Glas für Batterieelektrode
Heutige Lithium-Ionen-Batterien sind gut, aber nicht gut genug, falls unser künftiges Energiesystem auf elektrischen Strom abstützt. Chemiker und Materialforscher der ETH Zürich haben nun ein Material entwickelt, das als Elektrodenmaterial in Lithium-Ionen-Batterien die Kapazit?t und Energiedichte heutiger Batterien massiv erh?hen dürfte.
Energieexperten betonen es schon eine Weile immer wieder aufs Neue: In Zukunft werden wir viel mehr (sauberen) Strom brauchen, um fossile Energietr?ger zu ersetzen und den CO2-Ausstoss zu verringern. So sollen beispielsweise anstelle von benzinbetriebenen Autos Elektrofahrzeuge auf unseren Strassen verkehren. Doch damit Elektrofahrzeuge grosse Reichweiten oder Handy-Batterien m?glichst lange Akkulaufzeiten erreichen, braucht es mehr und bessere Batterien. Auch beim Umstieg auf erneuerbare Energiequellen spielen Speicher eine wichtige Rolle, um überschüssigen Strom aus Wind- oder Solarenergieanlagen zu lagern und Schwankungen bei der Energiebereitstellung auszugleichen.
Die Forschung sucht deshalb fieberhaft nach neuen Materialien, die bei gleichem Volumen und Gewicht eine h?here Energiedichte und mehr Ladekapazit?t aufweisen als die heutigen Lithium-Ionen-Batterien. Diese liefern unseren Smartphones, Elektroautos und Laptops zuverl?ssig Strom, k?nnen aber mit den wachsenden Anforderungen an Batterien nicht mithalten. ?Was wir brauchen, sind neue Materialien und eine komplett neue Chemie um sichere, bessere und langlebigere Batterien zu entwickeln?, fasst Semih Afyon, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Elektrochemische Materialien, die Grundidee der Batterieforschung zusammen.
Glaspartikel statt Kristalle
ETH-Wissenschaftler unter der Leitung von Semih Afyon und des emeritierten Chemieprofessors Reinhard Nesper sind diesbezüglich nun fündig geworden. In mehrj?hriger Forschungsarbeit sind sie auf ein Material gestossen, das die Batterieleistung verdoppeln k?nnte. Dabei handelt es sich um ein Vanadat-Borat-Glas, das die Forscher als Kathodenmaterial verwenden, wie sie kürzlich in der Fachzeitschrift ?Scientific Reports? berichteten.
Das Material besteht aus Vorl?ufersubstanzen von Vanadiumpentoxid (V2O5) und Lithium-Borat (LiBO2), das überdies mit reduziertem Graphitoxid (RGO) beschichtet wurde, das die Leistung des Materials als Elektrode verbessert.
Die Forscher verwendeten eine vanadiumbasierte Verbindung, weil es von Vanadium zahlreiche Oxidationsstufen gibt. Vanadiumpentoxid beispielsweise kann in kristalliner Form drei positiv geladene Lithium-Ionen aufnehmen – dreimal mehr als Lithium-Eisen-Phosphat, das in heutigen Kathoden verwendet wird.
Allerdings kann kristallines Vanadiumpentoxid nicht alle der eingelagerten Lithium-Ionen freigeben und es l?sst nur wenige stabile Lade-Entlade-Zyklen zu. Denn beim Laden dringen die Lithium-Ionen in das Kristallgitter ein, sodass die Elektrodenpartikel insgesamt anschwellen, nur um zu schrumpfen, sobald die Ionen die Partikel verlassen. Dies kann dazu führen, dass sich die Struktur des Elektrodenmaterials ver?ndert und Kontakte verloren gehen.
Die Forscher mussten deshalb eine L?sung dafür finden, damit das Elektrodenmaterial bei maximierter Kapazit?t seine Struktur beibeh?lt. So kamen sie auf die Idee, statt einer kristallinen Form ein Vanadium-?Glas? zu verwenden. Glas hat eine sogenannt amorphe Struktur, in der sich die Atome nicht wie in einem Kristall in einem regelm?ssigen Gitter anordnen, sondern in einem wilden Durcheinander.
Kostengünstige und einfache Produktion
Um das Material für die Batteriekathode herzustellen, vermengten die Wissenschaftler pulverf?rmiges Vanadiumpentoxid mit glasbildenden Boraten. ?Das aus dieser Mischung resultierende Glas ist ein neuartiges Material, im Endeffekt also weder Vanadiumpentoxid noch Lithium-Borat? sagt der Forscher. Vanadium (V5+) sei dennoch der aktive Stoff, der die Lithium-Ionen beim Entladen der Batterie aufnehme.
