Die steifsten Leichtbaumaterialien überhaupt
ETH-Wissenschaftler haben eine Konstruktionsweise entwickelt, welche Leichtbaumaterialien maximale Steifigkeit verleiht. Eine noch steifere Konstruktionsweise zu entwickeln, ist praktisch unm?glich.
3D-Druck und andere additive Fertigungsverfahren erm?glichen es, Materialien mit bisher ungeahnt komplexen inneren Strukturen herzustellen. Interessant ist dies auch für die Leichtbauweise. Denn es lassen sich so Materialien entwickeln mit einem m?glichst grossen Anteil an inneren Hohlr?umen (damit die Materialien m?glichst leicht werden), und die gleichzeitig m?glichst stabil sind. Um dies zu erreichen, müssen die inneren Strukturen auf intelligente Art m?glichst effizient aufgebaut sein.
Forschende der ETH Zürich und des MIT unter der Leitung von Dirk Mohr, Professor für numerische Materialmodellierung in der Fertigung, haben nun neue innere Strukturen für Materialien entwickelt, welche Kr?fte aus nicht nur einer Richtung, sondern aus allen drei Dimensionen aufnehmen müssen, und die gleichzeitig extrem steif sind.
Mathematisch l?sst sich ermitteln, wie steif Materialien mit inneren Hohlr?umen theoretisch überhaupt werden k?nnen. Und so l?sst sich auch zeigen, dass Mohrs neue Konstruktionsweise extrem nahe an diese theoretische Steifigkeitsobergrenze kommt. Mit anderen Worten: Es ist praktisch unm?glich, andere Materialstrukturen zu entwickeln, die bei gegebenem Gewicht noch steifer sind.
Platten statt Gitter
Charakteristisch für die neue Konstruktionsweise ist, dass die Steifigkeit im Materialinnern nicht mit Gitterst?ben, sondern mit sich regelm?ssig wiederholenden Plattenstrukturen erreicht wird.
?Das Gitterprinzip ist sehr alt, es wird schon lange bei Fachwerkh?usern, bei Stahlbrücken und Stahltürmen wie dem Eiffelturm angewandt. Man kann durch Gitterstrukturen hindurchsehen. Diese werden daher h?ufig als optimale Leichtbaustrukturen wahrgenommen?, sagt ETH-Professor Mohr. ?Mit Computerberechnungen und experimentellen Messungen konnten wir nun jedoch zeigen, dass Plattenstrukturen bei gleichem Gewicht und Volumen bis zu dreimal steifer sind als Gitterstrukturen.? (Siehe auch Kasten.) Und nebst der Steifigkeit (Widerstand gegen elastische Verformung) kommt auch die Festigkeit (Widerstand gegen irreversible Verformung) dieser Strukturen den theoretischen Maximalwerten sehr nahe.
Die ETH-Wissenschaftler haben die Strukturen zun?chst am Computer entwickelt und dabei ihre Eigenschaften berechnet. Anschliessend stellten sie sie im 3D-Druck im Mikrometermassstab aus Kunststoff her. Mohr betont jedoch, dass die Vorteile dieser Konstruktionsweise universell g?lten: bei allen Materialien und auch auf allen Gr?ssenskalen vom Nanometermassstab bis ganz gross.
Der Zeit voraus
Mit den neuen Strukturen sind Mohr und sein Team ihrer Zeit voraus: Die Herstellung im 3D-Druck ist derzeit noch verh?ltnism?ssig teuer. ?Stellt man solche Strukturen heute additiv aus Edelstahl her, kosten sie pro Gramm so viel wie Silber?, sagt Mohr. ?Sobald additive Fertigungstechnologien für die Massenproduktion bereit sind, wird es jedoch zum Durchbruch kommen. Den Leichtbau, der heute aus Kostengründen praktisch nur im Flugzeugbau und in der Raumfahrt zur Anwendung kommt, k?nnte man dann auch für ein breites Spektrum von Anwendungen nutzen, bei denen Gewicht eine Rolle spielt.? Ausserdem machen die vielen Hohlr?ume eine Struktur nicht nur leichter, sondern es lassen sich damit auch Rohstoffe und folglich Rohstoffkosten sparen.
M?glichen Anwendungen seien kaum Grenzen gesetzt, sagt Mohr. Medizinische Implantate, Laptopgeh?use und ultraleichte Fahrzeugstrukturen sind nur drei von vielen m?glichen Beispielen. ?Wenn die Zeit reif ist und Leichtbaumaterialien dereinst im grossen Massstab hergestellt werden, wird man dafür diese periodischen Plattenstrukturen verwenden?, ist der ETH-Professor überzeugt.
Warum Plattenstrukturen stabiler sind als Gitterstrukturen
Wenn es darum geht, Belastungen aus allen drei Dimensionen (von oben, unten, links, rechts, von hinten und von vorne) standzuhalten, sind Plattenstrukturen gegenüber Gitterstrukturen im Vorteil. Folgendes Gedankenexperiment hilft, dies zu verstehen: Man stelle sich zwei Würfel mit sehr dünnen Aussenw?nden vor. In deren Innerem gibt es Verstrebungen, die verhindern sollen, dass die Würfel bei Druck von aussen zusammengedrückt werden. Der eine Würfel nutzt als Verstrebungen Gitterst?be, der andere Platten (siehe Abbildung). Das Materialvolumen und somit das Gewicht der Verstrebungen ist in beiden F?llen identisch.
Wird auf den ?Gitter-Würfel? (Mitte) von oben eine Kraft ausgeübt, nimmt einer von drei Gitterst?ben (gelb) diese Kraft auf. Die anderen beiden St?be (blau) tragen nicht zur Stabilit?t bei. Es braucht sie aber für den Fall, dass die Kraft aus einer anderen Richtung kommt. Wird hingegen auf den ?Platten-Würfel? (rechts) von oben Kraft ausgeübt, tragen zwei von drei Platten zur Stabilit?t bei (die gelben). Diese Form nutzt die inneren Verstrebungen deutlich besser, sie ist effizienter.
Literaturhinweis
Tancogne-Dejean T, Diamantopoulou M, Gorji MB, Bonatti C, Mohr D: 3D Plate-Lattices: An Emerging Class of Low-Density Metamaterial Exhibiting Optimal Isotropic Stiffness. Advanced Materials 2018, 30: 1803334, doi: externe Seite 10.1002/adma.201803334externe Seite