Ein Blick in die vierte Dimension

Unter ?vierter Dimension? versteht man f¨¹r gew?hnlich die Zeit, seit Albert Einstein 1905 in Z¨¹rich die spezielle Relativit?tstheorie entwickelte. Wie aber kann man sich eine vierte r?umliche Dimension ¨C zus?tzlich zu oben-unten, rechts-links, vorne-hinten ¨C vorstellen?

In der Kunst hat das zum Beispiel Salvador Dal¨ª versucht: Seine 1954 gemalte Kreuzigungsszene zeigt ein Kruzifix, das aus der dreidimensionalen Auffaltung eines Hyperkubus in vier Dimensionen besteht (?hnlich der Auffaltung eines W¨¹rfels in Quadrate).

Einen ganz anderen, aber nicht weniger faszinierenden Einblick in die vierte Raumdimension haben nun zwei Teams von Wissenschaftlern aus der Schweiz, USA, Deutschland, Italien und Israel gewonnen. In beiden Arbeiten, die k¨¹rzlich im Fachmagazin externe Seite Nature erschienen sind, spielte der ETH-Forscher Oded Zilberberg, Professor am Institut f¨¹r theoretische Physik, eine zentrale Rolle. Er schuf die theoretischen Grundlagen f¨¹r die Experimente, in denen ein vierdimensionales physikalisches Ph?nomen in zwei Dimensionen beobachtet werden konnte.

Der Quanten-Hall-Effekt

In beiden Experimenten ging es um den so genannten Quanten-Hall-Effekt. ?blicherweise tritt dieser Effekt in Grenzfl?chen zwischen zweit Materialien auf, in denen Elektronen sich nur in zwei Dimensionen bewegen k?nnen. Ein senkrecht zum Material stehendes Magnetfeld f¨¹hrt dann zum klassischen Hall-Effekt. Fliesst ein Strom durch das Material, so entsteht senkrecht zur Stromrichtung eine elektrische Spannung ¨C je gr?sser das Magnetfeld, desto h?her die Spannung. Das liegt daran, dass das Magnetfeld eine Kraft erzeugt, die im rechten Winkel zur Bewegungsrichtung wirkt (die Lorentzkraft) und die Elektronen ablenkt.

Bei sehr niedrigen Temperaturen und sehr starken Magnetfeldern kommt allerdings die Quantenmechanik zum Tragen, so dass die Spannung nicht mehr kontinuierlich, sondern in diskreten Stufen ansteigt. Drei Physik-Nobelpreise sind bislang f¨¹r experimentelle und theoretische Arbeiten zum Quanten Hall Effekt vergeben worden.

Eine Frage der Topologie

Der Quanten-Hall-Effekt l?sst sich auch als topologisches Ph?nomen verstehen. Die Topologie beschreibt beispielsweise, wie viele ?L?cher? ein Objekt hat und in welche anderen Formen es sich ohne Zerschneiden umwandeln l?sst. ?hnliche Gesetze f¨¹hren beim Quanten-Hall-Effekt dazu, dass die Elektronen sich nur auf topologisch genau bestimmten Bahnen bewegen k?nnen. F¨¹r bestimmte St?rken des Magnetfelds etwa kann der elektrische Strom nur an den R?ndern des Materials, nicht aber in seinem Inneren fliessen.

Vor etwa zwanzig Jahren wurde mathematisch gezeigt, dass es entsprechende topologische Effekte auch in vier r?umlichen Dimensionen geben sollte. ?Das war damals aber eher Science-Fiction?, sagt Oded Zilberberg, ?denn so etwas in Experimenten tats?chlich zu beobachten, schien unm?glich ¨C der physikalische Raum hat nun einmal nur drei Dimensionen. ?

Virtuelle Dimensionen durch topologisches Pumpen

Doch Zilberberg hatte eine clevere Idee: Mit Hilfe von so genannten topologischen Pumpen sollte es m?glich sein, den beiden realen Dimensionen des Quanten-Hall-Effekts noch jeweils eine virtuelle Dimension hinzuzuf¨¹gen. Eine topologische Pumpe funktioniert dadurch, dass eine bestimmte Kontrollgr?sse des physikalischen Systems moduliert wird, wodurch sich sein Quantenzustand im Laufe der Zeit auf charakteristische Weise ?ndert. Das Endresultat sieht dann so aus, als habe sich das System in einer zus?tzlichen Raumdimension bewegt. Auf diese Weise kann man theoretisch ein zweidimensionales System in ein vierdimensionales verwandeln.

