Hat die Klimaerwärmung nur scheinbar pausiert?
Der Befund, dass es auf der Erde in den letzten Jahren trotz steigender CO2-Emissionen kaum w?rmer wurde, pr?gt die Klimadiskussion seit geraumer Zeit. Nun behauptet eine Studie der amerikanischen Wetterbeh?rde NOAA, dass die ?Klimapause? gar nicht existiert. Ein lehrreiches Beispiel dafür, was die ?Realit?t? eigentlich ist, und wie Wissenschaft funktioniert.
Ein oft genanntes Argument gegen den menschengemachten Klimawandel ist, dass sich die globale Oberfl?chentemperatur seit 1998 nicht erh?ht hat, obwohl die CO2-Konzentration in der Luft weiter angestiegen ist. Das Ph?nomen der stagnierenden Erderw?rmung ist gemeinhin als Klimapause bekannt und seit l?ngerem Gegenstand einer heftigen Debatte. Skeptiker sahen sich in ihrem Zweifel am Klimawandel best?tigt, w?hrend Wissenschaftler auf der ganzen Welt nach plausiblen Erkl?rungen suchten – und solche auch fanden [1]. Nun sorgt eine neue Arbeit des amerikanischen Wetterdienstes NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) in ?Science? für Wirbel: Die Klimapause, englisch auch ?hiatus? genannt, habe es gar nie gegeben – neue Messdaten zeigten, dass die Erdtemperatur seit 1998 kontinuierlich angestiegen sei. Die fehlende Erw?rmung, zu der es Dutzende von Studien und Begründungen gibt, sei demnach ein Artefakt, also ein methodisch bedingtes falsches Ergebnis. Verschiedene Medien berichteten darüber [2][3].
Kein einheitliches Messnetz
Wie kam es dazu? Die Antwort ist simpel: Es ist schlicht ein komplexer Prozess, die globale Temperatur exakt über die Zeit zu bestimmen. Die Frage, wie genau Meteorologen und Klimaphysiker dabei vorgehen, und welche Schwierigkeiten sich ergeben, werde ich aus Platzgründen in meinem n?chsten Beitrag vertiefen. Daher an dieser Stelle nur so viel: Die globale Temperatur kombiniert Daten von tausenden Messungen, welche die Lufttemperatur über Land und die Wassertemperatur im Ozean ermitteln. Um die verschiedenen Messresultate vergleichbar zu machen und zusammenzuführen, und um Fehler in Stationen zu finden, müssen die Daten immer wieder vereinheitlicht (homogenisiert) und aufeinander abgestimmt (kalibriert) werden. Genau das hatten die NOAA-Forscher gemacht: Sie überprüften die Daten des weltweiten Messnetzes und korrigierten sie.
Vergleichbare Daten und lange Zeitr?ume sind entscheidend
Die neue Studie kalibriert nun die verschiedenen Datentypen im Ozean besser. Zudem berücksichtigt sie mehr Datens?tze und nimmt die letzten zwei Jahre seit dem Klimabericht IPCC von 2013 dazu. Das Resultat ist, dass der Trend über die letzten 15 bis 20 Jahre ?hnlich ist wie die langfristige Erw?rmung vorher. Effektiv unterscheiden sich die Daten aber wenig von den früheren Versionen der gleichen Institution. Das zeigt, dass Trends über kurze Zeitr?ume oft nicht robust genug und daher nicht repr?sentativ sind, um daraus auf die langfristige Entwicklung zu schliessen. Hinzu kommt, dass viele alte Aussagen zum Hiatus auf Datens?tzen basieren, die Gebiete ohne Messungen ignorieren, zum Beispiel die Arktis. Werden die fehlenden Daten durch Nachbarstationen, Satellitendaten oder typische Muster eingefüllt, wird auch die Erw?rmung gr?sser. Die Details sind hier entscheidend [4].
Umsonst die Pause erkl?rt?
