Wundersame Vermehrung
Es gibt Bakterien, die sich ihrer Zellwand entledigen k?nnen und eine neue, kugelige Gestalt annehmen. ETH-Forscher zeigen, dass auch diese sogenannten L-Formen lebensf?hig sind und ihre Vermehrungsmechanismen denen von frühen Lebensformen entsprechen k?nnten.
Vor ein paar Jahren entdeckten Forscher aus der Gruppe von ETH-Professor Martin Loessner, dass st?bchenf?rmige Listerien kugelig werden k?nnen. Diese sogenannten L-Formen unterscheiden sich grunds?tzlich von der normalen Bakterienform. Sie entledigen sich ihrer Zellwand, werden dadurch kugelrund und k?nnen sich durch eine Art Knospung vermehren, indem Mutterzellen nach aussen oder in ihr Inneres Tochterbl?schen ?abperlen?. Das Besondere daran: Nicht alle dieser Bl?schen enthalten Erbsubstanz.
L-Formen entstehen etwa dann, wenn gegen Listerien, die schwere Lebensmittelinfektionen verursachen k?nnen, Antibiotika eingesetzt werden. Dies bringt die Bakterien dazu, ihre Zellwand – den Angriffspunkt für den Wirkstoff – abzustreifen. Die verbleibenden Vesikel sind nur durch eine einfache Membran abgegrenzt, was viele Antibiotika wirkungslos werden l?sst.
L-Formen kommen nicht nur bei Listerien vor. Auch Mykoplasmen, Rickettsien und Chlamydien, allesamt Krankheitserreger des Menschen, k?nnen natürlicherweise ohne eine stabile Zellwand auskommen. L-Formen sind jedoch nur unter geeigneten Bedingungen lebensf?hig. Stimmen die osmotischen Verh?ltnisse nicht oder ?ndern diese rasch, sind diese Zellen sehr instabil.
Lebensf?hige Zelle oder totes Zufallsprodukt?
Ob die gebildeten Vesikel, wie die Bl?schen in der Fachsprache heissen, allgemein lebensf?hig sind, konnten die Forschenden bislang nicht eindeutig nachweisen. Neue Experimente von Loessner und seiner Gruppe machen nun aber klar: Die L-Formen sind eine eigenst?ndige Form von Leben, welche sich unbegrenzt vermehren kann. ?Wir haben also früher keine Artefakte beobachtet, sondern eine alternative Lebensform dieser Bakterien?, betont Loessner. Die Resultate ihrer neuen Studie wurden soeben in der Fachzeitschrift Nature Communications ver?ffentlicht.
Darin zeigen die Forschenden auf, dass die Vesikel sich vermehren, indem ein Muttervesikel ein Tochterbl?schen in ihr Inneres einstülpt oder eines nach aussen abl?st. Diese wiederum erzeugen auf dieselbe Weise weitere Vesikel.
Zuf?llige Beigabe von Erbgut
Mit der ersten Membran-Einstülpung in ihr Inneres, dem Cytoplasma, schnürt die Mutterzelle ein Vesikel ab, das mit Stoffen aus dem Umgebungsmedium gefüllt ist. Diesem ersten Tochtervesikel fehlen meist s?mtliche Zellbestandteile sowie auch das Erbgut. Das vom ihm nach innen abgeschnürte zweite Bl?schen ist hingegen mit dem Plasma des Muttervesikels gefüllt. Darin k?nnen nun Bestandteile einer Zelle, die sie zum Leben bef?higen, vorhanden sein, wie Chromosomen und Ribosomen, die Produktionsst?tten für Proteine. Ob dieses zweite Vesikel tats?chlich Erbgut enth?lt, ist allerdings nicht geregelt und zuf?llig. Es ist jedoch gross genug, damit alle lebensnotwendigen Prozesse in ihm ablaufen k?nnen.
Verrücktes Netzwerk von Bl?schen
Als kleinere wissenschaftliche Sensation wertet Loessner den Fakt, dass er und seine Gruppe im Zuge ihrer Forschung an den Listeria-L-Formen feine elastische Verbindungsschl?uche zwischen den nach aussen abgegebenen Vesikeln entdeckt haben. ?Die Vesikel bilden untereinander ein ziemlich verrücktes Netzwerk?, sagt er. Die Schl?uche bestehen wie Membranen aus Fettmolekülen. Dadurch bilden die Bl?schen ein Kontinuum, ?hnlich wie ein Pilzgeflecht. Bis zur vollst?ndigen Abtrennung tauschen die Vesikel über diese Schl?uche Cytoplasma aus.
Genauso aussergew?hnlich ist, dass die L-Formen für die Vermehrung weder eine Zellwand noch ein ringbildendes Protein, das normale Bakterienzellen mit Zellwand bei ihrer Teilung ben?tigen, brauchen. ?Falls es in der Evolutionsgeschichte Zellen ohne Zellwand gab, dann haben sie sich vermutlich so wie die L-Formen geteilt?, erkl?rt Loessner. Das sei allerdings kein biologischer Vorgang, sondern eher ein physikalischer, der direkt von der Menge an gebildetem Membranmaterial abh?ngt. ?Die Vermehrung folgt den Gesetzen der Thermodynamik.? Die L-Formen sind deshalb mit Seifenblasen vergleichbar. Diese verdanken ihre Stabilit?t (und Teilung) ebenfalls rein physikalischen Grunds?tzen.
Literaturhinweis
Studer P, Staubli T, Wieser N, Wolf P, Schuppler M, Loessner MJ. Proliferation of Listeria monocytogenes L-form cells by formation of internal and external vesicles. Nature Communications 7, Article number: 13631 (2016). DOI: externe Seite 10.1038/ncomms13631