Technische Machbarkeit der Produktion nachhaltiger Treibstoffe nachgewiesen
Forscher der ETH Zürich haben die Verfahrenstechnik entwickelt, mit der sie aus Sonnenlicht und Luft CO2-neutrale Treibstoffe herstellen k?nnen. Nun weisen sie in einer Nature-Publikation den stabilen und zuverl?ssigen Betrieb der Mini-Solarraffinerie unter realen Sonnenbedingungen nach. Und sie zeigen einen Weg auf, wie sich nachhaltiger Treibstoff ohne zus?tzliche CO2-Steuern im Markt einführen l?sst.
Seit zwei Jahren betreiben Forschende um Aldo Steinfeld, Professor für Erneuerbare Energietr?ger der ETH Zürich, auf dem Dach des Maschinenlaboratoriums mitten in Zürich eine Mini-Solarraffinerie. Diese einzigartige Anlage kann in einem mehrstufigen Verfahren aus Sonnenlicht und Luft flüssige Treibstoffe wie Methanol oder Kerosin herstellen.
Im Interview erkl?ren Projektarchitekt Steinfeld und Studienmitautor Anthony Patt, Professor am Departement Umweltsystemwissenschaften der ETH, was die Experimente ergeben haben, wo Optimierungsbedarf besteht und wie dem solaren Kerosin der Markteintritt gelingen kann.
Die Mini-Solarraffinerie ist seit zwei Jahren in Betrieb. Wie f?llt Ihre Bilanz aus?
Aldo Steinfeld: Wir konnten die technische Machbarkeit der gesamten thermochemischen Prozesskette zur Umwandlung von Sonnenlicht und Umgebungsluft in Drop-in-Treibstoffe erfolgreich nachweisen. Das Gesamtsystem arbeitet unter realen Sonneneinstrahlungsbedingungen stabil und dient uns als einzigartige Plattform für weitere Forschung und Entwicklung.
Was verstehen Sie unter Drop-in-Treibstoffen?
Aldo Steinfeld: Drop-in-Treibstoffe sind synthetische Alternativen für die aus Erd?l gewonnenen flüssigen Kohlenwasserstoffe wie Kerosin und Benzin. Diese synthetischen Treibstoffe sind vollst?ndig kompatibel mit den bestehenden Infrastrukturen für die Lagerung, Verteilung und Endanwendung, und k?nnen insbesondere zu einem nachhaltigen Langstreckenflugverkehr beitragen.
Sind diese synthetischen Treibstoffe CO2-neutral?
Aldo Steinfeld: Ja, sie sind CO2-neutral, weil zu ihrer Herstellung Sonnenenergie verwendet wird und weil bei ihrer Verbrennung nur so viel CO2 freigesetzt wird, wie zuvor zu ihrer Herstellung aus der Luft entnommen wurde. Die ?kobilanz der Produktionskette von solaren Treibstoffen zeigt, dass die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu fossilem Kerosin zu 80 Prozent vermieden werden k?nnen und dass sie gegen Null gehen, wenn die Materialien für den Bau der Produktionsanlagen wie Glas und Stahl mit erneuerbaren Energien hergestellt werden.
Eine Raffinerie, die Treibstoffe aus Sonnenlicht und Luft herstellt - das klingt nach Science-Fiction. Wie funktioniert sie?
Aldo Steinfeld: Das ist keine Science-Fiction. Die Technologie basiert auf reiner Thermodynamik. Sie besteht aus drei in Reihe geschalteten thermochemischen Umwandlungseinheiten. Erstens: die Luftabscheidungseinheit, die Kohlendioxid und Wasser direkt aus der Umgebungsluft extrahiert. Zweitens: die solare Redox-Einheit, die CO2 und H2O in ein spezifisches Gemisch aus CO und H2, Syngas genannt, umwandelt. Und Drittens: die Gas-to-Liquid Syntheseeinheit, die schliesslich das Syngas in flüssige Kohlenwasserstoffe umwandelt.
Wie war die Ausbeute an Syngas respektive Methanol über die beiden Betriebsjahre betrachtet?
Aldo Steinfeld: Unsere Mini-Solarraffinerie ist eine Anlage für Forschungszwecke; sie produzierte dementsprechend nur kleine Treibstoffmengen. Dies haben wir jedoch unter realen Feldbedingungen - mit der nicht optimalen Sonneneinstrahlung von Zürich - geschafft. In einem repr?sentativen Tagesbetrieb betr?gt die produzierte Menge an Syngas etwa 100 Standardliter, die zu etwa einem halben Deziliter reinem Methanol verarbeitet werden k?nnen.
Was lief gut, was lief nicht optimal?
