Biomimetischer Zahnersatz

ETH-Materialforschende entwickeln ein Verfahren, mit dem sie die komplexe Feinstruktur von biologischen Verbundmaterialien wie Zähnen oder Muschelschalen nachahmen. Sie können damit künstlich Materialien erschaffen, die genauso hart oder zäh sind wie ihre natürlichen Vorbilder.

Vergr?sserte Ansicht: Bild: Hortense Le Ferrand/ETH Zürich
Querschnitt des künstlichen Zahns unter dem Elektronenmikroskop (Falschfarbenbild): Im Zahnschmelz sind Keramikpl?ttchen vertikal angeordnet, im Zahnbein schr?g bis horizontal. (Bild: ETH Zürich / Hortense Le Ferrand)

In der Natur gibt es kaum langlebigere und z?here  Strukturen als Z?hne oder Muschelschalen. Das Geheimnis dieser Materialien ist ihre besondere Feinstruktur: Sie sind aus verschiedenen Lagen aufgebaut, in denen unz?hlige Mikropl?ttchen in jeweils identischer Ausrichtung aneinander gefügt sind.

Zwar gibt es bereits Methoden, mit denen Materialforscher Perlmutt imitieren konnten. Nach wie vor aber war es eine Herausforderung, ein Material zu erschaffen, das die gesamte Muschelschale nachahmt und vergleichbare Eigenschaften und die komplexe Struktur erreicht.

Nun hat eine Gruppe von Forschenden um André Studart, Professor für komplexe Materialien, ein neues Verfahren entwickelt, welches das natürliche Vorbild beinahe perfekt imitiert. So konnten die Wissenschaftler ein mehrschichtiges, z?hes Material herstellen, das auf dem Bauprinzip von Z?hnen oder Muschelschalen beruht und den Vergleich damit nicht zu scheuen braucht. Den ETH-Forschenden ist es erstmals gelungen, in einem einzigen Stück verschiedene Lagen mit unterschiedlich orientierten Mikropl?ttchen zu erhalten.

Ihr Verfahren nannten die ETH-Forschenden ?magnetisch unterstützten Schlickerguss? (englisch: Magnetically assisted slip casting, MASC). ?Das Sch?ne an unserem neuen Verfahren ist, dass es auf einer 100-j?hrigen Technik aufbaut und diese mit moderner Materialforschung kombiniert?, sagt Studarts Doktorand Tobias Niebel, Mitautor einer Studie, die soeben in der Fachzeitschrift ?Nature Materials? erschienen ist.

100 Jahre alte Technik neu genutzt

Und so funktioniert MASC: Erst erstellen die Forscher von einem beliebigen Objekt einen Gipsabdruck, der als Gussform dient. In diese Form giessen sie eine Suspension, die magnetisierte Keramikpl?ttchen wie zum Beispiel Aluminiumoxid-Pl?ttchen enth?lt. Die Poren der Gipsform saugen den flüssigen Anteil der Suspension langsam auf. Dadurch verfestigt sich das Material von aussen nach innen und wird hart.

Einen schichtartigen Aufbau erhalten die Wissenschaftler, indem sie w?hrend des Gussvorgangs ein Magnetfeld anlegen, dessen Richtung sie in regelm?ssigen Zeitabst?nden ?ndern. Solange das Material flüssig ist, richten sich die Keramikpl?ttchen am Magnetfeld aus. Im verfestigten Material behalten die Pl?ttchen ihre Orientierung bei.

?ber die Zusammensetzung der Suspension und die Ausrichtung der Pl?ttchen lassen sich über einen fortlaufenden Prozess in ein und demselben Objekt verschiedene Schichten mit unterschiedlichen Materialeigenschaften erzeugen. Dadurch entstehen komplexe Materialien, die natürliche Vorbilder wie Perlmutt oder Zahnschmelz nahezu perfekt imitieren. ?Unsere Technik ist ?hnlich wie 3D-Printing, jedoch zehnmal schneller und viel kostengünstiger?, sagt Florian Bouville, Postdoc bei Studart und Co-Erstautor der Studie.

