschlagenen L?sungen fundamental falsch waren: Mauern werden uns nicht vor den wachsenden globalen Problemen schützen.
Es gibt keine einfachen L?sungen
Wir werden die globalen Umweltprobleme nicht einfach durch eine Reduktion der Bev?lkerung l?sen k?nnen. Die Zeit, die uns bleibt, ist zu kurz, und das Bev?lkerungswachstum ist tr?ge wie ein Ozeandampfer, den man nicht auf Knopfdruck stoppen kann. Würden wir ab heute global eine Ein-Kind-pro-Familie-Politik umsetzen, wie sie China testete, sagen Bev?lkerungswachstums-Modelle trotzdem bis zu 10 Milliarden Menschen bis 2100 voraus [5]. Man kann argumentieren, dass die L?sung deshalb ein geringerer Ressourcenverbrauch pro Person und ein Umstieg auf erneuerbare Energien w?re. Hier besteht tats?chlich Spielraum. Das grunds?tzliche Problem aber bleibt: Die Gesellschafts- und Umwelt-Systeme sind tr?ge und miteinander vernetzt.
Es wird deshalb ein fundamentaler Umbau der Gesellschaft n?tig sein, der mit nichts vergleichbar ist, das wir kennen. Mitte November hat der Stakeholder-Dialog zur Erneuerung der Strategie Nachhaltige Entwicklung des Bundesrats begonnen. Vernehmlassungsverfahren stehen für die demokratische Kultur der Schweiz. Es ist zu hoffen, dass sie auch ein geeignetes Instrument sind, radikalen gesellschaftlichen Wandel zu erm?glichen.
Abschotten oder mitgestalten?
In den letzten Monaten hat unter Nachhaltigkeitswissenschaftlern ein Gedankenexperiment für Diskussionen gesorgt. Es zeigt auf, dass in einer Gesellschaft mit ungerechter Verteilung des Reichtums ein globaler Kollaps schwieriger abzuwenden ist als in einer gerechten [6]. Der Grund ist, dass in einer ungerechten Gesellschaft die reichen Eliten (wie wir Schweizer), die am meisten Ressourcen verbrauchen und dabei den gr?ssten Handlungsspielraum für L?sungen h?tten, die negativen Folgen des beginnenden Kollaps noch einige Jahre auf Kosten der Armen aufschieben k?nnen. Daher spüren sie die schmerzhaften Folgen erst, wenn es zu sp?t ist.
Die Ecopop-Initiative stellt uns vor unbequeme Fragen: Wollen wir in den kommenden Jahrzehnten der Transformation der Menschheit – ob gelenkt oder durch einen Kollaps erzwungen – unsere Energie darauf verwenden, um unseren beschaulichen Lebensstil noch einige zus?tzliche Jahre aufrechtzuerhalten? Oder glauben wir noch an die humanistische Tradition der Schweiz, und nutzen unsere Stellung als Knotenpunkt der internationalen ?konomie, Politik und Wissenschaft, um die Zukunft der Menschheit verantwortungsvoll mitzugestalten?
Weiterführende Informationen
[1] Eine Deklaration, die derzeit von Wissenschaftlern weltweit unterschrieben wird, kommt denn auch zum Schluss: ?By the time today’s children reach middle age, it is extremely likely that Earth’s life-support systems, critical for human prosperity and existence, will be irretrievably damaged by the magnitude, global extent, and combination of these human-caused environmental stressors, unless we take concrete, immediate actions to ensure a sustainable, high-quality future?, siehe externe Seite consensus for action
[2] Siehe die Webseite vom externe Seite Club of Rome, welcher in Winterthur beheimatet ist
[3] Turner, G.M. 2012 On the cusp of global collapse? Updated comparison of The Limits to Growth with historical data. Gaia 21, 116-124.
[4] Auf Englisch wird von einem ?perfect storm? gesprochen, zum externe Seite Beispiel
[5] Bradshaw, C.J. & Brook, B.W. 2014 Human population reduction is not a quick fix for environmental problems. Proceedings of the National Academy of Sciences, 201410465.
[6] Motesharrei, S., Rivas, J. & Kalnay, E. 2014 Human and Nature Dynamics (HANDY): Modeling inequality and use of resources in the collapse or sustainability of societies. Ecological Economics 101, 90-102.