Auch kleinteilige Versorgung ist bezahlbar
Wie soll Europa sein Versorgungsnetz für erneuerbare Energie organisieren – kontinental, national oder regional? Die Frage ist umstritten. Nun hat ein schweizerisch-deutsches Forscherteam Kosten und technische Machbarkeit von Versorgungsnetzen verschiedener Gr?ssen analysiert.
Bis 2050 will Europa ein klimaneutraler Kontinent werden. Dafür muss der Strom weitgehend aus erneuerbaren Energien stammen. Wie man die Energiewende am besten realisiert, wird kontrovers diskutiert: Als preisgünstigste L?sung gilt, die Energieproduktion an den geeignetsten Standorten des Kontinents zu konzentrieren. Viele Bürgerinnen und Bürger favorisieren allerdings kleinere Versorgungseinheiten, in denen der Strom nah an den Verbraucherinnen und Verbrauchern erzeugt wird.
Forscher der Professur für Klimapolitik der ETH Zürich untersuchten nun zusammen mit Kollegen am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam, inwiefern die Versorgung mit grünem Strom auf kontinentaler, nationaler und regionaler Ebene technisch und finanziell machbar ist. Insbesondere wollten sie herausfinden, ob kleinere Versorgungseinheiten tats?chlich deutlich teurer sind als ein kontinentales Versorgungssystem. Ihre Studie ist soeben im Fachmagazin Joule erschienen.
?Befürworter eines kontinentalen Systems argumentieren mit niedrigen Kosten, guten Ausgleichsm?glichkeiten für Fluktuationen und effizienter Nutzung der Ressourcen unabh?ngig von ihrem Ort?, erl?utert Leitautor Tim Tr?ndle, der an der ETH Zürich und am IASS Potsdam zu dieser Frage doktorierte. Das sei zwar nicht von der Hand zu weisen, allerdings sei die Energiewende auch sehr stark von politischen Interessen und Bürgerbeteiligung gepr?gt. ?Deshalb sollten wir auch die M?glichkeiten kleinerer Systeme gründlich prüfen?, sagt Tr?ndle.
Kostennachteil unter 20 Prozent
Die Modellrechnungen best?tigten die Annahme, dass es am kostengünstigsten ist, wenn sich alle L?nder in einem europ?ischen Verbundnetz mit Strom von den Standorten mit den besten Wind- und Sonnenbedingungen versorgen. Jedoch sind die Mehrkosten eines kleinteiligen Systems gering, solange L?ndern und Regionen das ?bertragungsnetz nutzen, um Fluktuationen auszugleichen. Dann k?nnen die Netzbetreiber mit nationalen oder regionalen Partnern handeln, um ihre lokale Versorgung zu gew?hrleisten: Statt Wind- und Solaranlagen zu drosseln oder überschüssigen Strom teuer zu speichern, k?nnen sie diesen an ihre Nachbarn weiterleiten, bei denen es gerade bedeckt und windstill ist.
Europ?ische Kooperation in einem leistungsstarken Strommarkt kann so den Kostennachteil eines kleinteiligen Systems gegenüber der kontinentalen Versorgung auf unter 20 Prozent senken. Laut Stefan Pfenninger, Oberassistent an der Professur für Klimapolitik und Letztautor der Studie, stützt das Ergebnis die aktuellen Bemühungen für einen integrierten europ?ischen Strommarkt und für den Ausbau der Grenzkuppelstellen, die es zum Ausgleich der Fluktuationen zwischen den L?ndern braucht.
Unterschiedliche Anforderungen an Infrastruktur
Wo der Strom erzeugt wird, hat laut der Studie nur wenig Einfluss auf die Kosten einer vollst?ndig erneuerbaren Stromversorgung. Der Standort definiert aber massgeblich die Infrastruktur – besonders, ob mehr Erzeugungs- oder mehr Netzinfrastruktur n?tig ist. Für eine schnelle Energiewende sollte daher die Frage der gewünschten Gr?sse des Stromerzeugungssystems rasch gekl?rt werden, empfehlen die Potsdamer und Zürcher Autoren. Grunds?tzlich machbar seien mehrere L?sungen – von einem kontinentalen bis hin zu einem kleinteiligen System.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung des externe Seite IASS Potsdam.
Literaturhinweis
Tr?ndle T, Lilliestam J, Marelli S, & Pfenninger S. Trade-offs between geographic scale, cost, and infrastructure requirements for fully renewable electricity in Europe. Joule 4, 1-20, 2020. doi: externe Seite 10.1016/j.joule.2020.07.018