Virtuose der Bankensoftware

Gleich zu Beginn unseres Gespr?chs will ich wissen: Wie sieht der Arbeitstag eines CEOs aus, dessen Gesch?ftsumsatz und Mitarbeiterzahl sich in den vergangenen sechs Jahren vervierfacht haben und der mittlerweile 1600 Mitarbeitende in 20 L?ndern f¨¹hrt? Fernandez legt einen Kalenderausdruck auf den Tisch: 13 Sitzungen sind f¨¹r den heutigen Tag eingetragen ¨C Besprechungen zu Personalentwicklung, Unternehmensstrategie, Marketing, Forschung und Entwicklung. Wahrscheinlich wird er auch heute wieder erst nach Mitternacht zuhause sein, genauso wie gestern schon. ?Meiner Frau habe ich damals nach der Gr¨¹ndung von Avaloq versichert, das sei nur w?hrend der Anfangszeit so. Das ist nun schon fast 20 Jahre her?, sagt Fernandez selbstironisch.

Der Grund f¨¹r die enorme Gesch?ftigkeit: ?Avaloq befindet sich mitten in einer Branche, die sich seit der Finanzkrise radikal ver?ndert.? Der Beinahezusammenbruch des Finanzsystems von 2008 entpuppte sich mittelfristig als einmalige Chance: ?Es ist ein wenig wie damals nach der Krise der Schweizer Uhrenindustrie?, erkl?rt der Avaloq- CEO. ?Wir m¨¹ssen das Banking komplett neu erfinden ¨C und Avaloq steht im Auge dieses Hurrikans.? Fernandez wird den Swatch-Boss Nicolas Hayek w?hrend des Gespr?chs mehrmals erw?hnen. Die beiden verbindet die Geschichte des erfolgreichen Secondos ¨C Fernandez¡¯ Eltern kamen einst aus Spanien als Arbeiter in die Schweiz. Und es verbindet sie ein leidenschaftliches Unternehmertum mit dem Anspruch, eine ganze Branche zu revolutionieren.

Der heutige Erfolg von Avaloq n?hrt sich noch immer von einer Erkenntnis, die der frischgebackene ETH-Abg?nger Anfang der 1990er-Jahre bei der BZ Bank gewann. Er hatte soeben sein Studium abgeschlossen und kam bei einer Kontaktparty ins Gespr?ch mit Vertretern der Bank. ?Die suchten damals 20 Informatiker f¨¹r ein 15-k?pfiges Bankingteam. Das fand ich interessant.? Fernandez begann, finanzmathematische Programme f¨¹r die Preissetzung von Derivaten zu schreiben. Nach drei Jahren bekam er die Aufgabe, die sein Leben ver?ndern sollte: ein geeignetes Informatikabwicklungssystem zu suchen, das den steigenden Anforderungen der Bank an ihre IT gerecht w¨¹rde. Nach einer internationalen Best-Practice-Recherche war er ern¨¹chtert: ??ber 90 Prozent der Banken bauten damals ihre eigene Software ¨C lauter Individuall?sungen mit desolaten Softwarearchitekturen.? Was er dort sah, hatte mit dem, was er an der ETH gelernt hatte, nichts zu tun. ?Ich wusste sofort: Das muss besser gehen, dahinter steckt gewaltiges Marktpotenzial.? Nach einem Management Buyout der BZ Informatik wurde Fernandez 1991 praktisch ¨¹ber Nacht zum Unternehmer. Zwischen 1994 und 1997 entwickelte sein vierk?pfiges Team eine erste Softwarel?sung f¨¹r die Schweizer Bankenindustrie. 2001 folgte der Namenswechsel zu Avaloq, ab 2005 die Ausdehnung auf den internationalen Markt, mit je einer Niederlassung in Luxemburg und Singapur ¨C und dann kam die Finanzkrise.

