Überraschend ein neues Teilchen entdeckt

ETH-Forschende untersuchten die Eigenschaften eines Metalls und stiessen dabei auf ein neues Teilchen. Es ist verwandt mit sogenannten Weyl-Fermionen, die der Mathematiker Hermann Weyl vor fast neunzig Jahren voraussagte. Das neue Teilchen hatte Weyl seinerzeit übersehen, und es k?nnte für zukünftige Anwendungen in der Elektronik interessant sein.

Vergr?sserte Ansicht: Typ-2-Weyl-Fermionen (rechts) haben im Gegensatz zu herkömmlichen Weyl-Fermionen (links) kein symmetrisches Energiespektrum. Die elektromagnetischen Eigenschaften der Typ-2-Teilchen sind daher richtungsabhängig. (Bild: Soluyanov et al. Nature 2015)
Typ-2-Weyl-Fermionen (rechts) haben im Gegensatz zu herk?mmlichen Weyl-Fermionen (links) kein symmetrisches Energiespektrum. Die elektromagnetischen Eigenschaften der Typ-2-Teilchen sind daher richtungsabh?ngig. (Bild: Soluyanov et al. Nature 2015)

Als der ETH-Professor Hermann Weyl im Herbst 1928 eine einj?hrige Gastprofessur im amerikanischen Princeton antrat, hatte der Quantenphysiker Paul Dirac kurz zuvor seine berühmte Gleichung für das Elektron ver?ffentlicht. Diese Formel beschrieb die Eigenschaften von sogenannten Fermionen, Quantenteilchen mit halbzahligem Spin, und l?utete durch ihre Vorhersagen – unter anderem von Antimaterie – das Zeitalter der modernen Teilchenphysik ein. Weyl erkannte, dass Diracs Gleichung im Prinzip auch L?sungen für Teilchen zuliess, die keine Masse haben. 1929 ver?ffentlichte er einen Artikel, in dem er diese masselosen Teilchen mit halbzahligem Spin beschrieb. Sp?ter wurden sie als ?Weyl-Fermionen? bezeichnet.

Physiker an der ETH Zürich haben nun gemeinsam mit Forschern der Princeton University in den USA und der Chinese Academy of Sciences in Peking ein bislang unbekanntes Teilchen gefunden, das ihr illustrer Vorg?nger bei seinen Berechnungen übersehen hatte und das auch danach fast neunzig Jahre lang unentdeckt geblieben war. Das Teilchen tauften sie auf den Namen ?Typ-2-Weyl-Fermion?.

Suche nach neuen Materialeigenschaften

Auf die neue Art von Teilchen stiessen die Wissenschaftler als auf der Suche nach bisher unbekannten physikalischen Eigenschaften Kristalle des Metalls Wolframditellurid (WTe2) untersuchten. ?Eigentlich suchten wir in dem Material insbesondere so genannte ?topologische? Eigenschaften, welche bestimmte Quantenzust?nde des Materials st?rungsresistenter machen?, erkl?rt Alexey Soluyanov, Wissenschaftler in der Forschungsgruppe für  Computational Physics an der ETH Zürich.

Um die physikalischen Eigenschaften der Metallkristalle zu simulieren, liessen die Forscher w?hrend 200,000 Stunden auf den Supercomputern des Nationalen Hochleitungsrechenzentrums externe Seite CSCS in Lugano und der Chinese Academy of Sciences Berechnungen laufen. Nach mehreren Wochen intensiver Auswertung kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass sie etwas g?nzlich Neues entdeckt hatten: Im Wolfram-Ditellurid-Kristall musste es eine bislang unbekannte Art von Fermionen geben, die Typ-2-Weyl-Fermionen.

Zuerst in der Theorie, dann nachgewiesen

Auch das ?normale? Weyl-Fermion existierte zun?chst nur in der Theorie. Lange Zeit nahm man an, dass Neutrinos Weyl-Fermionen sein k?nnten, doch dann fanden Forscher heraus, dass sie eine – wenn auch kleine – Masse besitzen (für deren Nachweis der diesj?hrige Nobelpreis in Physik vergeben wurde). Allerdings vermutete man weiterhin, dass Weyl-Fermionen als Quasi-Teilchen (also kollektive Zust?nde vieler Elektronen, die mit den Atomkernen im Kristall wechselwirken) in sogenannten Halbmetallen vorkommen k?nnten.

Im Juli diesen Jahres wurden dann in Princeton und Peking tats?chlich die masselosen Fermionen experimentell nachgewiesen, die Hermann Weyl einst theoretisch vorhergesagt hatte: In einem Tantal-Arsenid Kristall fanden die Forscher Quasi-Teilchen, die exakt die Eigenschaften der Weyl-Fermionen besassen. So führt ihre fehlende Masse unter anderem dazu, dass sie sich extrem schnell bewegen k?nnen und von Hindernissen im Kristall nicht gest?rt werden. Schon jetzt spekulieren Wissenschaftler, dass sich damit ganz neue M?glichkeiten für elektronische Bauteile er?ffnen k?nnten.  

Das Teilchen, das es nicht geben dürfte

Die nun theoretisch gefundenen Typ-2-Weyl-Fermionen unterscheiden sich von diesen herk?mmlichen Weyl-Fermionen in einem wesentlichen Punkt: Es dürfte sie eigentlich gar nicht geben. Zumindest dann nicht, wenn man, wie auch seinerzeit Hermann Weyl, annimmt, dass Fermionen die Regeln von Albert Einsteins spezieller Relativit?tstheorie und damit die sogenannte Lorentz-Symmetrie einhalten müssen. In ?freier Wildbahn? müssen Teilchen tats?chlich diesen Regeln folgen. Im künstlichen Universum eines Kristalls dagegen kann die Lorentz-Symmetrie gebrochen werden, so dass die m?glichen Energiezust?nde, welche die Elektronen einnehmen k?nnen, sich deutlich von denen unterscheiden, die zur Bildung normaler Weyl-Fermionen führen.

Diese eigentümlichen Energiezust?nde wiederum k?nnten Materialien mit Typ-2-Weyl-Fermionen kuriose und m?glicherweise nützliche Eigenschaften verleihen – etwa die F?higkeit, unter Einfluss eines magnetischen Feldes elektrischen Strom nur in bestimmte Richtungen zu leiten. Ob diese Eigenschaften den Praxistest bestehen, muss sich noch zeigen. ?Im Moment ist das neue Weyl-Fermion eine physikalische Kuriosit?t?, r?umt auch Soluyanov ein, ?aber eine sehr spannende – und es gibt durchaus Potential für Anwendungen?. In jedem Fall haben die Forscher nun nach Jahrzehnten endlich Hermann Weyls Forschung vollendet.

Literaturhinweis

Soluyanov AA, Gresch D, Wang Z, Wu QS, Troyer M, Dai X, Bernevig BA:  Type II Weyl Semimetals. Nature, 25. November 2015, doi: externe Seite 10.1038/nature15768

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