Wird AI Ärzte überflüssig machen?

Nein, sagt Vanessa Rampton, denn Gesundheit und Krankheit werden stark von emotionalen, subjektiven und sozialen Faktoren beeinflusst, welche für Maschinen nur schwer zug?nglich sind.

Vanessa Rampton

Maschinen werden zunehmend in der Lage sein, Aufgaben zu erfüllen, die bisher ?rzten vorbehalten waren. Dazu geh?ren das Stellen von Diagnosen, Behandlungsvorschl?gen, und Prognosen. Obwohl Maschinen die ?rzte unterstützen und deren F?higkeiten erweitern werden, werden Maschinen ?rzte nie ganz ersetzen. Insbesondere werden die ?rzte weiterhin besser mit dem Patienten als Ganzem umgehen k?nnen, denn dazu ist es n?tig, soziale Beziehungen und Normen zu verstehen.

Roboter
Zukunftsvision: Werden wir als Patienten künftig nur noch Robotern gegenüberstehen? (Bild: Shutterstock)

Harvard-Professor Francis Peabody umschrieb die Aufgabe von ?rzten 1927 mit folgendem treffenden Beispiel: Es geht darum, ?den Fall von Mitralklappenstenose im zweiten Bett links? zu überführen in das weit komplexere Problem von ?Henry Jones, der nachts wach liegt, w?hrend er sich Sorgen macht um seine Frau und seine Kinder?.1

Krankheit ist ein schlecht definiertes Problem

Menschen k?nnen diese ?bersetzungsarbeit leisten, weil sie den Patienten als Mitmenschen wahrnehmen und seine Krankheit und sein Leben ganzheitlich erfassen k?nnen. Dazu geh?ren auch Werte wie Vertrauen, Respekt, Mut und Verantwortung, die für Maschinen nicht leicht zug?nglich sind, sowie die F?higkeit zu assoziativem Denken und Querdenken.

Eine Patientenbeziehung, in welcher der Arzt diese F?higkeit einsetzt, ist für die Heilung wichtig. Das gilt insbesondere für komplexe Erkrankungen und solche mit einem hohem Risiko für Nebenwirkungen, denn unterschiedliche Patienten haben unterschiedliche Pr?ferenzen, und diese gilt es zu erkennen und berücksichtigen.2

Technisches Wissen kann die Krankheitssituation eines einzelnen Patienten nicht vollst?ndig beschreiben, und es gibt keine Algorithmen, welche Emotionen, nonverbale Kommunikation, Werte, pers?nliche Pr?ferenzen und soziale Gegebenheiten berücksichtigen. Führende Experten für künstliche Intelligenz (AI) in der Medizin anerkennen, dass AI-Ans?tze nicht dazu gedacht sind, ?rzte vollst?ndig zu ersetzen.3

Emotionale, soziale und nicht-quantifizierbare Faktoren tragen zu einer Krankheit bei. Ein Einsatz künstlicher Intelligenz, der auf dem Glauben basiert, Symptome seien messbar, st?sst an Grenzen, wenn man diese Faktoren berücksichtigen m?chte. Diese Faktoren sind wichtig: Symptome ohne identifizierte k?rperliche Ursache sind in den USA der fünfth?ufigste Grund, warum Patienten ?rzte aufsuchen.4 Fragen wie ?Warum ich?? und ?Warum jetzt?? sind für Patienten von Bedeutung. Es wurde gezeigt, dass Patienten davon profitieren, wenn ?rzte interpretieren k?nnen, welche Bedeutung Patienten verschiedenen Aspekten ihres Lebens zuschreiben.5 Und es kann für Patienten entscheidend sein, das Gefühl zu haben, von jemandem geh?rt worden zu sein, der die Schwere ihres Problems versteht und dem sie vertrauen k?nnen.6

?Mit Krankheiten umzugehen heisst oft nicht, Krankheiten zu heilen. Hier sind ?rzte unersetzlich.?Vanessa Rampton

Damit verbunden ist eine grundlegendere Erkenntnis: Das Heilen von Krankheiten erfordert weit mehr als das Heilen bestimmter K?rperteile.1 Per Definition hat die Krankheit einen subjektiven Aspekt, der durch eine vom menschlichen Kontext unabh?ngige technologische Intervention nicht geheilt werden kann.7 Einen Organismus von einer Krankheit zu heilen ist nicht dasselbe wie ihn gesund zu machen, da es sich bei Gesundheit um einen komplexen Zustand handelt, der individuelle Erfahrungen beinhaltet: Gesund sein bedeutet, sich gesund zu fühlen. Roboter k?nnen den menschlichen Kontext und die subjektiven Faktoren der Krankheit nicht verstehen.

