Mit Proteinen die Medizin personalisieren
Ruedi Aebersold ist einer der weltweit führenden Proteomik-Forscher. In den letzten Jahren entwickelte er die Proteomik-Methoden gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam weiter, sodass nun auch ?rzte diese Technik als Werkzeug einsetzen k?nnen. Im Gespr?ch mit ETH-News erkl?rt der Professor der ETH Zürich und der Universit?t Zürich, wie die Information von Proteinen die sogenannte personalisierte Medizin weiterbringen kann.
ETH-News: Medizinforscher m?chten die individuellen Unterscheide von Patienten und die verschiedenen Auspr?gungen einer Krankheit in Zukunft st?rker berücksichtigen, um massgeschneiderte Therapien anbieten zu k?nnen. Als Kriterium dienten ihnen bisher vor allem genomische Unterschiede, das heisst Mutationen in der Erbsubstanz DNA. Sie, Herr Aebersold, gehen nun einen Schritt weiter und m?chten die personalisierte Medizin auf Stufe der Proteine etablieren. Warum?
Ruedi Aebersold: Die molekularen Akteure, die in einem K?rper oder einer Zelle eine Krankheit unmittelbar verursachen, sind zum weitaus gr?ssten Teil Proteine. Schon seit langem messen Pathologen in Gewebeproben bestimmte Proteine, wenn sie Krankheiten diagnostizieren, zum Beispiel einen Krebstyp. Mit einer weitverbreiteten, klassischen Methode machen sie diese Proteine mit Antik?rpern sichtbar. Damit l?sst sich allerdings nur eine Handvoll Proteine aufs Mal bestimmen. Wir entwickelten in den letzten Jahren eine Proteomik-Methode, mit der wir in einer winzigen Gewebeprobe 2000 verschiedene Proteine gleichzeitig und genau bestimmen k?nnen.
Solche Methoden, mit denen das Protein-Muster bestimmt werden kann, sind aber viel aufwendiger als die bestehenden Genom-Analysen.
Erbgut-Mutationen kann man mittlerweile schnell und verh?ltnism?ssig günstig bestimmen, das stimmt. Die genetische Information wird jedoch in der Zelle weiterverarbeitet, und am Ende der biologischen Verarbeitungskette stehen die Proteine. Um eine Krankheit zu beschreiben, sind diese aussagekr?ftiger. Mit der Bestimmung von Tausenden von Proteinen in Gewebeproben m?chten wir den Bogen spannen von der Genomik zu den Krankheiten. Denn oft führen ganz unterschiedliche Mutationen am Erbgut zur selben Krankheit. Oder eine Krankheit ist so komplex, dass sehr viele genetische Puzzlesteine zusammenspielen, von denen wir gar noch nicht alle kennen. Andererseits geben wir mit unserer Proteomik-Methode den Pathologen ein modernes Werkzeug in die Hand, mit dem sie krankes Gewebe weit pr?ziser klassifizieren k?nnen als bisher. Wir haben die Proteomik so weiterentwickelt, dass wir in nur einer Stunde sehr pr?zise und reproduzierbare Resultate liefern k?nnen.
Wie ist Ihnen dies gelungen?
Um in einer Probe die Proteine zu bestimmen, zerlegen wir die Proteine in Bruchstücke, sogenannte Peptide. Mithilfe der Massenspektrometrie k?nnen wir diese Peptide anhand ihrer Masse und ihrer F?higkeit Wasser abzustossen, unterscheiden. Wir gehen davon aus, dass es 10 bis 100 Millionen unterschiedliche Peptide gibt, die aus den verschiedenen Proteinen im menschlichen K?rper entstehen k?nnen. Das ist eine viel zu grosse Zahl, um sie in kurzer Zeit auszuwerten. Viele bisherige Proteomik-Methoden nutzten daher einen Trick: Nach dem ?Prinzip Las Vegas? w?hlten sie zuf?llig etwa jedes tausendste Peptid aus und analysierten diese. Diese Methode hat allerdings den grossen Nachteil, dass sie nicht reproduzierbar ist, weil nicht jedes Mal dieselben Peptide ausgew?hlt werden. Wir hingegen reduzieren die Datenmenge anders: Wir führen die Peptide anhand ihrer Masse und F?higkeit Wasser abzustossen in etwa 30‘000 Gruppen zusammen und analysieren diese innerhalb einer Stunde. In unserer Methode spielt der Zufall keine Rolle, unsere Technik ist daher sowohl reproduzierbar als auch schnell.
In den letzten zwei Jahren optimierten Sie die Methode und wendeten sie jüngst erstmals in Gewebeproben von Patienten an. Mit welchem Erfolg?
