Klimakurs auf 1,5 Grad setzen

Die Vision einer klimaneutralen Schweiz bis 2050 der Gletscher-Initiative ist weder radikal noch utopisch, sagt Sonia Seneviratne. Angesichts der Risiken sollten wir dieses Ziel ernsthaft verfolgen.

Sonia Seneviratne

Die aktuellen Massnahmen gegen den Klimawandel sind g?nzlich unzureichend, auch in der Schweiz. Am 10. Mai begann hierzulande die Unterschriftensammlung für die Gletscher-Initiative1. Als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Initiative und als Hauptautorin des neuen IPCC-Sonderberichts über die globale Erw?rmung um 1,5 Grad Celsius2 (IPCC SR15; siehe dazu diesen Blogbeitrag) ist es mir pers?nlich und beruflich ein Anliegen, dieses Volksbegehren einzuordnen – denn es ist relevant, wollen wir dem Pariser Abkommen gerecht werden.

Morteratschgletscher
Gletscher auf dem Rückzug – Symptom und Symbol des Klimawandels. Im Bild: Morteratschgletscher, Engadin, Schweiz. (Bild: iStock / Patrick Hutter)  

Konsistent mit IPCC SR15

Die Gletscherinitiative will den CO2-Ausstoss der Schweiz bis 2050 auf netto Null senken. Gem?ss dem IPCC-Sonderbericht ist dies vereinbar mit einer auf 1.5 Grad begrenzten Erderw?rmung, sofern der Rest der Welt das Gleiche tut. Als hoch entwickeltes Land verfügt die Schweiz über die besten Voraussetzungen, um zu zeigen, wie das gelingen kann.

Im Idealfall w?re es sogar noch besser, die CO2-Neutralit?t früher zu erreichen, zum Beispiel 2040, um die 1,5-Grad-Grenze m?glichst nicht zu überschreiten und einigen Entwicklungsl?ndern mehr Zeit zu gew?hren, ihre Energieversorgung umzustellen. Immerhin: Eine Frist bis 2050 für netto Null Emissionen würde zumindest sicherstellen, dass die Schweiz nicht dazu beitr?gt, das Erw?rmungsziel von 1,5 Grad zu überschiessen.

Wir müssen handeln – jetzt

Der IPCC SR15 Bericht zeigt zudem, dass wir unsere CO2-Emissionen bis 2030 mindestens halbieren müssen, um 1,5 Grad nicht zu überschreiten. Angesichts unserer tr?gen Gesellschaft (beispielsweise gebundene Emissionen durch bestehende Infrastruktur) bedeutet dies schlicht: Wir müssen umgehend beginnen.

?Es wird heute kaum mehr bestritten, dass wir uns auf eine Klima-Notsituation zubewegen. Offen ist hingegen, wie wir die CO2-Emissionen effektiv senken.?Sonia Seneviratne

Zudem ist es gef?hrlich, die 1,5 Grad-Limite substantiell zu überschreiten (also um mehr als 0,1 Grad) und erst sp?ter zu reduzieren. Das k?nnte zu irreversiblen Sch?den führen3, zum Beispiel k?nnten verschiedene Pflanzen- und Tierarten aussterben4.

Ein ambitioniertes, aber realistisches Ziel

Da überschüssiges CO2 sehr lange in der Atmosph?re verbleibt, bis zu mehreren 100 bis 1000 Jahren, sollten wir uns ernsthaft darauf konzentrieren, wie wir den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bew?ltigen k?nnen. Ein Netto-Null-CO2-Ausstoss bis im Jahr 2050 bedingt einen echten Paradigmenwechsel. Aber bedeutet das weniger Lebensqualit?t? Oder dass dieses Ziel unrealistisch ist? Der jüngste Bericht des britischen Ausschusses für Klimawandel (CCCUK) legt nahe, dass dies nicht der Fall ist5.

Für das Vereinigte K?nigreich, das der Schweiz in vielem ?hnlich ist, kommt das CCCUK zum Schluss, dass bis 2050 ein CO2-Budget von netto Null durchaus erreichbar ist, einschliesslich der Emissionen von Fliegerei und Schifffahrt. Die Kosten werden auf ein bis zwei Prozent des BIP gesch?tzt, wobei neben den vermiedenen Auswirkungen zahlreiche Vorteile für Wirtschaft und Gesellschaft entstehen.

Dekarbonisierung diskutieren

Es wird heute kaum mehr bestritten, dass wir uns auf eine Klima-Notsituation zubewegen6. Offen ist hingegen, wie genau wir die CO2-Emissionen effektiv senken. Ich bin überzeugt, dass die Initiative auch eine fruchtbare Debatte über die geeigneten L?sungswege hin zur einer CO2-freien Wirtschaft und Gesellschaft erm?glichen wird.

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