Von Politik, Welthandel und Waldschutz
Der brasilianische Pr?sident Jair Bolsonaro l?utet eine neue ?ra der Abholzung in Brasiliens Regenwald ein. Wir sollten uns nicht an seiner Agenda beteiligen, sagt Jaboury Ghazoul.
In seiner Rede am Weltwirtschaftsforum Ende Januar erkl?rte Jair Bolsonaro: ?Es ist nun unsere Aufgabe, Fortschritte bei der Harmonisierung von Umweltschutz und Biodiversit?t mit der dringend ben?tigten wirtschaftlichen Entwicklung zu erzielen?.
Dies kl?nge vernünftig, w?re Bolsonaro nicht dafür bekannt, notorisch nichts von Umweltschutz zu halten. So versprach er, den Amazonas für Firmen zu ?ffnen und den Umweltschutz sowie die Rechte indigener Gemeinschaften (die er mit ?Tieren im Zoo? verglich) einzuschr?nken1. Bereits im Vorfeld der Wahlen 2018 stieg die Rate der Rodung in Erwartung seines Wahlsiegs um 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr an.
Einmal im Amt, übertrug Bolsonaro als erstes die Kompetenz zur Ausweisung indigenen Lands von der Agentur Funda??o Nacional do ?ndio (FUNAI), welche die Rechte und das Wohlergehen indigener Gemeinschaften wahrt, ans Ministerium für Landwirtschaft, das die Interessen der Agrarindustrie begünstigt. Seither dringen Marodeure illegal in indigene Gebiete und geschützte W?lder ein.
Neue ?ra normalisierter Gewalt
Die Situation sollte uns beunruhigen. Das brasilianische National Institute of Space Research (INPE) berechnete, dass Bolsonaros Politik die j?hrliche Entwaldung im Amazonasbecken von 6,900 auf 25,600 Quadratkilometer im Jahr 2020 erh?hen k?nnte2. Argumente, dass der Waldschutz unerl?sslich für das Wohlergehen der Menschen und zudem eine ethische Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen ist, wiegen mit Blick auf wirtschaftlichen Fortschritt offenbar wenig.
Bolsonaros Politik schürt offene Gewalt gegen indigene Gemeinschaften im Amazonasgebiet. Diese Menschen haben bereits in der Vergangenheit unz?hlige Brutalit?ten durch Mineure und Viehzüchter erlitten, unter Mitwirkung von Milit?r und Regierung3.
Treiber der Entwaldung
Besonders heftig war die Gewalt in den zwei Jahrzehnten der Milit?rdiktatur von 1964 bis 1985. Brasiliens Verfassung von 1988 versuchte, der jahrzehntelangen Diskriminierung ein Ende zu setzen, indem sie den marginalisierten V?lkern Schutz bot. Die Situation verbesserte sich, obschon gewaltt?tige Landkonflikte bis heute andauern. Bolsonaros Ambitionen stellen nun eine Rückkehr zu dieser ?ra normalisierter Gewalt dar, in der Viehzüchter und Mineure nahezu ungestraft Indigene terrorisierten und aus ihrem Land vertrieben.
Doch Bolsonaro ist in diesem Trauerspiel nur eine Nebenfigur. Die Zukunft Amazoniens wird durch viele weitere Akteure gepr?gt. Dazu z?hlen in erster Linie die brasilianische Bev?lkerung, Agrarunternehmen, indigene Gemeinschaften und Nichtregierungsorganisationen, die sich um die richtige Politik im Amazonasbecken streiten.
?Als Konsumenten müssen wir auf der Sorgfaltspflicht von Firmen bestehen, um illegale Rodung aus Lieferketten und Kapitalanlagen zu verbannen.?Jaboury Ghazoul
Indirekt liegt betr?chtliche Macht bei der globalen Bev?lkerung. Für den weitaus gr?ssten Teil der Abholzung sind Agrarfirmen verantwortlich, die im Besitz europ?ischer und amerikanischer Unternehmen sind. Die europ?ische Wirtschaft ist dabei besonders eng mit der brasilianischen verflochten4.
