Forschen in Zeiten von Fake News

Bekannte Symptome

Die Probleme in einem postfaktischen Zeitalter sind zumindest oberfl?chlich bekannt: Demokratie erfordert informierte Menschen, die trotz verschiedenen Ansichten gemeinsam L?sungen finden. Aber die Demokratisierung des Wissens ¨¹ber die sozialen Medien f¨¹hrt dazu, dass jede und jeder immer einfacher und schneller zu allem etwas sagen kann. Alle reden, niemand h?rt zu, und als Experte ist man dabei oft eher verd?chtig als vertrauensw¨¹rdig.

In den sozialen Medien bewegen wir uns in Blasen, Qualit?tskontrollen gibt es keine, und Katzenfilme oder kontroverse Aussagen erhalten am meisten ?Likes?. Fake News verbreiten sich auf Twitter schneller und weiter als Fakten³.

Es gibt Gr¨¹nde, warum man es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Manchmal geht es schlicht um Aufmerksamkeit oder Werbeeinnahmen. Beim Klima sind es oft politische oder wirtschaftliche Interessen. Shell dokumentierte in einem internen Bericht schon 1988 die Gefahren des menschgemachten Klimawandels und m?gliche Auswirkungen auf die ?lindustrie. Dennoch versuchte der Konzern jahrelang, den wissenschaftlichen Konsens ?ffentlich in Frage zu stellen⁴.

Heute glaubt in den USA immer noch jeder vierte registrierte W?hler, dass es die Erw?rmung ¨¹berhaupt nicht gibt⁵. St?rker als in anderen L?ndern sind dort die Ansichten zum Klimawandel von der politischen Ideologie gepr?gt: Man ?glaubt? nicht an den Klimawandel, weil m?gliche Antworten darauf (h?here Energiepreise, staatliche Regeln) der pers?nlichen neoliberalen ?berzeugung von ungebremstem Wachstum und minimalem Staat widersprechen.

H?nderingend bei den Antworten

Viele dieser Diagnosen sind nicht neu. Die unterliegenden Probleme werden aber durch schwindenden Qualit?tsjournalismus, sozial-mediales Geschrei und in der Folge durch eine immer st?rker polarisierte Gesellschaft weiter akzentuiert. Wie geht man mit Fake News am besten um?

Ich habe keine abschliessende Antwort. Bei einigen auf den ersten Blick plausiblen Reaktionen ist mittlerweile aber (nicht nur mir) klar: Sie funktionieren nicht. Mehr Fakten in noch mehr Berichten sind zwar relevant f¨¹r Entscheidungen und technische L?sungen, aber sie ?ndern die Meinung der schon ?berzeugten kaum. Im Gegenteil: Fake News klarzustellen, erh?ht oft nur deren Sichtbarkeit.

Die allermeisten meiner Versuche, auf Anfeindungen oder willk¨¹rliche Behauptungen zu reagieren und online mitzudiskutieren, sind nicht fruchtbar. Sie erwecken vielmehr den Eindruck, dass die Sachlage ungekl?rt ist und alles zur Debatte steht. Erstaunlich ist, dass auch ein ?ffnen der Blase offenbar nicht hilft: Menschen, die freiwillig zustimmten, t?glich auf Twitter mit anderen Sichtweisen konfrontiert zu werden, waren danach noch fester von ihren Ansichten ¨¹berzeugt⁶.

Sich dennoch einbringen

Es gibt aber auch Lichtblicke: Neuere Arbeiten zeigen, dass Leser besser mit Falschinformation umgehen k?nnen, wenn sie vorher gewarnt werden, dass solche bei einem Thema vorkommen⁷. Ich bin immer noch ¨¹berzeugt: Wir m¨¹ssen ¨C trotz allem Informations¨¹berfluss und knapper Zeit ¨C ¨¹ber relevante Fragen nachdenken und ?ffentlich dar¨¹ber diskutieren.

Ein Dialog auf Augenh?he gelingt nach meiner Erfahrung am besten, wenn wir versuchen, Fakten von Meinungen zu trennen. Ein Thermometer ist nicht politisch rechts oder links, genauso wie es nicht zwei Seiten der Gravitation gibt. ?ber die Physik stimmen wir nicht ab. Wir k?nnen uns ¨¹ber die Fakten einig sein und trotzdem eine Debatte f¨¹hren, wie man darauf reagieren soll. Als Wissenschaftler schreibe ich der Gesellschaft nicht vor, was zu tun ist. Ich erachte es aber f¨¹r meine Aufgabe, nicht nur Zahlen zu produzieren, sondern diese auch kritisch einzuordnen und verst?ndlich aufzubereiten, ohne PR zu betreiben ¨C ein Seiltanz in einer Zeit, in der Forschende um Geld und Stellen k?mpfen⁸.

Neben einem gemeinsamen (faktenbasierten) Nenner versuche ich auch immer, in Gespr?chen gemeinsame Werte und Ziele zu finden. Die Art und Weise wie ein Problem formuliert wird, das sogenannte Framing, ist dabei extrem wichtig. Respekt f¨¹r andere Meinungen und die F?higkeit zuzuh?ren sind vertrauensbildende Elemente, die Br¨¹cken bauen helfen. Zudem sind Geschichten entscheidend, und wer die Botschaft ¨¹berbringt. Das alles braucht Zeit, aber f¨¹r mich f¨¹hrt kein Weg daran vorbei.

Manchmal braucht es ein paar Buchstaben mehr

Kontroversen ergeben zwar gute Schlagzeilen, aber kaum konstruktive Diskussionen. Bei allem Enthusiasmus f¨¹r neue Medien und Big Data: F¨¹r echten Diskurs sind mir eine solide Synthese einer Qualit?tszeitung und ein informierter Leser lieber als propagandistische Tweets von Trollen im Web. Ganz zu schweigen von Algorithmen, die auf sozialen Plattformen dereinst entscheiden, was richtig ist oder falsch. Jack Dorsey, Mitgr¨¹nder von Twitter, sagte einst: ?Man kann die Welt mit einhundertvierzig Zeichen ver?ndern?. Da hat er wohl recht. Aber um die Welt zu verstehen und sie f¨¹r die n?chste Generation zu gestalten, braucht es ein paar Zeichen mehr.

Dieser Text erscheint ebenfalls als Autorenbeitrag in der Schweiz am Wochenende.