Chinas Aufstieg zur neuen KI-Supermacht

China will bis 2030 die fu?hrende Nation im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) werden. Die Politikwissenschaftlerin Sophie-Charlotte Fischer analysiert den aktuellen chinesischen KI-Aufschwung im Rahmen ihrer Doktorarbeit.

Mann scannt sein Gesicht mit einem iPhone
In China ist die kulturelle Affinit?t für neuen Technologien noch viel h?her als in westlichen Kulturen. (Foto: istockphoto.com/wonry)

Es war, als w?re Europa pl?tzlich aus einem Dornr?schenschlaf erwacht: Am 29. M?rz pr?sentierte Emmanuel Macron Frankreichs nationale Strategie für die Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI). Das Elysée will in den kommenden fünf Jahren 1,5 Milliarden Euro in KI-Forschung und entsprechende Start-ups investieren. ?Macron hat verstanden, dass er etwas unternehmen muss, wenn der Kontinent punkto KI nicht abgeh?ngt werden soll?, kommentiert Sophie-Charlotte Fischer, Politikwissenschaftlerin und Doktorandin am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zu?rich.

Atemberaubende Ambitionen

Ausschlaggebend für das neue europ?ische Interesse am Thema KI war unter anderem die Ver?ffentlichung des ?Next Generation Artificial Intelligence Development Plan? (AI Plan) Chinas im Juli 2017. Darin beschreibt die Regierung atemberaubende Ambitionen: Bis zum Jahr 2020 soll der technologische Rückstand zum Westen im Bereich KI aufgeholt sein; bis 2025 soll die chinesische KI-Industrie j?hrlich 60 Milliarden Dollar umsetzen und bis 2030 will China die Welt im Bereich der KI dominieren.

Fischer hat sich in einer aktuellen CSS-Analyse mit dem Aufstieg Chinas zur KI-Supermacht besch?ftigt. Dieser hat l?ngst begonnen: In China erscheinen heute mehr Forschungspublikationen zu KI als in den USA (wenn auch Letztere in den Rankings punkto Relevanz noch bedeutend h?her liegen). Praktisch alle grossen chinesischen Tech-Unternehmen haben Forschungslabore im Silicon Valley aufgebaut. Darunter die Tech-Giganten Tencent (Messaging), Baidu (Suchmaschine) und Alibaba (E-Commerce), die alle stark in den Bereich KI investieren.

Unternehmen werden gezielt von Chinas Regierung unterstützt, sich im Silicon Valley anzusiedeln. Von 2014 bis 2017 investierten chinesische Unternehmen zudem u?ber 13 Milliarden Dollar in die ICT-Industrie in den USA. Neu ist auch, dass Forschende, die an amerikanischen Universit?ten studiert oder im Silicon Valley gearbeitet haben, wieder nach Peking oder Shanghai zurückkehren, angelockt durch lukrative Angebote der heimischen Tech-Unternehmen und Universit?ten.

CSS-Analyse
(Bild: CSS/ETH Zürich)

?Für das Silicon Valley wird es Zeit, paranoid zu werden?, schrieb das Magazin ?The Economist? im Februar. Fischer beurteilt die Ankündigungen Chinas trotz des rasanten Aufstiegs kritisch: ?Die leistungsst?rksten Mikrochips fu?r KI-Anwendungen kommen nach wie vor aus den USA.? Auch betr?gt das Gesamtmarktvolumen chinesischer Tech-Firmen erst 32 Prozent der amerikanischen. Dagegen h?lt es die Forscherin für m?glich, dass China mittelfristig seine KI-Standards global durchsetzen wird – basierend auf einem heimischen Markt mit potenziell 1,5 Milliarden Nutzern.

