«Die Urbanisierung betrifft uns mehr als je zuvor»
Die ?Bi-City Biennale of Urbanism/Architecture Shenzhen? ist die gr?sste Biennale zu den Themen St?dtebau und Architektur. Die ETH-Architekturprofessoren Alfredo Brillembourg und Hubert Klumpner sind dieses Jahr Teil des vierk?pfigen Kuratorenteams. Ein Gespr?ch mit den beiden Co-Kuratoren.
ETH News: Im Dezember wird die Bi-City Biennale 2015 zu St?dtebau und Architektur in den chinesischen St?dten Shenzhen und Hongkong (UABB Shenzhen) er?ffnet. Weshalb haben Sie sich beworben, sie zu kuratieren?
Alfredo Brillembourg: Die Biennale in Shenzhen und Hongkong 2015 ist die einzige Veranstaltung ihrer Art, die sich ausschliesslich den Herausforderungen der Urbanisierung widmet. Shenzhen steht beispielhaft für diesen Prozess. Die Stadt hat sich in den letzten 35 Jahren von einer Ansammlung von Fischerd?rfern auf der Hongkong gegenüberliegenden Flussseite zur viertgr?ssten Stadt in China nach Peking, Shanghai und Guangzhou entwickelt. Die Biennale bietet die M?glichkeit, die Abwanderung aus den l?ndlichen Gebieten in die St?dte zu betrachten. Auch hilft sie zu verstehen, wie sich die Abwanderung im demografischen und physischen Wachstum einer Stadt niederschl?gt und wie sie die Umwelt beeinflusst.
Hubert Klumpner: Die Urbanisierung betrifft die Menschheit heute mehr als je zuvor. Man muss nicht mehr in der Stadt leben, um ein urbanes Leben zu führen. Und gleichzeitig müssen wir den Umgang mit unserer Umwelt überdenken, uns an die sich ?ndernden Bedingungen anpassen sowie die bestehenden Ressourcen neu aufteilen. Wir k?nnen nicht an der Vorstellung eines linearen Wachstums festhalten.
Welchen Hauptbeitrag werden Sie als Kuratoren zur Biennale leisten?
Brillembourg: Als Kuratorenteam haben wir uns der UABB Shenzhen als Gruppe von Fachleuten mit einem starken akademischen Hintergrund, gemeinsamen Interessen und einer Leidenschaft pr?sentiert, Architektur und St?dtebau demokratischer zu gestalten und allen zug?nglich zu machen. Wenn Ressourcen wie saubere Luft und sauberes Wasser knapp sind, werden St?dte zu Konfliktgebieten. Die Mitglieder des Kuratorenteams besch?ftigen sich mit Themen wie dem Wohnbau für neue Familienformen oder dem Zugang zu Ressourcen, aber auch ?sthetischen Aspekten wie Naherholungsgebiete, die dem demografischen Wandel gerecht werden.
Klumpner: Die aus dem 19. und 20. Jahrhundert stammende Faszination für urbane Architektur ist immer noch zu spüren, aber die Methoden und Bebauungspl?ne aus dieser Zeit passen nicht mehr zum heutigen, beispiellosen Wachstum in Südamerika, Asien und Afrika. Die radikalen Urbanisierungsmuster in diesen Regionen stellen die Art und Weise infrage, wie westliche St?dte funktionieren. Das UABB-Komitee hat weltweit nach einem Kuratorenteam gesucht, das sich mit diesbezüglichen Fragen auseinandersetzt – mit Fragen, die das Leben von unz?hligen Millionen von Menschen beeinflussen, die vom Land in die Stadt übersiedeln.
Erz?hlen Sie uns mehr über das Thema ?Re-living the City?.
Klumpner: St?dte sind heute Orte, die Chancen, Erfolg und h?here Bildung bieten. Sie rufen aber auch Ungleichheit, ?berlastung und Armut hervor. Die St?dteplaner tun wenig, um gegen dieses reale und offensichtliche Versagen der Gesellschaft vorzugehen. Wir müssen die wissenschaftlichen, technologischen und politischen Fortschritte, aber auch unsere gr?ssten sozialen und kulturellen Errungenschaften so vielen Menschen wie m?glich zug?nglich machen. Indem wir Wissen bereitstellen, k?nnen wir den Gegensatz zwischen Arm und Reich in den St?dten aufbrechen und Strukturen des Zusammenlebens aufzeigen.
Wie wollen Sie dieses Thema konkret angehen?
Brillembourg: Wir werden uns mit der Entscheidung der chinesischen Zentralregierung besch?ftigen, 250 Millionen Menschen zu urbanisieren. Dies tun wir, indem wir die Verschiebungen vom zweidimensionalen zum mehrdimensionalen Denken im St?dtebau betrachten. Wir wollen alternativen Formen der Produktion und des Wohnungsbaus, des Transportwesens und der sozialen Medien zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Dies wollen wir dem in unserem Berufszweig mehrheitlich vorherrschenden Design-Denken entgegensetzen.
Wie sollen die Forschungen der ETH Zürich darin einfliessen?
Brillembourg: Die Forschung, welche das Departement Architektur und das Departement Bau, Umwelt und Geomatik sowie viele andere Bereiche der ETH Zürich und des Singapore-ETH Centre for Global Environmental Sustainability (SEC) in den Bereichen Architektur, St?dtebau, Robotik, Energieumwandlung, Nahrungsmittel und Umwelt durchführen, sind von h?chster Bedeutung. Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, wie man dieses Wissen wirkungsvoll in die Praxis weitergeben kann.
Klumpner: Das neu gegründete Institute of Science, Technology and Policy kann durch Initiativen wie die Biennale, bei der Wissenschaft und Praxis aneinander gemessen werden, neue Impulse erhalten. Wir planen auch, zusammen mit dem Departement Umweltsystemwissenschaften einen Winterkurs anzubieten, für den die Biennale als lebende Bibliothek oder lebendes Labor dienen soll. Wir denken, dass uns die Zusammenarbeit zwischen Studierenden der ETH Zürich und aus Asien hervorragende M?glichkeiten für eine transdisziplin?re Arbeit bietet.
Was wollen Sie durch die Biennale erreichen?
Brillembourg: Die Biennale in Shenzhen und Hongkong dient genau wie die Biennalen von Venedig oder S?o Paulo dazu, den Puls der Zeit in den Bereichen St?dtebau und Architektur zu messen. ?Re-living the City? ist etwas, was wir eigentlich jeden Tag tun. Aber wir müssen dem Ganzen einen besseren Rahmen geben, um ein besseres und bewussteres Leben zu erm?glichen.
Klumpner: Der Kampf gegen die Armut in den St?dten ist ein offizielles Anliegen. Die schnelle Urbanisierung von Menschen, die in einen unzul?nglichen St?dtebau mündet, ist vielleicht eine der gr?ssten Herausforderungen der Globalisierung. Das betrifft uns alle, da wir alle mit Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsfragen konfrontiert sind. Es liegt ganz in unserem Interesse, diese Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Die UABB Shenzhen bietet uns eine Plattform, um unser Wissen über Stadtentwicklung und deren Erforschung direkt weiterzugeben. Deshalb freuen wir uns, die Biennale zu kuratieren.