Nach dem Beinahecrash vieler Banken wurde Banking aufwendiger und teurer; die Margen schrumpften. Die neuen Regulierungen bedeuten viel Arbeit, w?hrend die Anforderungen der Kunden weiter steigen. Das spielt Avaloq in die H?nde: Automatisierung und Standardisierung von Gesch?ftsprozessen sind seither nicht mehr nur ?nice to have?, sondern ¨¹berlebenswichtig. 150 Banken nutzen heute die ?Avaloq Banking Suite?. Allein im Wealth Management werden dar¨¹ber drei Billionen Franken verwaltet. ?Das gibt uns die M?glichkeit, gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern einen De-facto-Standard in der Banken- IT zu schaffen?, sagt Fernandez. Hinzu kommt, dass die Bankenregelungen komplizierter, sch?rfer und nationaler geworden sind. ?Heute ist es f¨¹r Kundenberater, die Bankenprodukte global verkaufen, praktisch unm?glich, alle Regeln f¨¹r die verschiedenen nationalen Jurisdiktionen auswendig zu kennen. Sie brauchen intelligente Software, die sie dabei unterst¨¹tzt.?

Bei Avaloq setzen sich heute 45 Spezialisten allein mit der Steuerproblematik der unterschiedlichen M?rkte auseinander. Die meisten kommen aber nicht aus dem Finanzsektor, sondern sind Ingenieure. ?Oft sind Ingenieure in juristischen und bankfachlichen Fragen sehr versiert. Denn wer Finanzdienstleistungen programmiert, muss die Sache bis aufs Bit hinunter verstehen.? Fernandez macht auch einen Unterschied zwischen Programmierern und Ingenieuren. ?Der eine erh?lt L?sungen und f¨¹hrt sie aus, der andere denkt analytisch und erfindet neue L?sungen.?

Die ETH sei bis heute eine wertvolle Quelle f¨¹r Talente, die genau das k?nnen, erz?hlt Fernandez. ?Wir w¨¹rden gerne noch viel mehr ETH-Absolventen einstellen. Doch wir m¨¹ssen uns die Informatiker mit Banken und IT-Unternehmen teilen.? Dies war ein Grund f¨¹r den Aufbau eines zus?tzlichen Forschungs- und Entwicklungszentrums in Edinburgh. Z¨¹rich bleibt als Standort wichtig und Fernandez ist der ETH bis heute stark verbunden. Er sitzt im Stiftungsrat der externe Seite ETH Z¨¹rich Foundation, ber?t als ?Business Angel? Jungunternehmer und unterst¨¹tzt die Hochschule auch als Donator. ?Gerade als Secondo sp¨¹re ich eine tiefe Dankbarkeit f¨¹r die Chance, die mir die ETH damals bot.? Bei Avaloq stehen die Zeichen nach wie vor auf Wachstum. Zuletzt konnte das Unternehmen ein Joint Venture mit der Raiffeisenbank und die ?bernahme von Outsourcing-Dienstleistungen f¨¹r die Deutsche Bank in Singapur verk¨¹nden. F¨¹r 2014 ist ein Umsatz von rund einer halben Milliarde Franken budgetiert. Hat man bei solch schwindelerregendem Erfolg nicht manchmal auch Angst, dass der H?henflug irgendwann vorbei sein k?nnte? ?St?ndig?, gesteht Fernandez unumwunden. Deshalb sei er immer ?on alert?, nie zufrieden mit dem Status quo, bestrebt, sich und seine Leute aus der Komfortzone zu treiben. Das geh?re f¨¹r ihn zur Kreativit?t des Unternehmers, genauso wie auch zu derjenigen des Jazzmusikers.

Manchmal, wenn Fernandez im KKL Luzern dem chinesischen Pianisten Lang Lang beim Chopinspiel zuh?rt oder in einem Klub dem dominikanischen Latin-Jazz-Pianisten Michel Camillo, tr?umt er davon, selbst wieder auf der B¨¹hne zu sitzen; davon, wie es gewesen w?re, wenn er sich vor ¨¹ber 30 Jahren doch f¨¹r eine Musikkarriere entschieden h?tte. Bereuen tue er nichts, betont Fernandez, ?aber es k?nnte sein, dass ich mit 65 doch noch eine Karriere im Musikbusiness starte, vielleicht als Produzent.?