Schwingende Berge
Wie Brücken und Hochh?user schwingen auch grosse Berge. Ein internationales Forschungsteam hat diese Resonanzschwingungen nun am Matterhorn gemessen und mittels Computersimulationen sichtbar gemacht.
Das Matterhorn wirkt wie ein unverrückbarer, massiver Berg, der in der Landschaft über Zermatt thront. Eine soeben in der Fachzeitschrift ?externe Seite Earth and Planetary Science Letters? ver?ffentlichte Studie zeigt nun aber, dass dieser Eindruck t?uscht. Ein internationales Forschungsteam hat nachgewiesen, dass das Matterhorn dauernd leicht in Bewegung ist: Der Gipfel schwingt in gut zwei Sekunden um wenige Nano- bis Mikrometer hin und her, angeregt durch seismische Wellen in der Erde. Diese werden durch natürliche Quellen wie die Gezeiten, die Meeresbrandung, den Wind und Erdbeben oder durch menschliche Aktivit?ten erzeugt.
?Grunds?tzlich bringen die Bewegungen des Untergrunds jedes Objekt zum Schwingen, was wir glücklicherweise nicht spüren, sondern nur mit sensiblen Messger?ten feststellen k?nnen? betont Donat F?h vom Schweizerischen Erdbebendienst an der ETH Zürich. Die sogenannten Eigenfrequenzen h?ngen in erster Linie von der Geometrie des Objekts und seinen Materialeigenschaften ab. Das Ph?nomen wird auch bei Brücken, Hochh?usern und sogar bei Bergen beobachtet. ?Wir wollten wissen, ob sich solche Schwingungen auch an einem grossen Berg wie dem Matterhorn nachweisen lassen?, sagt Samuel Weber, der die Studie w?hrend eines Postdoktorats an der Technischen Universit?t München (TUM) durchführte und mittlerweile beim WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF arbeitet. Er betont, dass die interdisziplin?re Zusammenarbeit mit Forschenden des Schweizerischen Erdbebendienstes an der ETH Zürich, des Instituts für Technische Informatik und Kommunikationsnetze der ETH Zürich sowie der Geohazards Research Group der Universit?t Utah (USA) für den Erfolg dieses Projekts besonders wichtig war.
Hochalpine Messeinrichtungen
Für die Studie installierten die Wissenschaftler am Matterhorn mehrere Seismometer, eines davon unmittelbar am Gipfel auf 4470 Meter über Meer und ein weiteres im Solvay-Biwak, einer Notunterkunft am Nordostgrat, besser bekannt als H?rnligrat. Eine weitere Messstation am Fuss des Berges diente als Referenz. Die grosse Erfahrung von Jan Beutel (ETH Zürich/Universit?t Innsbruck) und Samuel Weber mit Einrichtungen zur Messung von Felsbewegungen im Hochgebirge kam dem Team beim Aufbau des Messnetzes zugute. Die Daten werden heute automatisch an den Erdbebendienst übermittelt und für spezifische Analysen verwendet.
Die Seismometer zeichneten alle Bewegungen des Berges mit hoher Aufl?sung auf. Durch eine 80-fache zeitliche Beschleunigung wurden die aufgezeichneten Schwingungen für das menschliche Ohr h?rbar gemacht. Aus den Messdaten leitete das Team Frequenz und Richtung der Resonanzschwingungen ab. Die Messungen zeigen, dass das Matterhorn mit einer Frequenz von 0,42 Hertz ungef?hr in Nord-Süd-Richtung und mit einer zweiten, ?hnlichen Frequenz in Ost-West-Richtung schwingt.
Verst?rkte Schwingungen am Gipfel
Im Vergleich zur Referenzstation am Fuss des Berges waren die gemessenen Bewegungen im Bereich der Eigenfrequenz auf dem Gipfel bis zu 14-fach verst?rkt, betrugen aber bei Anregung durch die seismische Bodenunruhe auch dort lediglich wenige Nanometer bis Mikrometer. Die Verst?rkung der Bodenbewegungen mit zunehmender H?he l?sst sich dadurch erkl?ren, dass der Gipfel frei schwingen kann, w?hrend der Fuss des Bergs fixiert ist. Man kann das mit einem Baum im Wind vergleichen, bei dem sich die Krone st?rker als der Stamm bewegt. Verst?rkungen der Bodenbewegung am Matterhorn konnten auch bei Erdbeben gemessen werden. Die Analyse der seismischen Bodenunruhe und der Erdbebenanregungen wird beispielsweise verwendet, um Fels- und Hanginstabilit?ten in Bezug auf ihr Verhalten bei Erdbeben zu beurteilen.
Jeff Moore von der Universit?t Utah, der die Studie am Matterhorn initiiert hat, erkl?rt: ?Wir vermuten, dass Gebiete, in denen die Bodenvibrationen verst?rkt werden, anf?lliger für Rutschungen und Felsstürze sein k?nnten, wenn ein Berg von einem Erdbeben erschüttert wird.?
Solche Schwingungen sind keine Eigenart des Matterhorns. Es ist bekannt, dass viele Berge in ?hnlicher Art und Weise schwingen. Forschende des Erdbebendienstes führten dazu Vergleichsmessungen am Grossen Mythen durch. Dieser Gipfel in der Zentralschweiz besitzt eine ?hnliche Form wie das Matterhorn, ist aber deutlich kleiner.
Wie erwartet schwingt der Grosse Mythen mit einer rund 4-mal h?heren Frequenz als das Matterhorn, denn kleinere Objekte schwingen grunds?tzlich mit h?heren Frequenzen. Die Forschenden der Universit?t Utah haben die Resonanzschwingungen des Matterhorns und des Grossen Mythen im Computer simuliert und konnten sie dadurch sichtbar machen. Die US-Wissenschaftler hatten bisher vor allem kleinere Objekte untersucht wie die Felsb?gen im Arches-Nationalpark in Utah. ?Es war spannend zu sehen, dass unsere Simulationen auch für einen grossen Berg wie das Matterhorn funktionieren und die Messresultate diese best?tigen?, sagt Moore.
Dieser Text basiert auf einer externe Seite News von Martin Heggli, WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF.
Literaturhinweis
Weber S, Beutel J, H?usler M, Geimer PR, F?h D, Moore, JR: Spectral amplification of ground motion linked to resonance of large-scale mountain landforms. Earth and Planetary Science Letters, online publiziert 22. Dezember 2021. doi: externe Seite 10.1016/j.epsl.2021.117295