In unserer jüngsten Studie massen wir den biochemischen Zustand kleiner Biopsien, konkret von Nierenkrebs-Biopsien, die wir von an der Studie beteiligten ?rzten am Kantonsspital St. Gallen erhielten. Den Befund der Pathologen konnten wir sehr gut auf Protein-Ebene nachvollziehen. Mit unserer Technik erstellen wir digitale Protein-Fingerabdrücke der Proben. Ein weiterer Vorteil ist: Diese Fingerabdrücke k?nnen auch zu einem sp?teren Zeitpunkt erneut analysiert werden. Forscher k?nnen noch in vielen Jahren, wenn sie sich für die Funktion eines bestimmen Proteins interessieren, auf unsere Daten zurückgreifen.
Warum ist die Schnelligkeit der Methode wichtig?
Mithilfe der Proteomik k?nnen wir neue Erkenntnisse am besten dann gewinnen, wenn wir Daten einer grossen Zahl von Menschen – einer sogenannten Kohorte – statistisch auswerten. Wenn eine Methode schnell ist, hat sie die Kapazit?t, grosse Kohorten zu untersuchen.
Sie führen eine Forschungsgruppe von Systembiologen. Wie nahmen ?rzte an den Spit?lern Ihre neue Methode auf?
Wir erhielten positive Rückmeldungen von klinischen Forschern. Und wir erwarten, dass Pathologen die Methode bald für klinische Entscheide verwenden werden. Bisher hatte die Proteomik unter ?rzten einen eher schlechten Ruf, weil sie vergleichsweise teuer und komplex ist. Auch litt die Proteomik unter dem erw?hnten ?Las-Vegas-Syndrom?, der schlechten Reproduzierbarkeit. Diese haben wir nun korrigiert, und wir sind davon überzeugt, dass unsere Methode in der Klinik ein grosses Potenzial hat. Unsere jüngste Forschungsarbeit haben wir daher absichtlich nicht in einer biologischen, sondern in einer medizinischen Fachzeitschrift zur Publikation eingereicht. Davon erhoffen wir uns, ?rzten und Medizinforschern die Vorteile unserer Technik noch st?rker bekannt zu machen. Uns freut auch, dass unsere Methode nicht mehr ausschliesslich auf den Ger?ten funktioniert, die wir verwendeten. Andere Forschende haben die Methode bereits für weitere Ger?te angepasst.
Wie werden Sie die Methode weiterentwickeln?
Wir sind daran, die Zahl der damit messbaren Proteine st?ndig zu erh?hen. Ausserdem m?chten wir die Methode so weiterentwickeln, dass wir damit auch ?ltere Gewebeproben, die in Formaldehyd-L?sung konserviert sind, messen k?nnen. Wir k?nnten dann aufbewahrte Proben von Patienten analysieren, von denen der sp?tere Krankheitsverlauf und die gew?hlte Therapie bekannt sind. So k?nnen wir Zusammenh?nge zwischen Proteinmuster und sp?terem Krankheitsverlauf erkennen.
Personalisierte Medizin ist derzeit in aller Munde – weltweit. In Grossbritannien und in den USA gibt es dazu neue nationale Forschungsprogramme. Wie steht es um die Forschung der personalisierten Medizin in der Schweiz?
Wir sind in der Schweiz sehr gut positioniert, um komplexe Krankheiten mit dem Systemansatz zu untersuchen – unter anderem dank der weitentwickelten systembiologischen Forschung hierzulande. Auch gibt es im Rahmen von ?Hochschulmedizin Zürich? bereits ein Kompetenzzentrum Personalisierte Medizin. Es braucht aber weitere Anreize, damit ?rzte in der Klinik, Forscher und Ingenieure besser zusammenarbeiten k?nnen. ?hnlich wie es Barack Obama jüngst für die USA externe Seite ankündigte, w?re auch in der Schweiz ein nationales Forschungsprogramm für die personalisierte Medizin wünschenswert. Von der wissenschaftlichen Seite gibt es einen breit abgestützten Vorschlag, ein solches in das n?chste Legislaturprogramm ab 2017 aufzunehmen. Ende 2016 kommt ja auch das nationale Forschungsprogramm zur Systembiologie, SystemsX.ch, zu seinem planm?ssigen Ende. Ein ?Personalized Health?-Programm k?nnte darauf aufbauen.
Zur Person
Ruedi Aebersold (60) ist ein Pionier der Proteomik und der Systembiolgie. Die Zeitschrift ?Analytical Scientist? bezeichnete ihn 2013 als den weltweit zweiteinflussreichsten Forscher der analytischen Wissenschaften. Nach einem Studium und der Promotion an der Universit?t Basel war Aebersold am California Institute of Technology und an der University of Washington t?tig. Seit 2000/01 ist er Professor für Systembiologie an der ETH Zürich und der Universit?t Zürich.
Literaturhinweis
Guo T et al.: Rapid mass spectrometric conversion of tissue biopsy samples into permanent quantitative digital proteome maps. Nature Medicine, 2. M?rz 2015, doi: externe Seite 10.1038/nm.3807