Der schwierige Balanceakt der Forschungsfinanzierung

Wird Forschung privat finanziert, sehen viele die Unabh?ngigkeit bedroht. Diese Sicht greift zu kurz. Mit Politik und Wirtschaft eng verflochtene Experten sind eine logische Konsequenz der Wissensgesellschaft. Es braucht eine Grundsatzdiskussion zu verantwortungsvollen Forschungspartnerschaften.

Vergr?sserte Ansicht: Forschungsfinanzierung als Balanceakt
Ein Akt auf dem Hochseil. (Bild: iStock / BsWei)

Glaubwürdige Wissenschaftler und Universit?ten sind das wertvollste Gut einer Wissensgesellschaft. Neues Wissen w?chst unaufhaltsam, und unsere technologisierte Welt wird von Tag zu Tag komplexer. Die Dauer von der Entdeckung von neuem Wissen bis zur Nutzung wird immer kürzer – der Gesellschaft bleibt so immer weniger Zeit, Innovationen zu verarbeiten, die sich zudem oft kaum mehr von Laien beurteilen lassen. Deshalb z?hlt in unserer Zeit nicht mehr nur die Entdeckung von Unbekanntem zu den wichtigsten Aufgaben der Wissenschaften, sondern auch die Pflege des ?ffentlichen Vertrauens in vernünftige Argumente zur L?sung von gesellschaftlichen Problemen.

Doch dieses Vertrauen ist verletzlich geworden. Wir erleben derzeit eine ?Donald-Trumpisierung? der Gesellschaft. Experten werden zusehends als Teil von korrumpierten Eliten wahrgenommen. Ein lockerer Umgang mit Fakten ist zumindest in der Politik salonf?hig. Da sich vor allem in den Sozialen Medien jeder und jede gleichberechtigt ?ussern kann, wird es zunehmend schwierig, Fakten von Meinungen zu trennen. Doch ignorierte Fakten und fehlendes Vertrauen in gut begründete Argumente gef?hrden die Demokratie und die Zukunftsf?higkeit der Gesellschaft.

Das Primat der freien Forschungsf?rderung

Vertrauen und kritischer Umgang mit Fakten sind zentral für viele Institutionen einer Demokratie – zum Beispiel die Gerichte, Parlamente, Notenbanken, Medien und Universit?ten. Diese Institutionen beruhen auf einer grossartigen aber verletzlichen sozialen Utopie: dem Glauben, dass eine uneigennützige Zusammenarbeit über Generation und Kulturen hinweg trotz individueller Interessen funktioniert. Forschende zum Beispiel verlassen sich t?glich auf das Urteil von Menschen, die sie oft nicht pers?nlich kennen. Als Forscher gehe ich davon aus, dass sich ein Kollege in China, im Iran oder in Kuba nicht von der Regierung beeinflussen l?sst, und eine Kollegin in Nordamerika, Europa oder Japan nicht von finanziellen Interessen.

Ein wichtiger Grund für den verblüffenden Erfolg dieser Utopie ist, dass Richter ebenso wie Wissenschaftler ihre Aufgaben ohne finanzielle Sorgen und damit ohne direkte Einflussnahme von aussen erfüllen k?nnen. Bei den Gerichten oder der Notenbank sind wir uns einig, dass bereits eine geringe Abh?ngigkeit von privaten Geldern problematisch w?re. Bei den Hochschulen stellt sich zunehmend die Frage, inwiefern interessensbasierte Finanzierung die freie Forschungsf?rderung erg?nzen soll. In anwendungsorientierten Bereichen, welche direkt neue Produkte entwickeln oder gesellschaftliche Probleme l?sen, wird die Forschung bereits oft durch direkte Auftr?ge finanziert [1]. Dabei braucht es gerade hier Wissenschaftler, die wilde Ideen verfolgen, querdenken, auch mal scheitern dürfen, und die frei sind, einen Auftraggeber auf einen falschen Ansatz hinzuweisen. Es ist entscheidend, dass es Wissenschaftler gibt, die neue Medikamente, effektive Klimapolitik oder verl?ssliche Finanzsysteme unabh?ngig beurteilen k?nnen. Das erreicht man nur durch genügend freie anwendungsorientierte Forschung: Grundlagenforschung zu Praxisproblemen.

Private Forschungsfinanzierung – eine Gratwanderung

Vor diesem Hintergrund kann auch die Verflechtung der Wissenschaften mit der Wirtschaft problematisch sein. Es besteht kein Zweifel, dass Wissenschaft durch Interessen beeinflussbar ist. Zum Beispiel haben Interessensvertreter w?hrend Jahrzehnten Fakten zum Klimawandel oder zum Rauchen manipuliert [2]. Fragen nach der wissenschaftlichen Unabh?ngigkeit, Interessenbindung und Einflussnahme durch Geldgeber stehen auch in der Schweiz zur Debatte. So wurde die private Finanzierung von Lehrstühlen an Schweizer Universit?ten wiederholt kritisiert.