Ob es die Klimapause gibt oder nicht, h?ngt also davon ab, welche Daten und welchen Zeitraum man betrachtet. Die Erw?rmung des Ozeans beispielsweise, der am meisten Energie aufnimmt, hat nie pausiert. Auch sind unsere Erkl?rungen für die verlangsamte Erw?rmung damit nicht vom Tisch, insbesondere wenn man die Konsistenz von Beobachtungen und Modellsimulationen betrachtet: Mit dem starken El Ni?o von 1998 und einer Tendenz zu La Ni?a bis 2012 haben die natürlichen Klimaschwankungen einen kühlenden Beitrag geliefert, und damit einher geht gem?ss den Modellen eine leicht h?here W?rmeaufnahme der Ozeane. Ohne diesen kühlenden Effekt der natürlichen Klimaph?nomene w?re der Erw?rmungstrend seit 1998 also wahrscheinlich noch gr?sser gewesen, und damit v?llig konsistent mit den Klimamodellen, wie wir letztes Jahr argumentiert haben (siehe Beitrag in ETH-News). Dass die lückenhaften Messdaten ein Teil des Problems sind, hatten wir damals auch schon betont. Die vielen Studien zur Klimapause waren nicht umsonst – im Gegenteil: Sie haben entscheidend zum besseren Verst?ndnis von kurzfristigen Klimaschwankungen beigetragen, und sie erkl?ren die Unterschiede zwischen Modellen und Beobachtungen.
Fazit für die Wissenschaft
Die Klimapause ist in verschiedener Hinsicht lehrreich. Es ist einfach, ein kurzes Stück aus einer Datenreihe herauszupicken und einen scheinbaren Widerspruch aufzuzeigen, und es verkauft sich gut. Die Realit?t halte sich hartn?ckig nicht an die Modelle, kritisierten einschl?gige Medien kürzlich wieder einmal. Aber was ist überhaupt die ?Realit?t?? Die naive Annahme, dass ein Computermodell stets falsch und die Beobachtungen richtig sind, greift immer ?fter zu kurz. Beobachtungsdaten über lange Zeitr?ume haben alle m?glichen Tücken. Das Klima kann man nicht im Labor aufbauen und vermessen, und wir k?nnen die ?Realit?t? nur n?herungsweise bestimmen, vor allem wenn sie Jahrzehnte zurück liegt.
Wie so oft sind es verkettete Umst?nde und damit mehrere Faktoren, die zusammenspielen und zu einem unerwarteten Ereignis führen – zum Beispiel bei Fukushima oder der Finanzkrise. Bei der Klimapause sind es ein zuf?lliger Trend in El Ni?o, eine starke aber schlecht vermessene Erw?rmung in der Arktis, ein paar kleinere Vulkane sowie eine schw?chelnde Sonne, die die Modellsimulationen nicht voraussehen konnten. Saubere Wissenschaft braucht Zeit, um verschiedene Ideen zu testen, die wiederum von anderen reproduziert werden, bis ein robustes Bild entsteht. Und oft sind es etliche Puzzleteile, die erst zusammengefügt ein Ph?nomen erkl?ren. In einem Tweet oder einem kurzen Artikel l?sst sich so was meist schlecht vermitteln, aber sehr einfach verzerren.
Dass sich die Erde erw?rmt, ist mit der neusten Studie noch klarer geworden. Aber dass damit nun alles klar ist, w?re falsch zu glauben, weil das unserer Grundhaltung als Wissenschaftler widerspricht. Andere Forschungsgruppen werden die neuen Resultate hinterfragen, kritisieren, und die Aussagen verfeinern. Wir müssen kritische Fragen stellen und Herausforderungen annehmen. Wir lernen aus Fehlern und aus unerwarteten Beobachtungen, und das wird auch in Zukunft so sein.
Weiterführende Informationen
[1] Beitrag in ETH-News
[2] NZZ: externe Seite Artikel
[3] Tagesanzeiger: externe Seite Artikel
[4] Realclimate: externe Seite Article