Schweiz muss im Strommarkt integriert bleiben
An einer Tagung des Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich stand die Energieversorgung (der Schweiz) im Jahr 2050 zur Debatte. Dabei ging klar hervor: In puncto Strom lebt niemand mehr auf einer Insel.
Die Energiestrategie 2050 des Bundesrates sieht unterschiedliche L?sungen vor, wie der Strombedarf der Schweiz gedeckt werden kann, wenn die hiesigen Kernkraftanlagen abgeschaltet werden. Die verschiedenen Szenarien drehen sich insbesondere um die Frage, ob die Schweiz künftig den Strombedarf vor allem durch eine verst?rkte Eigenproduktion decken oder sich st?rker in ein europ?isches Verbundsystem einbinden soll.
Vor dem Hintergrund dieser Debatte hat das Energy Science Center der ETH Zürich (ESC) in Zusammenarbeit mit dem ThinkTank foraus - Forum Aussenpolitik am vergangenen Donnerstag einen Workshop und zwei Podien unter dem Titel ?Energieversorgung 2050: Herausforderungen und m?gliche L?sungen? veranstaltet. Ziel des Anlasses war, zur ?ffentlichen Diskussion über die Schweizer Strom- und Energiestrategie im internationalen Zusammenhang beizutragen.
?konomisch und ?kologisch wenig sinnvoll
Im ersten Teil der Veranstaltung zeigten Experten auf, welche Fragen sich rund um den Strom stellen. Sebastian Rausch, Assistenzprofessor für ?konomie und Energiewirtschaft der ETH Zürich, erkl?rte, wie sich Isolation bzw. Integration in den europ?ischen Strommarkt für die Schweiz wirtschaftlich auswirken würde. Er machte darauf aufmerksam, dass die Schweiz mit anderen europ?ischen L?ndern einen regen Stromhandel betreibt, insbesondere mit Deutschland, Italien und Frankreich.
?Internationaler Stromhandel erlaubt eine effizientere Nutzung der Ressourcen, insbesondere im Licht des geplanten massiven Ausbaus der erneuerbaren Energien?, sagte der ?konom. Für die Schweiz habe der internationale Strommarkt Konsequenzen: So müsse sie bei einem Netzausbau in Europa volkswirtschaftliche Verluste hinnehmen. Integriere sich die Schweiz in den europ?ischen Strommarkt, dann wirke sich dies positiv auf die Wohlfahrt des Landes aus.
Anthony Patt, Professor für Mensch-Umwelt-Systeme an der ETH, stellte die Frage, ob es Versorgungssicherheit durch Autarkie gebe. ?Autarkie ist attraktiv, viele Schweizer wollen energieautark sein?, sagte er. Heute sei die Schweiz in den europ?ischen Strommarkt integriert, die Versorgung werde zentral betrieben und wir seien importabh?ngig. Würde die Schweiz autark sein und gleichzeitig die AKWs abschalten wollen, seien bis 2070 zus?tzlich 5000 Windturbinen oder 66 km2 Photovoltaik-Fl?che notwendig. Dies würde die Bedarfslücke von 24 TWh decken. ?Es w?re also theoretisch m?glich, autark zu werden?, so Patt, ?aber realistisch ist dies nicht.?
Der ETH-Professor sieht die L?sung der schweizerischen Stromzukunft daher in einer Integration in den internationalen Strommarkt, der jedoch gem?ss dem Umweltwissenschaftler CO2-neutral sein sollte. Nach seinen Berechnungen k?nnten solarthermische Kraftwerke, die in sonnenreichen Gegenden stehen, über Gleichstrom-?bertragungsleitungen an das europ?ische und damit auch ans schweizerische Stromnetz angekoppelt werden. Diese k?nnten bereits einen Grossteil des schweizerischen und europ?ischen Strombedarfs decken – jederzeit und verl?sslich. (s. ETH News vom 22.06.2014)
Autarkie habe für die Schweiz Nachteile: Die Umweltbelastung sei h?her und die Versorgungssicherheit tiefer, denn es brauche mehr Inland-Stromleitungen, mehr Erzeugungskapazit?t, die schlechter ausgelastet werde, und die Komplexit?t des Netzes würde steigen. Wasser- und Pumpspeicherkraftwerke müssten viel flexibler werden, was den Gew?ssern schaden würde. Letztlich würde das Ausland weniger Schweizer Wasserkraft erhalten, was ebenfalls umweltsch?dlich sei, weil diese ja als CO2-?rmste Energiequelle gelte. ?Und auch politisch wird es schwierig, importunabh?ngig zu werden?, sagte Patt.