Ein optisches Abbild der vierten Dimension

Dass dies auch in der Praxis funktioniert, haben Wissenschaftler nun in zwei unabh?ngigen Experimenten gezeigt. Physiker um Mikael Rechtsman an der Penn State University in den USA verwirklichten Oded Zilberbergs Idee gemeinsam mit der Forschungsgruppe von Kevin Chen an der University of Pittsburgh, indem sie mit Laserstrahlen ein zweidimensionales Gitter aus Wellenleitern in einen f¨¹nfzehn Zentimeter langen Glasblock brannten. Diese Wellenleiter waren allerdings nicht geradlinig, sondern wanden sich schlangenf?rmig durch das Glas, so dass die Abst?nde zwischen ihnen sich entlang des Glasblocks ?nderten. Lichtwellen, die sich durch die Wellenleiter bewegten, konnten so je nach Abstand mehr oder weniger leicht in einen benachbarten Wellenleiter ¨¹berspringen.

Diese sich stetig ver?ndernden Kopplungen zwischen den Wellenleitern wirkten als topologische Pumpen und verdoppelten so die Anzahl der Dimensionen des Experiments von zwei auf vier. Den erwarteten vierdimensionalen Quanten-Hall-Effekt konnten die Forscher nun buchst?blich ?sehen?, indem sie auf einer Seite des Glasblocks Licht in die Wellenleiter speisten und mit einer Videokamera aufnahmen, was auf der anderen Seite herauskam. So wurden zum Beispiel die f¨¹r den vierdimensionalen Quanten-Hall-Effekt charakteristischen Randzust?nde, in denen nur aus den Wellenleitern am Rand des Gitters Licht austreten sollte, direkt sichtbar.

Vierdimensionaler quantisierter Transport von kalten Atomen

Mit Hilfe von extrem kalten Atomen, die in optischen Gittern aus gekreuzten Laserstrahlen gefangen sind, realisierten Immanuel Bloch und seine Mitarbeiter am Max-Planck-Institut f¨¹r Quantenoptik in M¨¹nchen ebenfalls topologische Pumpen. In ihrem Experiment wurde das Pumpen dadurch erreicht, dass die Eigenschaften der gespaltenen Gittert?pfe, in denen die Atome eingefangen waren, periodisch ver?ndert wurden.

Durch Messungen der zweidimensionalen Bewegung der Atome in dem Gitter konnten sie best?tigen, dass sich diese gem?ss dem Quanten-Hall-Effekt in vier Dimensionen verhielten. Insbesondere konnten sie direkt die quantisierten Transportph?nomene beobachten, die f¨¹r diesen Fall vorhergesagt worden waren (und die der senkrecht zur Stromrichtung entstehenden Spannung im gew?hnlichen, zweidimensionalen Quanten-Hall-Effekt entsprechen).

Fortschritt in der Grundlagenforschung

Der praktische Nutzen des Ganzen? ?Im Moment sind diese Experimente noch meilenweit von n¨¹tzlichen Anwendungen entfernt?, gibt Zilberberg zu. Doch f¨¹r die Grundlagenforschung stellen sie einen wichtigen Fortschritt dar. Physiker k?nnen jetzt nicht nur auf dem Papier, sondern auch experimentell untersuchen, welche Auswirkungen Ph?nomene aus vier (oder sogar noch mehr) Dimensionen in unserer allt?glichen dreidimensionalen Welt haben k?nnen.

Ein Beispiel daf¨¹r sind Quasikristalle in Metalllegierungen. In drei Raumdimensionen habe diese zwar keine periodische Struktur, doch sieht man sie sich in virtuellen h?heren Dimensionen an, so weisen sie wieder regelm?ssige Muster auf. Und schliesslich ist da noch die Stringtheorie, gem?ss der h?here Raumdimensionen derart ?kompaktifiziert? sein sollen, dass am Ende unsere normale dreidimensionale Welt entsteht.