Auf den Pikometer genau

ETH-News: Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis der LISA Pathfinder-Mission?
Domenico Giardini: Ja, ich bin sehr zufrieden. Das Mess- und Steuerungssystem, dass wir an der ETH Z¨¹rich entwickelt haben, ist ?usserst pr?zise. Die beiden Massenw¨¹rfel bewegen sich relativ zueinander nur um einen Pikometer ¨C 0,000000000001 Meter. Das ist unvorstellbar wenig! Ein Helium-Atom, das kleinste aller Atome, misst rund 32 Pikometer im Durchmesser. Auf der Erde mit normalen Instrumenten lassen sich solch winzige Positionsverschiebungen nicht mehr nachweisen. Deshalb mussten wir alle Ger?te, von Grund auf neu entwickeln und im All testen.

Weshalb ist diese hohe Pr?zision erforderlich?
Die mit LISA Pathfinder gepr¨¹fte Technologie soll einer weitaus gr?sseren Mission dienen: ?LISA: Laser Interferometer Space Antenna?, ein Weltraum-Observatorium, mit dem die ESA Gravitationswellen messen will. Dazu wird die ESA voraussichtlich im Jahr 2034 drei Satelliten ins All bringen und in einem Dreieck anordnen. Diese werden Millionen von Kilometern von der Erde entfernt sein. Jeder einzelne tr?gt zwei solcher Massenk?rper mit sich; Laserstrahlen von Satellit zu Satellit verbinden die Massen. Bei LISA Pathfinder betrug der Abstand zwischen den Massen ja nur 48 Zentimeter. Bei LISA werden es mindestens 1,5 Mio. Kilometer sein, m?glicherweise auch bis zu 5 Mio. Kilometer. Das ist noch nicht festgelegt. Die Pr?zision, um Abweichungen zwischen den Massek?rpern nachzuweisen, muss deshalb viel h?her sein.

Letzten Herbst wiesen Physiker mit dem externe Seite LIGO-Experiment erstmals die Existenz von Gravitationswellen nach. Hat sich dies nicht eher negativ auf LISA ausgewirkt? Nein, auf keinen Fall. Der Nachweis der Gravitationswellen mit LIGO war f¨¹r LISA positiv: Es geht jetzt alles viel schneller vorw?rts.

Weshalb?
LIGO hat nur eine Episode von Sekundenbruchteilen nachgewiesen. Diese wurde produziert durch eine Kollision von zwei Schwarzen L?chern. Jedes davon hatte eine dreissig Mal gr?ssere Masse als unsere Sonne und sie sind 1,3 Milliarden Lichtjahre entfernt. Die ESA ist deshalb noch st?rker von der Notwendigkeit von LISA ¨¹berzeugt. Denn nun wissen wir, dass Gravitationswellen existieren, und wir k?nnen die energiereichsten Ereignisse sehen. Vorher mussten wir Geldgeber, andere Wissenschaftler und Industriepartner erst ¨¹berzeugen, dass Einstein recht hatte, dass es diese Forschung braucht, um seine Theorien zu beweisen. Es ist klar, dass diese Forschung viel kostet, aber dank den LIGO-Funden ist die Basis f¨¹r LISA solider denn je.

Aber macht LIGO die LISA-Mission nicht ein St¨¹ck weit ¨¹berfl¨¹ssig?
Nein. LIGO wird weiterhin nach Gravitationswellen suchen; und die Infrastruktur wird weiterentwickelt. Man wird aber mit dieser Einrichtung nur sehr wenige Episoden pro Jahr aufsp¨¹ren, weil der ?L?rm? auf der Erde sehr hoch ist. Auch kann LIGO nur Wellenl?ngen von wenigen Kilometern messen, da diese der Gr?sse dieser Anlage entsprechen. Das im Rahmen von LISA geplante Messsystem im Weltall hingegen wird Millionen von Kilometern lang sein. Damit werden wir ganz andere Frequenzen von Gravitationswellen und zehntausende von Ereignissen j?hrlich festhalten. Den ?L?rm?, den wir sehen werden, ist nicht mehr derjenige der Erde, sondern die Signale der gr?ssten Ereignisse des Universums!

Kann die Technologie von LISA Pathfinder auf die riesigen Dimensionen von LISA ¨¹bertragen werden?
Das Prinzip des Experiments ist identisch. Der Grossteil der Instrumente wie die Massew¨¹rfel, deren Beh?lter, die Sensoren, die messen, wo die Masse ist, kann alles ¨¹bernommen werden. Wir m¨¹ssen allerdings die Pr?zision um das Zehnfache steigern. Auch das Lasersystem wird bei LISA anders sein; es braucht st?rkere Laser, die die grosse Distanz von einem Satelliten zum n?chsten ¨¹berwinden.

Werden Sie auch an LISA beteiligt sein?
Meine Gruppe und diejenige von Professor Philippe Jetzer von der Universit?t Z¨¹rich werden sich weiterhin beteiligen. Unsere Gruppen arbeiten komplement?r zueinander: Wir arbeiten an der Mess- und Steuerungselektronik, Jetzers Gruppe an den astrophysikalischen Grundlagen. Das erste Treffen bei der ESA hat bereits stattgefunden. Zurzeit sind wir daran, die Spezifikationen f¨¹r diese Mission vorzubereiten. Wir erhoffen uns den Start von LISA in wenigen Jahren.

Zur¨¹ck zu LISA Pathfinder. Was geschieht nun mit dem Satelliten?
Die ESA f¨¹hrt auf dieser Plattform weitere drei Monate lang Experimente durch. Diese dienen dazu, Effekte, welche die Pr?zision beeinflussen, besser zu verstehen. Danach wird der Satellit allm?hlich in Richtung Sonne fliegen. Sein Ende werden wir nicht mitbekommen.

Warum ist ein Seismologe in eine Weltraum-Mission zur Erforschung von Gravitationswellen involviert?
Der Kern des Experiments ist, die Position einer Masse innerhalb des Instruments hochpr?zise messen zu k?nnen. Das entspricht dem Prinzip eines Seismometers! Und Gravitationswellen sind letztlich Wellen, und Seismologen sind darauf spezialisiert, Wellen zu messen.

Wenn Sie auf dieses Projekt zur¨¹ckblicken: Ist es etwas vom Schwierigsten, Bedeutendsten, das Sie in ihrer Karriere gemacht haben?
Bezogen auf die Dauer und die technischen Schwierigkeit des Projekts lautet die Antwort: Ja. Vor 40 Jahren wurde die Idee f¨¹r die Messung von Gravitationswellen im All geboren. Damals scheiterte sie an den technischen M?glichkeiten. Die ESA beschloss deshalb sp?ter, eine Testmission ¨C LISA Pathfinder ¨C durchzuf¨¹hren. Nur schon dieses Vorhaben hat 15 Jahre meiner Laufbahn beansprucht. Nun kommen mit LISA weitere 15 Jahre auf mich zu. Das ist ein Lebensprojekt. Es kommt nicht oft vor, dass man an einem Projekt mitarbeiten kann, das 30 Jahre dauert. Es ist f¨¹r mich deshalb eine grosse Ehre, Teil davon zu sein!