«Ich finde es spannend, wenn ich widerlegt werde»

Wann hat Ihre Begeisterung f¨¹r die Natur- und vor allem die Materialwissenschaften begonnen? Bereits in Ihrem Elternhaus?
Meine Eltern haben mich immer unterst¨¹tzt, dass ich eine gute Ausbildung bekomme, aber mit meiner Studienwahl haben sie direkt nichts zu tun. Sie leiteten in England ein Wanderzentrum. Von ihnen habe ich meine Leidenschaft f¨¹rs Wandern geerbt. Die Naturwissenschaften habe ich erst in der Schule f¨¹r mich entdeckt. Ich war schon immer gut in Mathematik. Anschliessend habe ich Naturwissenschaften studiert, meinen Doktor in Chemie erworben und eine Stelle als Postdoc in der Angewandten Physik angetreten. Damit war das, was ich tat, im Grunde nichts anderes als Materialwissenschaften. Daher war es nur nat¨¹rlich, dass meine erste Anstellung eine Stelle als Professorin in den Materialwissenschaften war. Was mich fasziniert, ist die Interdisziplinarit?t ¨C die Verbindung von Physik, Chemie und Materialeigenschaften.

Was ist Ihr innerer Antrieb bei der Arbeit?
Ich liebe den Forschungsprozess an sich. Insbesondere mag ich negative Befunde, und zwar nicht minder als positive. Ich finde es wirklich interessant, wenn sich eine These, der ich nachgehe, als falsch herausstellt.

Sie werden gerne widerlegt?
(lacht) Das mag ungew?hnlich klingen. Aber f¨¹r mich bedeutet es, dass ich eine Fragestellung gefunden habe, auf die ich die Antwort noch nicht kenne und dass es hier etwas Neues zu erkunden gibt. Das ist f¨¹r mich Vergn¨¹gen und Herausforderung zugleich. Ich will Dingen auf den Grund gehen und gebe nicht auf, bis ich einen Mechanismus vollst?ndig verstanden habe.

Ist diese Beharrlichkeit eine Grundvoraussetzung f¨¹r den Erfolg in der Wissenschaft?
Ja, das ist so. Der Grossteil der Forschung erfolgt vielmehr in kleinen Schritten als in grossartigen Heureka!-Momenten. Jeder Schritt bedeutet viel Arbeit. Um in der Forschung erfolgreich zu sein, braucht es ein profundes Hintergrundwissen, analytische F?higkeiten und ¨C vielleicht etwas vom Wichtigsten ¨C Kreativit?t.

Sie gelten nicht nur als ausgezeichnete Wissenschaftlerin sondern auch als gute Dozentin. Was gef?llt Ihnen an der Lehre?
Ich finde es spannend, einen Sachverhalt so zu erkl?ren, dass ihn mein Gegen¨¹ber versteht. Auch erzielt man in der Lehre viel schneller Ergebnisse als in der Forschung. Das ist sehr befriedigend.

Warum haben Sie sich entschieden, 2011 von der University of California an die ETH zu wechseln?
Ehrlich gesagt, dachte ich nie, dass ich einen besseren Ort zum Arbeiten und Leben finden w¨¹rde als Santa Barbara. Doch das Angebot der ETH hat mich ¨¹berzeugt ¨C vor allem die Arbeitsbedingungen waren unwiderstehlich. Anders als in den USA kann ich mich hier ganz meiner Forschung und Lehre widmen und muss nicht dauernd Finanzierungsantr?ge schreiben. Zudem wurde auch mein Mann als Professor am Institut f¨¹r Automatik des Departements Informationstechnologie und Elektrotechnik angestellt, was uns sehr wichtig war.

Und jetzt, nachdem Sie ein paar Jahre an der ETH sind? Was haben Sie f¨¹r Erfahrungen gemacht? Was gef?llt Ihnen am besten?
Mir gef?llt die allt?gliche Forschung mit meiner Gruppe am besten. Ich habe fantastische Studierende, Postdocs und Mitarbeitende, weshalb wir eine lebhafte und stimulierende Forschungsumgebung haben, unterst¨¹tzt von einer tollen Administration und Technik. Was ich nicht erwartet habe, ist die sehr positive Einstellung der Schweizer Gesellschaft zu Wissenschaft, Technik und auch zur Bildung. Dadurch entsteht eine positive Atmosph?re sowohl an der Universit?t ¨C die Studierenden sind gut vorbereitet und enthusiastisch ¨C als auch im Allgemeinen. Auch die Verf¨¹gbarkeit von Ressourcen, finanziellen, infrastrukturellen und personellen Mitteln ist ausergew?hnlich. Wenn ich eine gute Idee habe, findet sich immer ein Weg sie umzusetzen.

Hat es beruflich je eine Rolle gespielt, dass Sie eine Frau sind?
Schwer zu sagen, da ich nat¨¹rlich nie als Mann gearbeitet habe. Aber ich habe ganz sicher Unterschiede in der Behandlung von Frauen und M?nnern beobachtet. Ich habe das Gef¨¹hl, dass sich junge Frauen eher f¨¹r eine Karriere in der Wissenschaft entschliessen w¨¹rden, wenn ihnen klar w?re, wie viele gesellschaftliche Probleme sich mit Hilfe der Wissenschaften oder Technologie l?sen k?nnten. Diese Botschaft m¨¹ssen wir noch viel st?rker in die ?ffentlichkeit tragen.

Ist es das, was Ihnen am besten an Ihrer Arbeit gef?llt?
Mir gef?llt, dass alles, was ich tue, eine potenzielle Anwendung hat. Das unterscheidet die Materialwissenschaften deutlich von so manch anderer Wissenschaft. Selbst unsere Grundlagenforschung ist normalerweise irgendwie nahe an der Realit?t.

Das gilt auch f¨¹r die von Ihnen erforschten Multiferroika, f¨¹r die Sie den K?rber-Preis erhalten.
Ja. Multiferroika k?nnten in der Zukunft zum Beispiel beim Speichern und Verarbeiten von Daten in Computern eingesetzt werden. Wir brauchen sie jedoch auch in komplett anderen Anwendungen, so etwa um die Entstehung des Universums zu untersuchen. Wir haben aufgezeigt, dass strukturelle Transformationen in multiferroischen Kristallen Modellsysteme f¨¹r die fr¨¹hen Entwicklungsstufen des Universums sind. Das ist ausgesprochen spannend und momentan mein Lieblingsprojekt.

Hat die Wissenschaft Ihre Wahrnehmung ver?ndert?
Ich erlebe die stoffliche Welt als sehr reich. So wie ein Musiker bei einer Symphonie jeden einzelnen Ton der Komposition wahrnimmt, sch?tze ich die atomare und Mikrostruktur in den uns umgebenden Materialien. Ich frage mich oft, warum sich ein bestimmtes Material so verh?lt, wie es sich verh?lt.

A propos Musik: Das ist in Ihrer Freizeit die andere Leidenschaft neben dem Wandern.
Stimmt. Ich spiele Klarinette, vor allem Kammermusik, und trete unter anderem mit dem Z¨¹rcher Orchester Accento Musicale auf.

K?nnen Sie zum Abschluss des Gespr?chs noch einen Wandertipp geben?
Mmh, es ist gibt so viele tolle Orte. Besonders gef?llt mir das Tessin. Es vereint f¨¹r mich das Beste der Schweiz mit dem guten Essen aus Italien.