KI fu?r Waffen und ?berwachung

Der Aufstieg Chinas zur KI-Superpower weckt besonders in den USA ?ngste. ?Ku?nstliche Intelligenz kann sowohl fu?r zivile als auch fu?r milit?rische Zwecke genutzt werden?, erkl?rt Fischer. Doch anders als bei herk?mmlichen ?Dual Use?-Technologien, wie der Nuklearenergie, ist die Entwicklung und Verbreitung von KI schwer zu kontrollieren. Die meisten Forschungspublikationen erscheinen n?mlich Open Source und sind für jedermann zug?nglich. Davon hat China stark profitiert – zus?tzlich zum Wissenstransfer durch chinesische Forscher in den USA.

US-Politiker fu?rchten zunehmend, dass durch den Kauf von amerikanischen Start-ups durch chinesische Investoren milit?risch relevante Technologien in die H?nde Chinas gelangen k?nnten. Neben einer potenziellen milit?rischen Verwendung von KI erkennen politische Beobachter und Menschenrechtsaktivisten eine weitere Gefahr: Die chinesische Strategie sieht n?mlich vor, dass KI auch für den ?Erhalt der sozialen Stabilit?t? eingesetzt wird. Dies weckt vor dem Hintergrund zunehmender politischer Repression und sozialer Kontrolle unter dem aktuellen Pr?sidenten Xi Jinping ?ngste.

Wie Kontrolle und KI zusammengehen, zeigt die derzeitige Lancierung eines ?Social Credit System?: In mehreren chinesischen St?dten wird das Verhalten von Bu?rgern mittels Videokameras und Bilddaten aus staatlichen Datenbanken sowie pers?nlichen Daten aus dem Internet permanent bewertet. Wer ein von der Regierung propagiertes Verhalten an den Tag legt, erh?lt zum Beispiel bessere Konditionen bei Krediten oder einen einfacheren Zugang zu guten Schulen. Wer sich dagegen auff?llig verh?lt, darf das Land eventuell nicht mehr verlassen.

Bis heute wurden in China 176 Millionen ?berwachungskameras installiert und bis 2020 sollen nochmals 450 Millionen hinzukommen. Im Potenzial, das aus diesen Daten in Verbindung mit fortgeschrittener KI entsteht, erkennt auch Fischer ?eine m?gliche Realisierung einer Orwell’schen Idee von totaler ?berwachung?.

Kooperation und Konkurrenz

W?hrend in Politik und Zivilgesellschaft Vorbehalte gegenu?ber Chinas KI-Boom vorherrschen, ist das Interesse am neuen aufstrebenden Markt bei amerikanischen Tech-Unternehmen gross. Alphabet (Google) gab vergangenen Dezember bekannt, dass es ein neues KI-Forschungszentrum in Peking er?ffnen wird. Dies obschon sowohl die Suchmaschine als auch der E-Mail-Dienst von Google in China gesperrt sind.

Fischer ist u?berzeugt, dass der chinesische Markt fu?r westliche KI-Unternehmen wichtiger wird: ?Die kulturelle Affinit?t fu?r neue Technologien ist in China noch viel gr?sser als bei uns.? Das hat sie w?hrend privater Reisen selbst erlebt. ?Sogar in den l?ndlichen Gebieten Chinas wird heute vielerorts mit dem Smartphone bezahlt.? Das erm?gliche Unternehmen, neue Entwicklungen schnell in der Anwendung zu testen. Mit 731 Millionen Internetnutzern, die gemeinhin mehr Daten von sich preisgeben als in den USA, sowie laschen Datenschutzregulierungen bietet China einen ?usserst fruchtbaren Boden für neue Entwicklungen.

Entsprechend warnt Fischer vor einer zu einseitigen Perspektive auf die interkontinentalen Beziehungen. ?Sowohl chinesische als auch amerikanische Unternehmen profitieren von den Fortschritten im jeweils anderen Land?, sagt sie. ?Die Entwicklung von KI ist sowohl von Kooperation als auch Konkurrenz gepr?gt.?

Die CSS-Analyse ?Artificial Intelligence: China’s High-Tech Ambitions? von Sophie-Charlotte Fischer kann kostenlos heruntergeladen werden. 

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