Diplomatisches Engineering mit Alt-Bundesrätin
Micheline Calmy-Rey hielt am vergangenen Montag an der ETH Zürich eine ?ffentliche Vorlesung. Sie ?usserte sich zur Schweizer Aussenpolitik und stand für eine aktive Rolle in internationalen Verhandlungen zur nuklearen Abrüstung ein. Der Besuch fand im Rahmen eines gemeinsamen Seminars der Universit?t Genf und der ETH Zürich statt.
Das Interesse an Calmy-Reys Auftritt am vergangenen Montag in Zürich war gross; das Audimax im ETH-Hauptgeb?ude war beinahe bis zum letzten Platz gefüllt. So mancher Besucher dürfte sich vorab gefragt haben: Wie kommt die Politologin, Alt-Bundesr?tin und langj?hrige Vorsteherin des Eidgen?ssischen Departements für ausw?rtige Angelegenheiten (EDA) dazu, an einer technischen Hochschule eine Vorlesung zu halten? Der Schlüssel zur Antwort ist Michael Ambühl, ehemaliger Staatssekret?r im EDA und seit 2013 ordentlicher Professor für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement an der ETH Zürich. Er f?delte den Besuch seiner früheren Chefin ein, die seit 2012 als Gastprofessorin am Europainstitut der Universit?t Genf lehrt. Im Rahmen seines Seminars zu ?Conflict Magagement? hatte der ETH-Professor die Alt-Bundesr?tin eingeladen, über politische Verhandlungen zur nuklearen Abrüstung zu dozieren.
Interessante Kooperationsm?glichkeiten
Die Einladung Calmy-Reys stand gleichzeitig im Zeichen einer Ann?herung zwischen der Professur für Verhandlungsführung an der ETH Zürich und der Professur von Micheline Calmy-Rey am Europainstitut der Universit?t Genf. Erstmals findet n?mlich dieses Herbstsemester in Genf unter der Mitwirkung der ETH-Professur ein Seminar statt, bei dem Verhandlungen zur nuklearen Abrüstung simuliert werden und an dem auch acht ETH-Studierende teilnehmen. Die Idee ist, in einer Lehrveranstaltung aktuelle Verhandlungen so zu simulieren, dass Studierende unmittelbar Einblicke in die Technik des Verhandelns erhalten. 2014 führte Ambühl bereits ein ?hnliches Seminar über EU-Verhandlungen durch, an dem – nebst Studierenden von der Universit?t Zürich – auch Studierende aus Genf teilgenommen hatten.
?Ich würde mich über eine l?ngerfristige, vertiefte Zusammenarbeit mit der ETH sehr freuen?, sagte Calmy-Rey am Montag. Gerade hinsichtlich der offenen Fragen rund um die nuklearen Abrüstung w?re eine Kooperation vielversprechend, zeigte sich Calmy-Rey überzeugt: ?In Zürich gibt es Ingenieure mit viel Fachwissen zur Nukleartechnik. In Genf sind dagegen die meisten internationalen Organisationen zuhause, die sich mit der globalen Abrüstung befassen und deren Vertreter halten oft Vorlesungen an der Universit?t. Diese Kombination ist interessant.?
Die Schweiz als proaktiver ?honest broker?
In der 45-minütigen Vorlesung erl?uterte Calmy-Rey ihre Vorstellung einer weltoffenen und proaktiven Schweizer Aussenpolitik. ?Früher war die Schweiz bei internationalen Verhandlungen nur Gastgeber; heute ist sie der Koch.? Die Schweiz sei durch ihre Neutralit?t in einer idealen Position, um bei internationalen Konflikten die Rolle des ?honest broker? zu übernehmen und den Frieden durch konstruktive Vorschl?ge und Initiativen zu unterstützen. Dies gelte insbesondere für Verhandlungen zur nuklearen Abrüstung. Dabei ging Calmy-Rey auf ihre Erfahrungen bei der Aushandlung eines Atomabkommens zwischen den USA und dem Iran ein. 2006 beschloss sie diesbezüglich eine aktive Neutralit?tspolitik der Schweiz. Gemeinsam mit ihrem damaligen Staatsekret?r Michael Ambühl organisierte sie Treffen der beiden Konfliktparteien in Genf und formulierte Vorschl?ge zur (Wieder-)Aufnahme der Verhandlungen. Die Gespr?che waren Vorl?ufer zum historischen Abkommen in Wien im Juli dieses Jahres.
Nukleare Waffen seien unmoralisch und illegal, weil sie gegen internationales humanit?res Recht verstossen, sagte Calmy-Rey am Montag. Das Zerst?rungspotential des nuklearen Arsenals sei auch heute noch be?ngstigend. Zwar habe man bei der Abrüstung durchaus Erfolge gefeiert, indem heute global weniger nukleare Waffen verfügbar seien als noch zu Zeiten des Kalten Kriegs. Gleichzeitig seien die vorhandenen Arsenale aber technologisch ausgefeilter und gef?hrlicher.
Ann?herung durch Politik der kleinen Schritte
Calmy-Rey gab w?hrend der Vorlesung auch einen kleinen Einblick in ihren Verhandlungs-Werkzeugkasten: Die Methode des ?Diplomatic Engineering? nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein. Darunter versteht sie einen eher technischen Ansatz der Konfliktl?sung, mit dem grosse und oft sehr emotional aufgeladene politische Konflikte in kleinere, eher technische Teilprobleme zerlegt werden. Oft er?ffne erst dies die M?glichkeit, zu Win-win-Situationen für beide Konfliktparteien zu gelangen. Diese Technik kam auch bei den Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran zum Zug, bei welchen das gegenseitige Vertrauen in einer Politik der kleinen Schritte w?hrend Jahren erst einmal aufgebaut werden musste.
Ambühl ?usserte am Ende der Vorlesung seine Freude über den Engineering-Ansatz: ?Das zeigt, dass der Geist des Ingenieurs in sehr vielen Bereichen fruchtbar ist – nicht nur in technischen, sondern auch in politischen.?
Die Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie hier (Dauer 59:42):