Die Forscher schmolzen das Pulver bei 900°C und kühlten die Schmelze so rasch als m?glich ab. Dabei entstanden hauchdünne Glaspl?ttchen, welche vor ihrer Verwendung wieder zu Pulver zerstossen wurden, um die Oberfl?che zu vergr?ssern und Porenraum zu schaffen. ?Ein grosser Vorteil des Vanadat-Borat-Glases ist seine einfache und kostengünstige Herstellung?, betont Afyon. Das erh?he die Chancen für eine industrielle Anwendung.
Um eine leistungsf?hige Elektrode zu erzeugen, beschichtete der Forscher das Vanadat-Borat-Pulver zudem mit reduziertem Graphitoxid (RGO). Dieses erh?ht einerseits die Leitf?higkeit und schützt andererseits die Elektrodenpartikel. Es behindert die Elektronen und Lithium-Ionen bei ihrem Transport durch die Elektrode jedoch nicht.
Aus dem neuen Material gestaltete Afyon schliesslich die Kathode, die er in Prototypen von Knopfzellenbatterien einsetzte.
Bis zu zweimal mehr Strom
Zu Testzwecken unterzog der Forscher diese Prototypen zahlreichen Lade-Entlade-Zyklen. Bei ersten Versuchen mit Vanadat-Borat-Elektroden, die nicht mit RGO beschichtet wurden, fiel die Entladekapazit?t nach 30 Lade-Entlade-Zyklen drastisch ab, sobald die gespeicherte Ladungsmenge auf 400 Milliampere pro Gramm (mA/g) erh?ht wurde. Mit RGO-Beschichtung hingegen blieb die Kapazit?t auch bei ziemlich hohen Stromraten über 100 Lade-Entlade-Zyklen stabil.
Eine Batterie mit einer RGO-beschichteten Vanadat-Borat-Elektrode verfügte über eine Energiedichte von rund 1000 Wattstunden pro Kilogramm. Sie erreichte eine Entladekapazit?t, die deutlich über 300 mAh/g (Milliamperestunden pro Gramm) lag. Anf?nglich lag diese sogar bei 400 mAh/g, verringerte sich allerdings im Lauf der Lade-Entlade-Zyklen.
?Diese Energie würde dennoch reichen, um ein Handy eineinhalb Mal bis doppelt so lange mit Strom zu versorgen wie heutige Lithium-Ionen-Akkus?, sch?tzt Afyon. Auch k?nnte dies die Reichweite eines Elektroautos um das Eineinhalbfache vergr?ssern. Noch sind diese Werte allerdings rechnerischer Natur.
Patent und Weiterentwicklung
Das neue Material ist auch für die Industrie interessant: Die Firma Belenos, mit der die Forschenden zusammenarbeiteten, hat die Entwicklung bereits zum Patent angemeldet. Die guten Ergebnisse, die die Forscher mit Vanadat-Borat-Glas erzielten, ermutigten sie zu weiterer Forschung. Ein Konsortium unter Jennifer Rupp, Professorin für Elektrochemische Materialien, in dem Afyon Projektleiter ist, arbeitet an einer neuartigen Feststoff-Batterie. In diesem System wird die Vanadat-Borat-Elektrode schon eingesetzt und geprüft. Nun seien sie daran, das System zu optimieren. Insbesondere die Zahl der Lade-Entlade-Zyklen müsse noch stark erh?ht werden, was mit einer besseren Auslegung der Batterie und der Elektrode sowie alternativen Beschichtungen anstelle von reduziertem Graphitoxid erreicht werden k?nne, sagt Afyon.
So funktionieren Lithium-Ionen-Batterien
Heutige Lithium-Ionen-Batterien bestehen aus zwei Elektroden – einer Kathode und einer Anode. Die Anode besteht oft aus Graphit, die Kathode aus Metalloxiden wie Kobaltoxid. In diese Materialien nisten sich die Lithium-Ionen beim Laden oder Entladen ein. Die Elektroden sind durch eine Trennwand getrennt, die nur Lithium-Ionen durchl?sst. Beim Entladen verschieben sich die Lithium-Ionen von der Anode zur Kathode. Dessen Elektronen passen nicht durch die Trennwand und nehmen deshalb den Umweg über ein elektronisches Ger?t, das durch den entstehenden Elektronenstrom angetrieben wird. Elektronen und Ionen treffen sich in der Kathode wieder. Beim Laden werden sie gezwungen, in die umgekehrte Richtung zu fliessen. Damit eine Batterie gut und lange funktioniert, müssen sich die Ionen gut in die Elektrodenmaterialien hinein und hinaus bewegen k?nnen. Auch sollten sich Form und Gr?sse des Elektrodenmaterials durch die wiederkehrende Aufnahme und Abgabe der Ionen nicht wesentlich ver?ndern.
Literaturhinweis
Afyon S, Krumeich F, Mensing C, Borgschulte A, Nesper R (2014): New High Capacity Cathode Materials for Rechargeable Li-ion Batteries: Vanadate-Borate Glasses. Scientific Reports 4, Article number: 7113. doi: externe Seite 10.1038/srep07113