Dreikampf in der Quantenwelt
Bei Phasenüberg?ngen, etwa zwischen Wasser und Wasserdampf, konkurriert die Bewegungsenergie mit der Anziehungsenergie unmittelbar benachbarter Moleküle. Physiker der ETH Zürich haben jetzt Quanten-Phasenüberg?nge studiert, bei denen auch weit entfernte Teilchen einander beeinflussen.
Wenn man Wasser in einem Topf langsam bis zum Kochen erhitzt, so spielt sich in der Flüssigkeit ein spannender Zweikampf der Energien ab. Zum einen ist da die Wechselwirkungsenergie, welche die Wassermoleküle aufgrund deren gegenseitiger Anziehung zusammenhalten will; zum anderen aber versucht die durch das Erhitzen immer gr?sser werdende Bewegungsenergie, die Moleküle voneinander zu trennen. Unterhalb des Siedepunktes beh?lt die Wechselwirkungsenergie die Oberhand, doch sobald die Bewegungsenergie gewinnt, kocht das Wasser und wird dadurch zu Wasserdampf. Dieser Vorgang wird auch als Phasenübergang bezeichnet. Die Wechselwirkung betrifft dabei nur Wassermoleküle, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander befinden.
Forscher um Tilman Esslinger, Professor am Institut für Quantenelektronik der ETH Zürich, und Tobias Donner, Wissenschaftler in seiner Gruppe, haben nun gezeigt, wie man Teilchen dazu bringen kann, einander auch über gr?ssere Entfernungen zu ?spüren?. Durch Hinzufügen solcher langreichweitiger Wechselwirkungen konnten die Physiker neuartige Phasenübergange beobachten, die sich aus Energie-Dreik?mpfen ergeben.
Künstliche Quantenwelten
Die Experimente der Zürcher Physiker finden freilich nicht in einem Kochtopf statt, sondern in einem ?Quantensimulator?, einer künstlich erschaffenen Quantenwelt. Die Forscher kühlen dazu eine winzige Wolke aus Rubidium-Atomen auf Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt ab und fangen sie dann in einem kristall?hnlichen Gitter aus Laserstrahlen ein. Die Wechselwirkungsenergie beruht auf Zusammenst?ssen zwischen Atomen, die zwischen den Gitterpl?tzen hin und her wandern. Die Bewegungsenergie der Atome wiederum kann durch die St?rke der Laserstrahlen gesteuert werden, die bestimmt, wie beweglich die Atome im Inneren des Gitters sind.
Um schliesslich eine Wechselwirkung zwischen weit entfernten Atomen herbeizuführen, benutzen Renate Landig, Doktorandin in Esslingers Arbeitsgruppe, und ihre Kollegen einen technischen Trick. Mit Hilfe zweier hochreflektierender Spiegel bauten sie einen Resonator, der dafür sorgt, dass Lichtteilchen, die von einem der Atome abgelenkt werden, mehrmals durch die Rubidium-Wolke fliegen. Dadurch kommen früher oder sp?ter alle Atome der Wolke mit dem abgelenkten Photon in Kontakt. Sie ?spüren? dadurch die Anwesenheit des Ursprungs-Atoms, welches das Photon als erstes abgelenkt hatte. Dieses Spüren auf Distanz kommt einer effektiven Wechselwirkung mit langer Reichweite gleich. Wie stark die Atome auf diese Weise miteinander wechselwirken, l?sst sich zudem mittels der Frequenz der Laserstrahlen genau kontrollieren.
?Mit Hilfe dieses Kniffes haben wir nun drei Energieskalen in unserem System, die miteinander konkurrieren: neben der Bewegungsenergie und der Wechselwirkungsenergie zus?tzlich auch die Energie der langreichweitigen Wechselwirkung?, erkl?rt Landig. ?Indem wir die Bewegungsenergie und die langreichweitige Wechselwirkungsenergie ver?ndern, k?nnen wir verschiedene neuartige Quanten-Phasenüberg?nge studieren.?
Phasenüberg?nge erster Ordnung
Einige der m?glichen Phasenüberg?nge waren den Forschern bereits bekannt. Wenn zum Beispiel die langreichweitige Wechselwirkung sehr klein ist und die Bewegungsenergie nach und nach erh?ht wird, so wechselt der Aggregatzustand der Rubidium-Wolke von einem Mott-Isolator, in dem auf jedem Gitterplatz ein Atom unbeweglich sitzt, zu einer Supraflüssigkeit, in der sich die Atome vollkommen frei bewegen k?nnen.
Erh?hen die Forscher dagegen die Energie der langreichweitigen Wechselwirkung, so passiert etwas v?llig anderes: Bei einer bestimmten St?rke dieser Wechselwirkung ordnen sich die Atome spontan in einem Schachbrettmuster an, mit jeweils einem leeren Gitterplatz zwischen zwei Atomen. ?Das Besondere dabei ist, dass dieser Phasenübergang, ?hnlich dem von Wasser zu Wasserdampf, ein ?bergang erster Ordnung ist?, betont Donner. Bei solchen Phasenüberg?ngen ?ndert sich eine bestimmte Eigenschaft einer Substanz schlagartig, wogegen bei ?berg?ngen zweiter Ordnung, wie sie bislang in künstlichen Quantensystemen nachgewiesen wurden, die ?nderung graduell ist.
Suprasolidit?t nachgewiesen
Einen weiteren ungew?hnlichen Phasenübergang konnten die Physiker herbeiführen, indem sie sowohl die Bewegungsenergie als auch die langreichweitige Wechselwirkung sehr gross werden liessen. In diesem Fall bildete sich wieder ein Schachbrettmuster im Gitter, doch diesmal bestand zwischen den Atomen eine Phasenkoh?renz, das heisst, ihre quantenmechanischen Wellenfunktionen waren synchronisiert. Eine solche Koh?renz wird normalerweise nur beobachtet, wenn sich die Atome relativ frei bewegen k?nnen, wie dies etwa im supraflüssigen Zustand der Fall ist. Das gleichzeitige Bestehen eines Schachbrettmusters und der Phasenkoh?renz dagegen deutet darauf hin, dass es sich hierbei um eine suprasolide Phase handelt. Der Zwitterzustand der Suprasolidit?t wurde bereits vor fünfzig Jahren theoretisch vorhergesagt, es erwies sich aber bisher als schwierig, ihn zweifelsfrei nachzuweisen.
In Zukunft werden Esslinger und seine Mitarbeiter solche und andere exotische Effekte in ihrem Quantensimulator genauer untersuchen. Das Ziel der Forscher ist es, einen ?berblick über Quantenph?nomene in zunehmend komplexen Systemen zu gewinnen. Dieser Prozess geht Hand in Hand mit der Entwicklung und Erforschung von Materialen mit besonderen Eigenschaften.
Die Forschung wurde durchgeführt im Rahmen von externe Seite TherMiQ, einem europ?ischen Forschungsprojekt, das die Thermodynamik von mesoskopischen offenen Quantensystemen untersucht.
Literaturhinweis
Landig R, Hruby L, Dogra N, Landini M, Mottl R, Donner T, Esslinger T: Quantum phases from competing short- and long-range interactions in an optical lattice, Nature, 11. April 2016, doi: externe Seite 10.1038/nature17409