Künstlicher Zahn aus der Gipsform

Um das Potenzial der MASC-Technik aufzuzeigen, fertigte die Forschungsgruppe von André Studart einen künstlichen Zahn an, dessen Mikrostruktur diejenige eines echten Zahns imitiert. Die Oberfl?che dieses Kunstzahns ist hart und komplex strukturiert wie diejenige eines echten Zahnes, w?hrend die darunter liegende Schicht weicher ist, genau wie das Zahnbein im natürlichen Vorbild.

Erst stellten die Erstautorin der Studie, die Doktorandin Hortense Le Ferrand, und ihre Kollegen einen Gipsabdruck eines menschlichen Weisheitszahnes her. Diese Gussform befüllten sie mit einer Suspension, die neben Aluminiumoxid-Pl?ttchen auch Glas-Nanopartikel als M?rtel enthielt. Mit einem Magneten richteten sie die Pl?ttchen senkrecht zur Oberfl?che ihres Objektes aus. Nachdem die erste Lage trocken war, gossen die Wissenschaftler eine zweite Suspension in dieselbe Gussform. Diese Suspension enthielt jedoch keine Glaspartikel. Die Aluminiumoxid-Pl?ttchen in der zweiten Schicht wurden mithilfe des Magneten waagrecht zur Zahnoberfl?che ausgerichtet.

Diese zweilagige Struktur wurde schliesslich bei 1600 Grad ?gebrannt?, um das Material zu verdichten und zu h?rten. Fachleute sprechen bei diesem Vorgang von Sintern. Zuletzt füllten die Forscher die Poren, die nach dem Sintern noch vorhanden waren, mit einem in der Zahnmedizin verwendeten Kunststoff-Monomer, welches sich anschliessend polymerisierte.

Kunstzahn verh?lt sich wie echter Zahn

Mit dem Resultat sind die ETH-Forscher sehr zufrieden. ?Das für den Kunstzahn erhobene Profil für H?rte und Z?higkeit deckt sich genau mit demjenigen eines natürlichen Zahnes ?, freut sich Studart. Das Verfahren und das daraus hervorgehende Material würden sich daher für die Zahnmedizin anbieten.

Die aktuelle Studie sei jedoch erst ein Machbarkeitsnachweis, der aufzeige, dass sich die natürliche Feinstruktur eines Zahnes im Labor nachbilden lasse, so Studart. ?Damit man das Material als Zahnersatz verwenden kann, muss man jedoch dessen Aussehen stark optimieren.? Der künstliche Zahn zeige allerdings deutlich auf, dass man mit dem neuen Verfahren ein Mass an Kontrolle über die Mikrostruktur eines Verbundmaterials erreichen k?nne, die bislang lebenden Organismen vorbehalten blieb. Ein Teil des MASC-Prozesses, n?mlich die Magnetisierung und Ausrichtung der Keramikpl?ttchen mithilfe des Magneten, wurde bereits patentiert.

Das neue Fertigungsverfahren für solch biomimetischen Komplexmaterialien l?sst sich jedoch auch anderweitig verwenden. So k?nnten anstelle der Aluminumoxid-Pl?ttchen auch Kupferpl?ttchen verwendet werden, was den Einsatz solcher Materialien in der Elektronik zuliesse. ?Ausgangsstoffe und Orientierung der Pl?ttchen lassen sich beliebig kombinieren, sodass rasch und einfach eine grosse Palette verschiedenster Materialtypen mit unterschiedlichen Eigenschaften realisierbar w?ren?, sagt Studart.

Vergr?sserte Ansicht: Bild: Tobias Niebel/ETH Zürich
Das natürliche Vorbild in der Gipsform (l.), das Imitat aus dem neuartigen Verbundmaterial, das bereits gesintert wurde, sowie ein in einen Sockel eingepasster Kunstzahn, der für die Elektronenmikroskopie mit Platin beschichtet wurde. (Bild: Tobias Niebel/ETH Zürich)

Literaturhinweis

Le Ferrand H, Bouville F, Niebel TP, Studart AR. Magnetically assisted slip casting of bioinspired heterogeneous composites. Nature Materials, 20. September 2015. doi: externe Seite 10.1038/nmat4419

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert