Superprothesen und die Realität
Dank Assistenzger?ten k?nnten Menschen bald beinahe übermenschliche Leistungen erbringen. Es gibt allerdings dringendere Ziele als die Entwicklung von Supermenschen, meint Robert Riener.
Was vor kurzem noch als Zukunftsperspektive beschrieben wurde, ist Realit?t geworden: Erste Menschen, die sich als Cyborgs bezeichnen, haben sich Chips implantieren lassen und ?ffnen damit Türen und zahlen bargeldlos. Die neusten robotischen Handprothesen erm?glichen s?mtliche Griffarten und Fingerfertigkeiten. Parathleten treten mit ihren Lauf- und Sprungprothesen gegen die besten, nicht-beeintr?chtigen Athleten an – und gewinnen. Und robotische Haustiere und sprechende humanoide Roboter sorgen für Aufheiterung in Pflegeheimen.
Medien prophezeien gar, dass die Hochtechnologie eine physiologische Erweiterung und Verbesserung erm?glicht, die alle bisherigen menschlichen Leistungen in den Schatten stellen wird: H?rger?te sollen dereinst ein ultimatives H?rverm?gen verleihen, Retina-Implantate die Sicht so scharf wie jene eines Adlers machen und motorisierte Exoskelette den Soldaten zur ausdauernden Kampfmaschine transformieren.
Heldenmythen und Hollywood
All diesen Prophezeiungen zum Trotz: Dass wir dank Robotik schon morgen zu Supermenschen werden, geh?rt in die Welt der Heldenmythen und nach Hollywood. Im Vergleich zur heute verfügbaren Technologie ist unser K?rper ein Wunderwerk, das dank seiner Komplexit?t und Leistungsf?higkeit ein extrem breites Aufgabenspektrum zul?sst. Hunderte von effizient arbeitenden Muskeln, Tausende von unabh?ngig arbeitenden motorischen Einheiten sowie Millionen von sinneswahrnehmenden Rezeptoren und Milliarden von Nervenzellen bef?higen uns zu filigraner Pinzettenarbeit genauso wie zum Heben schwerer Lasten. Zudem ist unser Bewegungsapparat sehr anpassungsf?hig, kann sich zum Teil selbst reparieren und ben?tigt nur sehr wenig Energie, die wir über überschaubare Mengen von Nahrung zu uns nehmen.
Das machen uns die Maschinen so schnell nicht nach. Viele heutige Assistenzger?te bleiben Laborexperimente oder Nischenprodukte für sehr spezifische Aufgaben. Der Behindertensportler Markus Rehm verwendet seine innovative Sprungprothese nicht zum Spazierengehen oder Autofahren. Heutige Standard-Armprothesen helfen nicht beim Schuhebinden und Hemdzukn?pfen. Hebevorrichtungen in der Pflege werden weder für die K?rperhygiene verwendet, noch dienen sie der psychologischen Therapie. Und von den robotischen Haustieren entw?hnt man sich schnell, wenn erst einmal die Batterien leer sind.
Reale Probleme l?sen
Dass Entwicklung weiter voranschreitet, l?sst sich nicht leugnen. Seit der wissenschaftlichen und industriellen Revolution haben wir uns von einem unstillbaren Fortschritt und Wachstum abh?ngig gemacht. Wir k?nnen uns in der heutigen Welt von diesem Fortschritt und Wachstum nicht mehr trennen. Es gibt allerdings vordringlichere Ziele als jene der Entwicklung von Supermenschen.
?Wir sollten unsere Zeit nicht mit Cyborg-Euphorien oder Digitalisierungs-Hysterien vergeuden.?Robert Riener
Zum einen müssen die Ingenieure sich den realen Problemen der Patienten, alten Menschen und Menschen mit Beeintr?chtigungen widmen. Es braucht bessere technische L?sungen, die den Menschen im ganz normalen Alltag zuhause und bei der Arbeit helfen. Wir brauchen motorisierte Prothesen, die auch bei Regen noch funktionieren und Rollstühle, die auch im Schnee noch man?vrierf?hig sind und noch durch die Türe passen. Sprechende Pflegeroboter müssen auch vom schwerh?rigen Rentner noch verstanden werden, sowie einfach und zuverl?ssig zu bedienen sein. Die Akkus sollten mindestens einen ganzen Tag lang halten, so dass sie über Nacht aufgeladen werden k?nnen.
Zudem müssen die finanziellen Mittel bereitstehen, so dass alle Menschen Zugang zum aktuellen Stand der Technik bekommen. Das schliesst die hochwertige Haushaltsprothese für den Familienvater genauso mit ein, wie die Zweitprothese für die Athletin und die Prothese für den Rentner.
Barrieren abbauen
Und genauso wichtig wie die Weiterentwicklung von Prothesen und Assistenzger?te ist es, physische Barrieren zu vermeiden oder abzubauen. G?be es keine Treppen, so k?nnte man sich auch so manche aufw?ndige Sonderl?sung wie zum Beispiel Treppenlifte oder Treppenrollstühle sparen – wahrscheinlich auch vollmotorisierte Exoskelette.
Und man muss dafür sorgen, dass sich das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft ?ndert. Es braucht eine bessere Wahrnehmung für die allt?glichen Herausforderungen von Patienten und Menschen mit Behinderungen. Dazu müssen die Menschen schon im Kindesalter mit der Thematik Behinderung konfrontiert werden. Entsprechende Projekte müssen Zuhause und in der Schule gef?rdert werden, so dass auch das Leben mit Einschr?nkungen zur Normalit?t wird und eine Teilhabe aller Menschen in der Gesellschaft m?glich wird. Barrieren müssen demnach auch in den K?pfen der Menschen abgebaut werden.
Der Weg zu fast überirdisch anmutenden Supermenschen ist noch sehr weit. Wir alle, die diese Zeilen heute lesen, werden das nicht mehr erleben. In der Zwischenzeit sollten wir versuchen, die irdischen Herausforderungen in den Griff zu bekommen, um den Alltag mit und ohne Technik zu vereinfachen, Teilhabe zu erm?glichen und Lebensqualit?t zu verbessern, anstatt unsere Zeit mit Cyborg-Euphorien oder Digitalisierungs-Hysterien zu vergeuden.