Das Klima braucht unseren Mut

Das Kohlenstoffbudget schwindet

Vielmehr stiegen die CO₂-Emissionen aus der Verbrennung von fossilen Energietr?gern zum ersten Mal ¨¹ber zehn Milliarden Tonnen Kohlenstoff (Gt C). Z?hlt man die rund 1.5 Gt C dazu, die aus abgeholzten Regenw?ldern stammen, dann lagen die menschgemachten Emissionen im Jahr 2018 bei ¨¹ber 11.5 Gt C. Das entspricht fast 43 Milliarden Tonnen CO₂. Damit schwindet die Restmenge an CO₂, welche die Menschheit im Rahmen des Pariser Abkommens noch ausstossen kann, rapide. Dieses Kohlenstoffbudget betr?gt f¨¹r das Zwei-Grad-Ziel rund 1100 Milliarden Tonnen CO₂ und w?re bei gleichbleibenden Emissionen in rund 25 Jahren aufgebraucht². Weniger als zehn Jahre verbleiben bei einer Erw?rmung von maximal 1.5 Grad. Nachdem das Kohlenstoffbudget aufgebraucht ist, muss jede zus?tzlich emittierte Tonne CO₂ wieder aus der Atmosph?re entfernt werden.

Wohl nicht nur als Wissenschaftler stellt man sich die Frage, ob die Pariser Klimaziele noch realistisch sind. Insbesondere da die Internationale Energie Agentur IEA in ihrem neuesten Outlook³ voraussagt, dass die fossilen Energietr?ger noch lange eine gewichtige Rolle haben werden.

Klar ist: Wir sind nicht auf Kurs. Der wichtigste Treiber f¨¹r die steigenden CO₂-Emissionen ist der wachsende Wohlstand und dadurch bedingt ein steigender Energiebedarf, den die meisten Staaten weitgehend mit fossilen Energietr?gern decken. Da ein weiteres Wachstum des Wohlstands notwendig ist, um weltweit viele Menschen aus der Armut zu holen, l?sst sich das Klimaproblem nur l?sen, indem wir das Wirtschaftswachstum von den CO₂-Emissionen entkoppeln. Diese Dekarbonisierung findet zwar statt, aber in viel zu geringem Masse⁴. Das Gros der Welt befindet sich immer noch im fossilen Zeitalter.

Der Wandel findet statt

Es gibt aber auch viele Lichtblicke: 19 L?nder, darunter einige aus der EU und die Schweiz, konnten in der letzten Dekade ihre CO₂-Emissionen senken, ohne die Wirtschaft zu bremsen. Auch hat die IEA das Wachstum der neuen erneuerbaren Energien in der Vergangenheit wiederholt massiv untersch?tzt⁵. Viele Erneuerbare haben imposante Lernkurven durchlaufen, so dass sie heute deutlich g¨¹nstiger und teilweise bereits konkurrenzf?hig sind. Letztes Jahr betrug der Anteil der Erneuerbaren an der global neu installierten Stromproduktion mehr als 60 Prozent. Zahlreiche Firmen und St?dte erkennen die Risiken des Klimawandels und wollen handeln. Der politische Druck aus der Bev?lkerung steigt.

Das zeigt: Der Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft hat l?ngst begonnen und nimmt Fahrt auf. Doch die jetzige Geschwindigkeit des Wandels reicht leider nicht. Wir m¨¹ssen die Dekarbonisierung stark beschleunigen, wollen wir das Pariser Ziel nicht verpassen.

Das Tempo erh?hen

Meiner Meinung nach bedarf es dreier Aspekte, um diese Beschleunigung zu erreichen: Erstens m¨¹ssen wir Menschen die Gefahren des Klimawandels erkennen, ernst nehmen, und dann bereit sein, den Pariser Weg tats?chlich zu gehen. Zweitens m¨¹ssen Forschung und Wirtschaft die Technologien und Prozesse bereitstellen, die notwendig sind, um unsere Bed¨¹rfnisse CO₂-neutral zu decken. Drittens m¨¹ssen Politik und Wirtschaft geeignete finanzielle und politische Rahmenbedingungen bieten. In allen drei Bereichen ist viel Dynamik entstanden, aber sie agieren noch nicht synchron. Ich bin ¨¹berzeugt, dass wir viel Potenzial freisetzen k?nnen, wenn wir es schaffen, die Interessen aller Akteure in Einklang zu bringen und ihr Tun zu koordinieren.

W?hrend das CO₂ in der Atmosph?re weiter zunimmt ¨C dieses Jahr auf ¨¹ber 410 ppm (Anteile pro Million), das sind fast 50 Prozent ¨¹ber dem vorindustriellen Wert⁶ ¨C wird unser Spielraum immer kleiner. Entsprechend gross ist der Handlungsbedarf. Wir alle sind nun gefordert ¨C in der Schweiz und weltweit. Die UN-Klimakonferenz in Madrid kann hier ein klares Signal setzen. Aber schlussendlich m¨¹ssen wir selber den Mut aufbringen, die Massnahmen in die Wege zu leiten, um unsere Emissionen verbindlich und radikal zu senken.  

Nicolas Gruber war an der Erhebung des Kohlenstoffbudgets 2018 f¨¹r das Global Carbon Project beteiligt.