Akustische Scheinwelten
ETH-Forschende haben ein raffiniertes Verfahren entwickelt, mit dem sich Objekte akustisch verbergen oder vorspiegeln lassen.
Wenn wir ein Musikstück h?ren, nehmen wir nicht nur die T?ne wahr, welche die Instrumente erzeugen, sondern gleichzeitig auch ein Abbild der Umgebung, in der wir uns befinden. Denn die Schallwellen werden an W?nden und Objekten in unserer Umgebung reflektiert, so dass ein charakteristischer Klangeffekt – also ein spezifisches akustisches Feld – entsteht. Deshalb klingen Musikstücke in einer alten Kirche ganz anders als in einem modernen Betonbau.
Architekten machen sich diesen Umstand bereits seit langem zu Nutze, wenn sie beispielsweise Konzerts?le bauen. Doch das Prinzip l?sst sich auch für andere Anwendungen nutzen, zum Beispiel wenn man im Untergrund verborgene Objekte sichtbar machen will. Dazu misst man, wie Schallwellen von einer bekannten Quelle reflektiert werden.
Aktive und passive Manipulation
Es gibt aber auch Wissenschaftler, die noch einen Schritt weitergehen wollen und das akustische Feld gezielt manipulieren m?chten, um einen Effekt zu erzielen, den es aufgrund der realen Situation gar nicht geben dürfte. Man versucht beispielsweise, ein illusion?res Klangerlebnis zu schaffen, das einem vorgaukelt, man sei in einem Betonbau oder einer alten Kirche. Oder man verbirgt Objekte durch Manipulation des akustischen Feldes, so dass sie für den H?rer gar nicht mehr existieren.
In der Regel kommen dazu passive Methoden zum Einsatz, bei denen die gewünschte T?uschung durch entsprechende Gestaltung der Oberfl?chen mit Hilfe von sogenannten Metamaterialien erzeugt wird. Will man ein Objekt akustisch verbergen, beschichtet man beispielsweise dessen Oberfl?che, so dass es keine Schallwellen mehr reflektiert. Allerdings funktioniert dieser Ansatz in der Regel nur in einem eng begrenzten Frequenzbereich, weshalb er für viele Anwendungen nicht in Frage kommt.
Aktive Methoden versuchen, die T?uschung durch eine ?berlagerung mit weiteren Schallwellen zu erreichen. Das prim?re akustische Feld wird also durch ein sekund?res Signal erg?nzt. Doch auch bei diesem Ansatz sind die M?glichkeiten bisher limitiert, funktioniert er doch nur, wenn das prim?re Feld im Voraus ungef?hr bekannt ist.
T?uschung in Echtzeit
Die Gruppe von Johan Robertsson, ETH-Professor für Angewandte Geophysik der ETH Zürich, hat nun in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der University of Edinburgh einen neuen Ansatz entwickelt, der die aktive T?uschung wesentlich verbessert. Unter der Leitung von Theodor Becker, Postdoc in Robertssons Gruppe, und Dirk-Jan van Manen, der als Oberassistent an der Konzeption der Versuche massgeblich beteiligt war, haben es die Forschenden geschafft, das prim?re Schallfeld in Echtzeit zu verfremden, wie sie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift ?Science Advances? berichten. Dadurch k?nnen sie nun Gegenst?nde akustisch verschwinden lassen oder nicht-existente vorspiegeln.
Für das Projekt haben die Forschenden im Centre for Immersive Wave Experimentation, das sich im Innovationspark Zürich in Dübendorf befindet, eine grosse Versuchsanlage installiert, mit der sie die speziellen akustischen Effekte realisieren k?nnen. Konkret k?nnen sie mit dieser Anlage die Existenz ein rund zw?lf Zentimeter grossen Objekt verbergen respektive einen ebenso grossen imagin?ren Gegenstand vort?uschen.
Das Zielobjekt wird dabei von einem ?usseren Ring aus Mikrofonen umgeben sowie einem inneren Ring aus Lautsprechern. Die Mikrofone registrieren, welche akustischen Signale aus dem Prim?rfeld von aussen auf das Objekt eintreffen. Basierend auf diesen Messdaten berechnet dann ein Computer, welche sekund?ren T?ne die Lautsprecher aussenden müssen, damit das prim?re Feld in der gewünschten Art verfremdet werden kann.
Aufw?ndige Technik
Soll das Objekt maskiert werden, senden die Lautsprecher ein Signal aus, das die am Objekt reflektierten Schallwellen vollst?ndig ausl?scht. Soll hingegen ein Objekt vorget?uscht werden, erg?nzen die Lautsprecher das prim?re akustische Feld so, als würde in der Mitte der beiden Ringe ein Objekt Schallwellen zurückwerfen.
Damit diese Verfremdung klappt, müssen die von den Mikrofonen gemessenen Daten sehr schnell in Anweisungen für die Lautsprecher umgesetzt werden. Für die Steuerung nutzen die Forschenden daher sogenannte Field Programmable Gate Arrays (FPGAs), die eine sehr kurze Reaktionszeit haben und daher schnell reagieren.
?Mit unserer Anlage k?nnen wir das akustische Feld über einen Frequenzbereich von mehr als dreieinhalb Oktaven manipulieren?, erkl?rt Robertsson. Die maximale Frequenz betr?gt beim Maskieren 8700 Hz, beim Vort?uschen 5900 Hz. Bisher k?nnen die Forschenden das akustische Feld auf einer Fl?che in zwei Dimensionen beeinflussen. In einem n?chsten Schritt wollen sie nun das Verfahren auf drei Dimensionen ausdehnen. Und sie wollen auch den Einsatzbereich erweitern: Im Moment verfremdet das System Schallwellen, die in der Luft übertragen werden. Doch mit dem neuen Verfahren k?nnte man auch akustische Scheineffekte unter Wasser erzeugen, erkl?rt Robertsson. Er sieht dabei eine breite Palette von m?glichen Anwendungen, beispielsweise in der Sensorik, in der Architektur, aber auch im Kommunikations- und Bildungsbereich.
Auch für die Erdwissenschaften ist die neue Technik von Interesse: ?Im Labor bestimmen wir die akustischen Eigenschaften von Mineralien mit Hilfe von Ultraschallwellen, die eine Frequenz von mehr als 100 kHz haben. Im Feld hingegen untersuchen wir die Strukturen im Untergrund mit seismischen Wellen, die eine Frequenz von weniger als 100 Hz haben?, erkl?rt Robertsson. ?Mit dem neuen Verfahren k?nnen wir diesen ?toten Bereich? nun überbrücken.?
Andrew Curtis, Professor für mathematische Geowissenschaften an der Universit?t von Edinburgh (GB), erg?nzt: ?Diese Zusammenarbeit begann vor 15 Jahren, als die zugrundeliegende Theorie entwickelt wurde, was die Langfristigkeit wissenschaftlicher Projekte verdeutlicht. Die Finanzierung durch den Europ?ischen Forschungsrat, der europ?ische Wissenschaftler zusammenbringt, war der Schlüssel dazu.?
Literaturhinweis
Becker T.S. et. al.: Broadband acoustic invisibility and illusions. Sci. Adv. 7, eabi9627 (2021). doi: externe Seite 10.1126/sciadv.abi9627