Aldo Steinfeld: Aussergew?hnlich gut war, dass wir eine vollst?ndige Selektivit?t erreicht haben. Das heisst, dass wir keine unerwünschten Nebenprodukte bei der Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff und bei der Spaltung von Kohlendioxid in Kohlenmonoxid und Sauerstoff erhalten haben. Ausserdem - und das ist für die Prozessintegration entscheidend - konnten wir die Zusammensetzung des Syngas entweder auf die Methanol- oder die Kerosin-Synthese abstimmen. Die Energieeffizienz ist jedoch noch zu gering. Bislang liegt der h?chste von uns gemessene Wirkungsgrad des Solarreaktors bei 5,6 Prozent. Dieser Wert ist zwar ein Weltrekord für die solare thermochemische Spaltung, ist aber nicht gut genug. Es sind noch erhebliche Prozessoptimierungen erforderlich.
Welche Optimierungen sind besonders wichtig?
Aldo Steinfeld: Die W?rmerückgewinnung zwischen den Reaktionsschritten des thermochemischen Zyklus ist wesentlich, da sie den Wirkungsgrad des Solarreaktors auf über 20 Prozent erh?hen kann. Ausserdem kann die Struktur des Redox-Materials optimiert werden, zum Beispiel durch 3D-gedruckte hierarchisch geordnete Strukturen, die den W?rme- und Stofftransport verbessern. Wir unternehmen grosse Anstrengungen in beide Richtungen, und ich bin optimistisch, dass wir bald einen neuen Rekordwert bei der Energieeffizienz erzielen.
Für den chemischen Prozess müssen zun?chst CO2 und H2O aus der Luft extrahiert und in das System eingespeist werden. Wie viel Energie muss dafür aufgewendet werden?
Der spezifische Energiebedarf pro Mol abgetrenntem CO2 liegt bei etwa 15 Kilojoule mechanischer Arbeit für die Vakuumpumpe und 500 bis 600 Kilojoule W?rme bei 95°C, je nach relativer Luftfeuchtigkeit. Allerdings k?nnen wir die Abfallabw?rme des Solarreaktors nutzen, um die Extraktion anzutreiben. Der gr?sste Teil der Hochtemperatur-Prozessw?rme wird jedoch für die Aufspaltung von Wasser und CO2 ben?tigt und durch konzentrierte Sonnenenergie bereitgestellt.
L?sst sich diese Technologie im industriellen Massstab umsetzen?
Aldo Steinfeld: Auf jeden Fall. Für die Skalierung kann ein Heliostatenfeld, das auf einen Solarturm fokussiert ist, verwendet werden. Die derzeitige Mini-Solarraffinerie verwendet einen 5-Kilowatt-Solarreaktor. Bereits wurde eine zehnmal gr?ssere Anlage in einem Solarturm getestet. Für ein 1-Megawatt-Solarreaktormodul ist noch eine 20-fache Skalierung erforderlich. Der Solarturm in industriellem Massstab sieht eine Reihe von Solarreaktormodulen vor und kann vor allem die bereits für kommerzielle solarthermische Kraftwerke etablierte Infrastruktur zur Solarkonzentration nutzen.
Werden Sie und Ihre Gruppe sich darum kümmern?
Aldo Steinfeld: Nein, das ist Sache unserer Industriepartner. Wir an der ETH konzentrieren uns auf die grundlegenden Aspekte der Technologie. Aber wir kümmern uns auch um den Technologietransfer in die Industrie, zum Beispiel durch die Lizenzierung von Patenten. Aus meiner Gruppe sind bereits zwei Spin-offs hervorgegangen, die von ehemaligen Doktoranden gegründet wurden: Climeworks vermarktet die Technologie zur CO2-Abscheidung aus der Luft, w?hrend Synhelion die Technologie zur Herstellung von Solartreibstoff aus CO2 vermarktet.
Bei der F?rderung von Solar- und Windenergie haben Instrumente gut funktioniert, die nur mit einem sehr kleinen Preisaufschlag auf den fossilen marktbeherrschenden Treibstoffen auskommen.Tony Patt
Anthony Patt, Sie haben als Mitautor der Nature-Studie untersucht, wie der Markteintritt von solarem Kraftstoff gestaltet werden müsste. Was w?re eine effektive politische Massnahme, um der Technologie zum Durchbruch zu verhelfen?
Tony Patt: Unsere Analyse der politischen Massnahmen zeigt, dass die F?rdermassnahmen ?hnlich sein sollten wie bei der Wind- und Solarenergie. Als Regierungen damit begannen, diese Energien zu f?rdern, war Strom aus Wind- und Sonnenenergie zehn Mal teurer als Elektrizit?t, die mit fossilen Energien erzeugt wurden. Das heutige Preisverh?ltnis von solarem Kerosin zu fossilem ist ?hnlich. Der Vergleich mit anderen erneuerbaren Energietechnologien zeigt, dass mit den richtigen F?rdermassnahmen der Preis des Kerosins, das mittels der Solarraffinerie erzeugt wird, in wenigen Jahren auf den heutigen Stand von fossilem Flugbenzin sinkt.
Welches Hindernis stellt sich dem in den Weg?
