Bauen mit Holz, das sich selber in Form bringt
Forschende der ETH Zürich, der Empa und der Universit?t Stuttgart stellen eine Methode vor, mit der sich Holzplatten in einem kontrollierten Trocknungsprozess ohne Maschinenkraft in eine zuvor berechnete Form biegen.
Holz ist eine erneuerbare Ressource und als nachhaltiges Baumaterial beliebt. Allerdings fordern komplexere architektonische Entwürfe mit geschwungenen oder verdrehten Strukturen den Holzbau zusehends heraus. Denn um Holz entsprechend zu verformen, braucht es bislang grosse und energieintensive Maschinen, welche die Bauelemente in die gewünschte Form pressen.
In einer in Science Advances ver?ffentlichten externe Seite Studie zeigen Forschende der ETH Zürich und der Empa auf, wie man solch aufw?ndige maschinelle Umformungsprozesse künftig umgehen k?nnte. Gemeinsam mit Kollegen der Universit?t Stuttgart haben sie einen Ansatz entwickelt, bei dem sich massive Holzbauelemente selber und ohne ?ussere Krafteinwirkung in eine vordefinierte Form biegen.
Programmierte Krümmung
Das Verfahren der Selbstformung basiert auf dem natürlichen Quellen und Schwinden von Holz in Abh?ngigkeit seines Feuchtegehalts: Trocknet feuchtes Holz, zieht es sich senkrecht zur Faserrichtung st?rker zusammen als l?ngs zur Faser. Das Verziehen ist normalerweise unerwünscht. Die Forschenden nutzen diese Eigenschaft hier jedoch gezielt, indem sie jeweils zwei Holzschichten so zusammenkleben, dass ihre Faserungen unterschiedlich orientiert sind. Die ?Bilayer? genannte Holzplatte mit ihrem zweilagigen Schichtaufbau ist der Grundbaustein der neuen Methode.
?Wenn der Feuchtigkeitsgehalt des Bilayers sinkt, schrumpft eine Schicht st?rker als die andere. Da die beiden Schichten fest miteinander verklebt sind, biegt sich das Holz?, erkl?rt Markus Rüggeberg, der sowohl an der Empa als auch an der ETH affiliiert ist und die Studie geleitet hat. Je nach Dicke der Schichten, Orientierung der Fasern und dem Feuchtegehalt k?nnen die Wissenschaftler nun mit einem Computermodel berechnen, wie sich das Grundbauelement w?hrend der Trocknung verformt. Die Forschenden nennen diesen Prozess ?Holz-Programmierung?.
Nachdem ein Bilayer seine Soll-Form eingenommen hat, kann er mit weiteren gleichartig geformten Bilayern verklebt werden, was sich in der Fachsprache Laminierung nennt. Dadurch erreicht das Forschungsteam die ben?tigten Materialst?rken für eine praktische Anwendung als Brettsperrholz, welches immer aus mehreren Lagen besteht. Ein derart hergestelltes Holzbauelement bleibt trotz sich ?ndernder Umgebungsfeuchte formstabil.
?Unser Ansatz erlaubt unterschiedliche Krümmungsradien und vielseitige Formen. Die Programmierung von Holz er?ffnet damit neuartige architektonische M?glichkeiten für dieses regional verfügbare und nachwachsende Baumaterial?, sagt der Erstautor der Studie, Philippe Gr?nquist, der ebenfalls an beiden Institutionen arbeitet und seine Doktorarbeit diesem Thema gewidmet hat. Die Forschenden haben ihre Methode zum Patent angemeldet.
Geschwungen himmelw?rts: Der Urbach Turm
Dass sich die Technik durchaus für gross dimensionierte Holzbauten eignet, zeigt beispielhaft der Urbach Turm. Es handelt sich dabei um den weltweit ersten Holzbau aus grossen sich selbst formenden Elementen. Der 14 Meter hohe, markante Turm wurde als Landmarke für die Landesgartenschau im Remstal bei Stuttgart im Mai 2019 in Zusammenarbeit mit Architekten und Ingenieuren der Universit?t Stuttgart und der Schweizer Holzbaufirma Blumer-Lehmann errichtet.
Literaturhinweis
Gr?nquist P et al. Analysis of hygroscopic self-shaping wood at large scale for curved mass timber structures. Science Advances (2019), doi: externe Seite 10.1126/sciadv.aax1311