Andererseits ist eine vollst?ndig unabh?ngige Forschung ein nicht zu erreichendes Ideal – und w?re auch nicht wünschenswert. Forschung f?rdert die Innovationskraft der Wirtschaft. Das funktioniert nicht, wenn sich die Wissenschaftler im Elfenbeinturm zurückziehen. Und gerade die St?rken der unabh?ngigen Forschung – Glaubwürdigkeit, Vielfalt und kritisches Denken – k?nnen dazu beitragen, dass privatwirtschaftliche Innovationsprozesse zu ?kologischen und sozial vertr?glichen Produkten führen. Dafür muss die ?ffentliche Forschung früh in die Produktentwicklung eingebunden sein. Enge Verflechtungen von Experten mit der Wirtschaft sind eine logische Konsequenz der Wissensgesellschaft. Die Frage ist nicht, wie wir diese N?he vermeiden k?nnen, sondern wie wir sie verantwortungsvoll gestalten.

Eine Kultur verantwortungsvoller Forschungspartnerschaften pflegen

Im Fokus der ?ffentlichen Diskussion stehen haupts?chlich Donationen, bei denen Firmen für ganze Professuren aufkommen – zumindest als Anschubfinanzierung. Ob diese die akademische Glaubwürdigkeit gef?hrden, h?ngt von einer kontinuierlich gepflegten Kultur verantwortungsvoller Forschungspartnerschaften ab.

Es ist selbstverst?ndlich, dass in Donations-Vertr?gen zwischen einer Privatfirma und einer Universit?t freies Forschen und Publizieren garantiert werden muss. Aber wie oft bei Kontrollmechanismen (compliance) reicht eine rein formale Regelung oder Delegation an Einzelne nicht. Wo die feine Linie liegt, die nicht überschritten werden darf, h?ngt vom Einzelfall ab, und es spielen informelle Faktoren wie pers?nliche Beziehungen mit. Deshalb braucht es weitergehende Regeln und Prozesse:

 

  • Transparenz: Auftraggeber, Finanzierungsquellen und Vertr?ge sind jederzeit ?ffentlich zug?nglich und werden auf den Publikationen und in der Kommunikation genannt.
  • Code of Conduct: Eine Professur und Universit?t wirbt nie für Produkte eines Partners.
  • Unabh?ngige Kontrolle: Eine Stiftungsprofessur hat einen Beirat mit Vertretern aus der Zivilgesellschaft als Gegengewicht zur privaten Finanzierung.
  • Ombudsstelle: Es gibt eine unabh?ngige Beratungsstelle zu Fragen der Unabh?ngigkeit der Forschung, an die sich Betroffene wenden k?nnen.
  • Kultur des kritischen Denkens: Ein Donations-Vertrag fordert explizit ein, dass sich eine Stiftungsprofessur kritisch mit dem Arbeitsfeld und den Produkten eines Sponsors auseinandersetzt.
  • Ausbildung: Eine Stiftungsprofessorin muss neben fachlicher Exzellenz weitere Kompetenzen und Eigenschaften mitbringen, etwa Integrit?t, eine starke Pers?nlichkeit und Kenntnisse zu ethischen und sozialen Aspekten der Forschung.

Der Umgang der Universit?ten mit privater Finanzierung wurde in der ?ffentlichkeit zum Teil heftig kritisiert. Dabei ging vergessen, dass Universit?ten Teil unserer Gesellschaft sind und damit eine Aufgabe von uns allen. Wieviel sind wir – Sie und ich als Steuerzahler – bereit für (unabh?ngige) Forschung und Lehre zu bezahlen?

Weiterführende Informationen

[1] Viele nationale oder europ?ische Forschungsprogramme etwa orientieren sich explizit an spezifischen politischen und ?konomischen Zielen, die Beh?rden finanzieren Auftragsforschung, und die F?rderagentur für Innovation (KTI) erwartet eine Mitfinanzierung durch und einen unmittelbaren Nutzen für Unternehmen. Die Forschung an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (Fachhochschulen), inklusive der L?hne der Professoren, ist gr?sstenteils durch Auftraggeber finanziert, welche von einem Forschungsprojekt einen direkten Nutzen erwarten.

[2] Oreskes, Naomi und Conway, Erik M. 2014. Die Machiavellis der Wissenschaft. Das Netzwerk des Leugnens. Wiley-VCH, Berlin.

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