Vernetzung w?chst
Im dritten Referat zeigte Oberassistent Andreas Ulbig vom Institut für Elektrische Energieübertragung und Hochspannungstechnik auf, wie stark sich Europa in den vergangenen 40 Jahren bezüglich Strom vernetzt hat. Das Leitungsnetz wurde immer engmaschiger. Weiter wurden Nordafrika und die Türkei an das europ?ische Netz angekoppelt. Der Trend sei, dass Strom mittels Gleichstromübertragung über immer weitere Distanzen vom Ort der Erzeugung hin zum Ort des Verbrauchs transportiert und dass das dazugeh?rige Netz weiter ausgebaut werde.
Dazu sind in den letzten Jahren auch immer h?here Kapazit?ten bei erneuerbaren Energien hinzugekommen, welche wegen ihrer eher zuf?lligen und nicht konstanten Erzeugung ein hohes Mass an Flexibilit?t verlangen. Ende 2012 betrug die in der EU installierte Windkraftkapazit?t 165 TWh und die Solarenergiekapazit?t 45 TWh. Damit ?ndert sich der Lastfluss durch und um die Schweiz herum. Anhand von Modellrechnungen zeigte Ulbig auf, dass die Schweiz als Transitland bis 2050 massiv an Bedeutung verlieren k?nnte, wenn sie sich vom Ausland abschotten würde. So k?nnte die Last auf der Strecke Schweiz-Italien von derzeit fast hundertprozentiger Auslastung in den Sommermonaten auf die H?lfte zurückgehen.
Hochkar?tige Podien
Gleich zwei Podien mit hochkar?tigen Fachleuten aus Forschung, Wirtschaft und ?sterreichischen respektive deutschen Bundesministerien respektive Schweizer Bundes?mtern gingen den Fragen nach, wie die Schweiz trotz ihrer Nichtmitgliedschaft in der EU im europ?ischen Strommarkt eingebunden werden kann, welche Herausforderungen sich mit der Einbindung der erneuerbaren Energien wie Photovoltaik und Windkraft der Stromwirtschaft stellen, aber auch, welche Rolle die Wasserkraft und Pumpspeicherung als Speicher für Produktionsüberschüsse von Wind- und Sonnenkraftwerken künftig spielen soll.
Am ersten Podium beteiligt waren Urban Rid, Leiter Energieabteilung des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Christian Sch?nbauer, vom ?sterreichischen Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, Martin N?f, Corporate Research ABB Schweiz und BFE-Direktor Walter Steinmann. Am zweiten Podium nahmen teil: Walter Steinmann, der ?konom Urs Meister von Avenir Suisse, Anthony Patt und Suzanne Thoma, CEO BKW AG. Moderiert wurden die Gespr?che von NZZ-Redaktor Davide Scruzzi.
Stromautarkie unrealistisch und nicht erwünscht
Fazit dieser Diskussionsrunden: Politisch und wirtschaftlich ?ndern die Rahmenbedingungen des Strommarktes und -netzbetriebs derzeit laufend. Der Ausbau der Wind- und Solarenergiekapazit?ten in Europa schreitet rasch voran, was eine zunehmende Flexibilisierung der Technik bedarf, um die Konsumenten konstant und zuverl?ssig mit Strom versorgen zu k?nnen. Dies hat aber auch zu ?berkapazit?ten geführt, welche die Strompreise in den Keller haben sausen lassen, dies zum Leidwesen der Stromkonzerne, denen die Lust zu investieren derzeit vergangen ist. Um die Energiewende zu vollziehen, ist man allerdings auf Investitionen in den Umbau der Systeme und einen Ausbau der weitgehend CO2-neutralen Wasserkraftwerke angewiesen.
Zunehmend Sorgen bereiten gewisse Energieautarkiegelüste und die politische Isolation der Schweiz vom Rest Europas – eine Insell?sung wünscht keine der beiden Seiten. Dabei waren sich die Podien weitgehend einig, dass ein Autarkie-Alleingang der Schweiz keine Option ist. und das langfristig nur die Integration des Strommarktes und -netzes die Versorgung sichert. Oder wie es am Podium so sch?n hiess: ?Die Elektronen machen vor Landesgrenzen nicht einfach halt.?
Der Zukunftsblog der ETH bloggte live von der Veranstaltung: externe Seite http://twitter.com/ETHZukunftsblog. Mit #energieversorgung2050 lassen sich die Tweets abrufen.
Veranstaltung Stromversorgung der Schweiz im Jahr 2050: Inseldenken oder Integration?