Gewalt unter Jugendlichen sinkt
Wissenschaftler der Kriminologischen Forschungseinheit der ETH Zürich haben die Entwicklung der Gewalt unter Jugendlichen im Kanton Zürich untersucht. Die Studie zeigt, dass die Gewaltbereitschaft deutlich sinkt.
Jugendliche im Kanton Zürich haben in den letzten Jahren seltener Gewalt ausgeübt oder erfahren. Das zeigt eine repr?sentative Befragung von Jugendlichen der 9. Klasse, die Wissenschaftler der Kriminologischen Forschungseinheit der Professur für Soziologie der ETH Zürich zum dritten Mal durchgeführt haben. Damit best?tigen die Forschenden die Tendenzen, welche die polizeiliche Kriminalstatistik abbilden: Jugendgewalt ist nicht nur bei den polizeilich registrierten Delikten zurückgegangen, sondern auch in Bezug auf Gewalterfahrungen, wie sie von Jugendlichen selbst berichtet werden.
Alle untersuchten Gewaltformen sind rückl?ufig
Die Wissenschaftler um Denis Ribeaud von der Kriminologischen Forschungseinheit dokumentieren die Entwicklung der Jugendgewalt und der Jugenddelinquenz seit 1999 mit Wiederholungsstudien, die schweizweit einzigartig sind. In Zusammenarbeit mit Schulen im ganzen Kanton Zürich befragten sie letztes Jahr – wie auch schon in den ersten Erhebungen von 1999 und von 2007 – rund 2500 Neuntkl?ssler (15- bis 16-J?hrige) mit einem standardisierten Fragebogen im Klassenverband.
Die Wissenschaftler machen einen Rückgang bei allen untersuchten Formen der Gewalt aus, wobei sie die deutlichste Abnahme bei Raub und Erpressung beobachten, gefolgt von K?rperverletzungen. Auch scheinen Mobbingf?lle in Schulen seltener zu werden. Am wenigsten deutlich sinken die F?lle von sexueller Gewalt an Minderj?hrigen. Hier zeigt die Studie, dass sich die T?terprofile seit der ersten Erhebung im Jahr 1999 ver?ndert haben: weg vom erwachsenen T?ter aus dem famili?ren Umfeld hin zu gleichaltrigen oder etwas ?lteren T?tern, die ihre Opfer typischerweise im Ausgang kennenlernen. Die Opfer von sexueller Gewalt sind fast ausschliesslich M?dchen.
?ffentlicher Raum ist seltener Schauplatz
Insbesondere auf den Strassen, im ?ffentlichen Verkehr, aber auch in Bars und Clubs scheint es in den letzten Jahren friedlicher zuzugehen. Die Wissenschaftler stellen fest, dass die Gewalttaten im ?ffentlichen Raum am deutlichsten abgenommen haben und damit auch die Gewalt zwischen einander unbekannten Personen seltener geworden ist. ETH-Forscher Denis Ribeaud erkl?rt sich dies mit erh?hter Pr?senz der Polizei an den Brennpunkten von Gewalt und mit erfolgreicher Pr?ventionsarbeit im Kanton Zürich. ?Ein weiterer Grund k?nnte sein, dass Jugendliche ihre Freizeit anders gestalten und heute mehr Zeit zu Hause verbringen als noch vor einigen Jahren?, sagt Ribeaud.
Das k?nnte auch erkl?ren, warum nicht nur die Gewalt, sondern auch s?mtliche andere Formen der Jugenddelinquenz wie Vandalismus oder Diebstahl in den letzten Jahren abgenommen haben. Dass Jugendliche in der Schweiz auch weniger Suchtmittel konsumieren, best?tigte vor kurzem auch eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO (externe Seite HBSC-Studie).
Opfer werden zu T?tern
Obwohl Jugendliche immer seltener Opfer von Gewalt werden, erleiden einzelne Opfer langfristig immer mehr Gewalttaten. Auch sind Gewaltt?ter seit 1999 einem stetig wachsenden Risiko ausgesetzt, selbst Opfer von Gewalt zu werden. Insgesamt konzentriert sich Gewalt damit immer mehr in gewaltaffinen Milieus, in denen Opfer- und T?terrolle zunehmend verschmelzen. Junge M?nner aus bildungsfernen Schichten und mit Migrationshintergrund sind in diesen Milieus übervertreten. Hier sieht ETH-Experte Ribeaud Potenzial für die Pr?ventionsarbeit: ?Massnahmen zur Gewaltpr?vention und -intervention k?nnten noch st?rker auf diese Hochrisikogruppe ausgerichtet werden?, erkl?rt er.
Paarbeziehungen und Cybermobbing untersucht
Die Wissenschaftler haben 2014 erstmals Gewalt in jugendlichen Paarbeziehungen erforscht. 18 % der M?dchen in Paarbeziehungen erleiden sexuelle Gewalt, und rund ein Viertel der Jugendlichen in Paarbeziehungen geben an, im letzten Jahr physische Gewalt durch ihren Partner bzw. ihre Partnerin erlitten zu haben. Meist geht es dabei darum, die Selbstbestimmung des Partners oder der Partnerin einzuschr?nken. M?dchen fallen bei leichten Formen physischer Gewalt h?ufiger als T?terinnen auf als Jungen. ?Auch in diesem Bereich k?nnten sich Handlungsfelder für die Pr?ventionsarbeit auftun?, erkl?rt Ribeaud. ?Die Studie zeigt, dass interessanterweise sowohl Jungen als auch M?dchen in einer Partnerschaft eher zu Gewalt neigen, wenn sie in traditionellen Rollenbildern verhaftet sind, also M?nnern in der Beziehung eine dominierende Stellung zukommt.?
Ebenfalls erstmals untersucht haben die Wissenschaftler das Ph?nomen des Cybermobbings, sprich des Mobbings mittels digitaler Medien. Wie die Studie zeigt, ist Mobbing allgemein immer noch die im Jungendalter am h?ufigsten erlebte Form von Gewalt – trotz sinkender Tendenzen. Dabei ist Cybermobbing heute ?hnlich verbreitet wie ?traditionelles? Mobbing und wird oft auch von denselben T?tern verübt.
?ltere Jugendliche im Vergleich
In der aktuellen Erhebung von 2014 nahmen erstmals auch rund 900 Elftkl?ssler (17- bis 20-J?hrige) teil, was ein Vergleich der verschiedenen Altersgruppen erlaubt. Im Vergleich zu den Neuntkl?sslern werden die Elftkl?ssler etwas h?ufiger Opfer von Gewalt und dies besonders oft im ?ffentlichen Kontext. Hauptgrund dafür dürfte sein, dass die ?lteren Jugendlichen h?ufiger ausgehen.
Die Studie wurde (wie bereits 1999 und 2007) zu einem grossen Teil von der Zürcher Bildungsdirektion finanziert. Weitere Geldgeber sind die Sicherheitsdirektion und die Direktion des Innern und der Justiz des Kantons Zürich sowie das Bundesamt für Sozialversicherungen.