Medizin ist eine Kunst

Die Arzt-Patienten-Beziehung selbst hat eine therapeutische Wirkung, unabh?ngig von einer verordneten Behandlung, wie mittlerweile anerkannt ist.8 Denn die Arzt-Patienten-Beziehung ist eine Beziehung zwischen sterblichen Wesen, die beide anf?llig sind für Krankheit und Tod. Computer sind nicht in der Lage, Patienten echte Zuwendung oder Sorge zu zeigen, weil sie keine Menschen sind und nichts empfinden.

Zwar ist es denkbar, dass hochentwickelte Roboter eine Form von Empathie zeigen, allerdings nur eine solche, die auch wir Menschen kennen, wenn wir uns in bestimmten sozialen Situationen nett verhalten und dennoch emotional losgel?st bleiben, weil wir nur eine soziale Rolle spielen.9 Aber Sorge – genauso wie Fürsorge und Respekt – ist ein Verhalten einer Person, die mit einer anderen Person eine gemeinsame Basis hat. Veranschaulichen l?sst sich das durch Freundschaft: B kann kein Freund von A sein, wenn A kein Freund von B ist.10

Ein wahrscheinliches Zukunftsszenario werden AI-Systeme sein, die mithelfen, neue medizinische Erkenntnisse zu gewinnen, und ?rzte, welche den Patienten helfen, ein Gleichgewicht zu finden, das die menschlichen Grenzen anerkennt, etwas, das für die künstliche Intelligenz unzug?nglich ist. Mit Krankheiten umzugehen heisst oft nicht, Krankheiten zu heilen. Hier sind ?rzte unersetzlich.

Vanessa Rampton verfasste diesen Artikel zusammen mit Giatgen Spinas, emeritierter Professor am Universit?tsspital Zürich. Die englische Fassung dieses Beitrags wurde im externe Seite British Medical Journal im Rahmen eines Pro/Contra-Beitrags ver?ffentlicht. Den Pro-Teil verfasste ETH-Professor J?rg Goldhahn.

Goldhahn J, Rampton V, Spinas GA: Could artificial intelligence make doctors obsolete? British Medical Journal, 7. November 2018, doi: externe Seite 10.1136/bmj.k4563

externe Seite Podcast des British Medical Journal mit Vanessa Rampton und J?rg Goldhahn (auf Englisch)

Referenzen

1 Peabody F: The Care of the Patient. JAMA 1927, 88: 878, doi: externe Seite 10.1001/jama.1927.02680380001001
2 Katz J: The Silent World of Doctor and Patient. Yale University Press 2002.
3 Interview with Joachim Buhmann. externe Seite Ich fühle mich von künstlicher intelligenz überhaupt nicht bedroht. Forbes, 9. Februar 2017
4 Creed F, Henningsen P, Fink P: Medically unexplained symptoms, somatisation and bodily distress. Developing better clinical services. Cambridge University Press 2011
5 Fioretti C, Mazzocco K, Riva S, Oliveri S, Masiero M, Pravettoni G: Research studies on patients’ illness experience using the Narrative Medicine approach: a systematic review. BMJ Open 2016, 6: e011220, doi: externe Seite 10.1136/bmjopen-2016-011220
6 Gawande A: Tell me where it hurts. New Yorker, 23. Januar 2018, 23: 36
7 Hofmann B: Disease, illness, and sickness. In: Solomon M, Simon JR, Kincaid H, eds. The Routledge Companion to Philosophy of Medicine 2017: 16
8 Di Blasi Z, Harkness E, Ernst E, Georgiou A, Kleijnen J: Influence of context effects on health outcomes: a systematic review. Lancet 2001, 357: 757, doi: externe Seite 10.1016/S0140-6736(00)04169-6
9 Wingert L: Unsere Moral und die humane Lebensform. In: Sturma D, ed. Ethik und Natur. Suhrkamp 2019
10 Wingert L: Gemeinsinn und Moral: Grundzüge einer intersubjektivistischen Moralkonzeption. Suhrkamp 1993

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