Verteilung der Kettenlängen von Polymeren gezielt einstellen
ETH-Forschende entwickeln eine neue Methode, um kontrolliert Polymere von unterschiedlicher L?nge zu erzeugen. Dies ebnet den Weg für neue Klassen von Kunststoffen, die in bisher undenkbaren Anwendungen eingesetzt werden k?nnen.
Aus unserem Alltag sind Materialien aus synthetischen Polymeren kaum mehr wegzudenken. Kleider, Autoteile, Computer oder Verpackungen – sie alle bestehen aus Polymermaterialien. Auch in der Natur gibt es eine Reihe von Polymeren, wie etwa die DNA oder Proteine.
Die Architektur von Polymeren ist universell: Sie sind aus Grundbausteinen, die Monomere genannt werden, zusammengesetzt. Bei der Synthese von Polymeren werden Monomere zu langen Ketten verknüpft. Eine einfache Vorstellung davon ist, dass man Glasperlen an einer Schnur aufreiht und so Ketten von unterschiedlicher L?nge (und unterschiedlichem Gewicht) erstellt.
Polymerisationsverfahren mit Grenzen
Ein wichtiges industrielles Verfahren, um Polymere zu erzeugen, ist die radikalische Polymerisation (engl. Free Radical Polymerisation, FRP). Damit produziert die chemische Industrie j?hrlich 200 Millionen Tonnen Polymere verschiedenster Art, wie etwa Polyacryl, Polyvinylchlorid (PVC) oder Polystyrol.
Obwohl diese Herstellungsweise zahlreiche Vorteile hat, so hat sie auch ihre Grenzen. Bei der radikalischen Polymerisation entsteht auf unkontrollierbare Weise ein Gemisch, das aus unz?hligen, verschieden langen Polymerspezies besteht, also eine hohe Dispersit?t aufweist. Die Dispersit?t ist ein Mass dafür, wie einheitlich respektive uneinheitlich die L?nge der Polymerketten in einem Material ist. Die Dispersit?t bestimmt auch wesentlich, welche Eigenschaften dieses aufweist.
Für allt?gliche Polymermaterialien sind Polymere mit sowohl hoher als auch niedriger Dispersit?t erforderlich. Tats?chlich kann für viele High-Tech-Anwendungen wie Pharmazeutika oder beim 3D-Druck, eine hohe Dispersit?t sogar von Vorteil sein.
Polymere mit neuen Eigenschaften
Wollen Chemiker jedoch gezielt Polymermaterialien mit ganz bestimmten Eigenschaften produzieren, dann müssen sie in erster Linie die Dispersit?t wunschgem?ss einstellen k?nnen. So k?nnen sie eine grosse Bandbreite von Polymermaterialien erzeugen, die entweder einheitliche Polymerspezies, also eine tiefe Dispersit?t haben, oder eben hoch dispers sind mit einer hohen Zahl verschieden langer Polymere. Bis anhin war das kaum m?glich.
Nun hat aber eine Gruppe von Forschenden um Athina Anastasaki, Professorin für Polymermaterialien am Departement Materialwissenschaft, eine Methode der radikalischen Polymerisation entwickelt, die es erlaubt, die Dispersit?t von Polymermaterialien systematisch und vollst?ndig zu kontrollieren. Die Forschungsergebnisse wurden soeben in der Fachzeitschrift ?Chem? ver?ffentlicht.
Um die radikalische Polymerisation wenigstens einigermassen kontrollieren zu k?nnen, verwendeten Chemikerinnen nur einen Katalysator. Dieser sorgt dafür, dass die entstehenden Polymerketten einheitlich lang werden. Dadurch liess sich die Dispersit?t insgesamt aber nicht nach Wunsch steuern.
Zwei Katalysatoren einsetzen
Neu setzten die ETH-Forschenden gleichzeitig zwei Katalysatoren von unterschiedlicher Wirkung ein – der eine ist hochaktiv, der andere wenig aktiv. ?ber das Mischverh?ltnis der beiden Katalysatoren gelang es ihnen, die Dispersit?t genau einstellen. Lag es zugunsten des aktiveren, entstanden mehr einheitliche Polymere und damit ein Material von geringer Dispersit?t. War hingegen der weniger aktive Katalysator in der Mehrheit, dann entstand eine Vielzahl verschiedener Polymermoleküle.
Damit haben Anastasaki und ihre Mitarbeitenden eine Grundlage geschaffen für die Entwicklung neuer Materialien aus Polymeren. Der Prozess ist zudem skalierbar, er funktioniert nicht nur im Labor, sondern l?sst sich auch auf gr?ssere Stoffmengen anwenden. Ein weiterer Vorteil dieser Methode: Selbst Polymere von hoher Dispersit?t k?nnen nach erfolgter Polymerisation weiterwachsen, was bisher für unm?glich gehalten wurde.
Die hohe Effizienz und Skalierbarkeit des Ansatzes haben bereits das Interesse der Industrie geweckt. Polymere, die mit dem neuen Verfahren erzeugt werden, k?nnten in der Medizin, bei Impfstoffen, in Kosmetika oder im 3D-Druck verwendet werden.
Literaturhinweis
Whitfield R, Parkatzidis K, Truong NP, Junkers T, Anastasaki A: Tailoring Polymer Dispersity by RAFT Polymerization: A Versatile Approach. Chem, Vol. 6, Issue 6, P 1340-1352, 11. Juni 2020. doi: externe Seite 10.1016/j.chempr.2020.04.020