Tony Patt: Am schwierigsten ist es, die anf?nglich hohe Preisbarriere zu überwinden. Mit CO2-Steuern schafft man das nicht. Wenn man fossiles Flugbenzin mit einer Steuer belegt, damit dieses so teuer wird wie solares Flugbenzin, würde fossiles Kerosin zun?chst zehnmal teurer. Niemand w?re bereit, diesen Preis zu bezahlen. Und Politiker sind nicht gewillt, solch hohe Steuern einzuführen. Bei der F?rderung von Solar- und Windenergie haben aber Instrumente gut funktioniert, die nur mit einem sehr kleinen Preisaufschlag auf den fossilen marktbeherrschenden Treibstoffen auskommen. Man muss dann den Preis für fossile Brennstoffe nur leicht anheben, um aufgrund der Marktmacht der fossilen Energietr?ger genügend Mittel zu generieren, um erneuerbare Treibstoffe zu f?rdern. Einen solchen Preismechanismus brauchen wir, um dem Solarreaktor und dem damit erzeugten solaren Flugbenzin zum Durchbruch zu verhelfen.
Welches Instrument ist Ihrer Meinung das Wirkungsvollste, um solarem Kraftstoff zum Durchbruch zu verhelfen?
Tony Patt: Am besten geeignet ist ein Quotensystem. Das funktioniert so: Fluglinien und Flugh?fen werden dazu verpflichtet, jedem getankten Liter Kerosin einen vorgeschriebenen Mindestanteil an solarem Flugbenzin hinzuzufügen. Dieser Anteil liegt zu Beginn beispielsweise bei ein bis zwei Prozent. Das verteuert zwar das Kerosin insgesamt, der Preisaufschlag w?re jedoch bescheiden und dürfte umgerechnet auf ein Flugticket für innereurop?ische Flüge bei wenigen Franken liegen. Die Quote wird dann allj?hrlich erh?ht, bis nach einer gewissen Zeit 100 Prozent erreicht sind, dass also nur noch solares Kerosin getankt wird. Die sukzessive Erh?hung der Quote führt dazu, dass der Preis für solares Kerosin drastisch sinkt - so wie wir das bei Wind- und Solarenergie beobachtet haben. Bereits bei einem Anteil von 10 bis 15 Prozent wird gem?ss unseren Berechnungen solares Flugbenzin gleich viel kosten wie fossiles Kerosin. Das ist politisch realistisch und einfacher umsetzbar.
Wo werden grosse Anlagen sinnvollerweise errichtet?
Tony Patt: Der Solarreaktor braucht direktes Sonnenlicht. Deshalb ist es nur sinnvoll, Grossanlagen in Wüstengegenden zu bauen, beispielsweise in Südspanien und Nordafrika, auf der arabischen Halbinsel, in Australien, im Südwesten der USA, in der Wüste Gobi in China oder in der Atacama-Wüste von Chile. Die solare Prozesskette braucht als Ausgangsmaterial Wasser aus der Luft, und dieses ist selbst in der trockenen Wüstenluft in ausreichenden Mengen vorhanden. Zudem ist Wüstenland günstig und es bestehen in der Regel keine anderen Nutzungsansprüche wie in dicht besiedelten Gegenden. Solartreibstoffe w?ren wie heutige fossile Treibstoffe globale Rohstoffe, die auf die gleiche Infrastruktur für Transport und Lieferung angewiesen sind.
Aldo Steinfeld: Geeignete Standorte sind Regionen, in welcher die j?hrliche direkte normale Sonneneinstrahlung mehr als 2000 kWh pro Quadratmeter pro Jahr betr?gt. Im Gegensatz zu Biotreibstoffen, die durch die Ressourcenbereitstellung begrenzt sind, kann der weltweite Bedarf an solaren Flugzeugtreibstoffen durch die Nutzung von weniger als ein Prozent der weltweiten Trockenfl?chen, die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen, gedeckt werden. Zum Vergleich: 2019 lag der weltweite Kerosinverbrauch in der Luftfahrt bei 414 Milliarden Litern. Die Gesamtfl?che aller Solaranlagen, die erforderlich w?re, um den weltweiten Bedarf vollst?ndig zu decken, würde etwa 45’000 km2 betragen, was 0,5 Prozent der Fl?che der Sahara entspricht.
Zu den Personen
Aldo Steinfeld ist seit 2007 ordentlicher Professor für Erneuerbare Energietr?ger am Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik, ETH Zürich.
Tony Patt ist seit August 2013 Professor für Klimaschutz und -?anpassung an der ETH Zürich.
Literaturhinweis
Sch?ppi R, Rutz D, D?hler F, Muroyama A, Haueter P, Lilliestam J, Patt A, Furler P, Steinfeld A: Drop-in fuels from sunlight and air. Nature, online publiziert am 3. November 2021, doi: externe Seite 10.1038/s41586-021-04174-y