Dringender Regulierungsbedarf
Wir alle sind Verbraucher brasilianischer Agrarerzeugnisse. Als solche müssen wir auf der Sorgfaltspflicht (due diligence) von europ?ischen Firmen und Banken bestehen, um illegale Rodung und Menschenrechtsverletzungen aus Lieferketten und Kapitalanlagen zu verbannen.
Einige L?nder haben bereits Schritte in diese Richtung unternommen. Das franz?sische Devoir de Vigilance-Gesetz etwa verpflichtet franz?sische Firmen, die Risiken von Umwelt- und Sozialsch?den in ihren Lieferketten zu bewerten, einschliesslich jenen, die durch ausl?ndische Subunternehmer und Lieferanten verursacht werden5. Auch die Schweiz befasst sich mit einer Volksinitiative, die im Ausland t?tige Unternehmen zum besseren Schutz von Menschenrechten und Umwelt verpflichten will6.
Die Europ?ische Kommission sollte ebenfalls sicherstellen, dass keine in die EU eingeführten Produkte zu Entwaldung oder Menschenrechtsverletzungen betragen7. Die OECD bietet bereits einen Ansatz in Form von Due-Diligence-Richtlinien für landwirtschaftliche Lieferketten8. Solche Regelungen sollten durch griffigere Gesetze und Mechanismen zur Strafverfolgung von fehlbaren Unternehmen versch?rft werden.
Kollektive Macht ausüben
Wir Konsumenten in Europa k?nnen Agrarfirmen, Banken und Regierungen vereint unter Druck setzen, strenge Sorgfaltspflichten einzuführen. Ein heute in Science publizierter Brief, den hunderte Wissenschaftler und indigene Gruppen unterzeichnet haben, verdeutlicht die Rolle des europ?ischen Handels als Treiber für die Umweltzerst?rung in Brasilien9.
In einer globalisierten Welt k?nnen wir lokal handeln, damit Repression und Rodung aus Lieferketten verschwinden, die in Europa enden. Ob Bolsonaros Plan für eine intensivere Bewirtschaftung des Amazonasbeckens aufgeht, h?ngt nicht zuletzt von unserer Bereitschaft ab, sich an seiner Agenda zu beteiligen.
Referenzen
1 Jair Bolsonaro: “In 2019 we’re going to rip up Raposa Serra do Sol [an Indigenous Territory in Roraima, northern Brazil]. We’re going to give all the ranchers guns.” externe Seite Statement made in the Brazilian congress on 21 January 2016
2 INPE, October 2018: externe Seite Blog
3 Ghazoul, J. and Kleinschroth, F. (2018) externe Seite A global perspective is needed to protect environmental defenders. Nature Ecology and Evolution, 2, 1340–1342.
4 Die EU ist der gr?sste ausl?ndische Investor in Brasilien und der zweitgr?sste Handelspartner, auf den über 18% des brasilianischen Handels entfallen. Brasilien ist der gr?sste Exporteur von Agrarprodukten in die EU. externe Seite European Commission, (4 July 2018).
5 Government of France (28 March 2017): externe Seite Link
6 Swiss Coalition for Corporate Justice (2018): externe Seite Link
7 FERN 2018: Can an EU Human Rights Due Diligence Regulation help us tackle deforestation and respect human rights? Discussion Paper. December 2018.
8 OECD 2018: externe Seite Due Diligence Guidance for Responsible Agricultural Supply Chains
9 ?ber 600 Wissenschaftler aus allen EU-L?ndern und 300 brasilianische indigene Gruppen fordern, dass Umweltfragen und Menschenrechtskonflikte in den laufenden Handelsgespr?chen mit Brasilien priorit?r behandelt werden müssen. Ihr Brief, ver?ffentlicht in externe Seite Science am 25. April 2019, und weitere Informationen finden sich auf dieser externe Seite Website.externe Seite