KI sagt Antibiotikaresistenzen schneller vorher
Eine Studie unter Co-Leitung der ETH Zürich hat gezeigt, dass sich Resistenzen von Bakterien mittels Computeralgorithmen deutlich schneller ermitteln lassen als bisher. Dies k?nnte helfen, schwere Infekte in Zukunft effizienter zu behandeln.
Weltweit sind antibiotikaresistente Bakterien auf dem Vormarsch, so auch in der Schweiz. Rund 300 Menschen pro Jahr versterben hierzulande an Infektionen verursacht durch multi-resistente Bakterien. Um die Ausbreitung von resistenten Bakterien zu bremsen, spielen die rasche Diagnostik und der zielgerichtete Einsatz von Antibiotika eine entscheidende Rolle.
Doch genau hier liegt das Problem: Die ?berprüfung, welche Antibiotika bei einem Krankheitserreger noch wirken, dauert oft zwei Tage oder l?nger, weil die Bakterien aus Patientenproben zun?chst im Labor kultiviert werden müssen. Schwere Infekte behandeln ?rztinnen und ?rzte daher anfangs oft mit einem sogenannten Breitbandantibiotikum, das gegen m?glichst viele Bakterienarten wirkt.
?Algorithmen der künstlichen Intelligenz lernten anhand der Massenspektrometrie-Daten, selbst?ndig Antibiotikaresistenzen zu erkennen.?Karsten Borgwardt, ETH-Professor
Forschende der ETH Zürich, des Universit?tsspitals Basel und der Universit?t Basel haben nun eine Methode entwickelt, mit der sich Merkmale von Antibiotikaresistenzen bei Bakterien anhand von Massenspektrometrie-Daten bereits 24 Stunden früher ermitteln lassen.
?Intelligente Computeralgorithmen suchen in den Daten nach Mustern, die Bakterien mit und ohne Resistenz voneinander unterscheiden?, erkl?rt Caroline Weis, Doktorandin am Departement für Biosysteme an der ETH Zürich in Basel und Erstautorin der Studie. Die Forschenden ver?ffentlichten die Methode in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins externe Seite Nature Medicine.
Die Zeit bis zur optimalen Therapie ist kritisch
Wenn sich wichtige Antibiotikaresistenzen frühzeitig bestimmen lassen, k?nnen ?rztinnen und ?rzte die Antibiotikatherapie entsprechend schneller gezielt auf das jeweilige Bakterium abstimmen. Profitieren würden davon insbesondere schwerkranke Patientinnen und Patienten.
?Die Zeit bis zur optimalen Therapie kann bei einem schweren Infekt über Leben und Tod entscheiden. Eine schnelle und genaue Diagnostik ist hier enorm wichtig?, sagt Adrian Egli, Leiter der Klinischen Bakteriologie und Professor am Universit?tsspital Basel.
Das Massenspektrometrie-Ger?t, das die Daten für die neue Methode liefert, wird in den meisten mikrobiologischen Laboren bereits heute ingesetzt, um die Bakterienart zu identifizieren. Das Ger?t vermisst Tausende von Proteinbruchstücken in der Probe und erstellt daraufhin einen individuellen Fingerabdruck der bakteriellen Proteine. Auch dazu müssen die Bakterien vorg?ngig kultiviert werden, allerdings bloss w?hrend wenigen Stunden.
Riesiger neuer Datensatz erstellt
Die Basler Forschenden haben nun die Massenspektrometrie auf eine neue Art und Weise genutzt, um zus?tzlich auch Resistenzen von Bakterien zu bestimmen. Sie verknüpften dazu 300'000 Massenspektrometrie-Daten von einzelnen Bakterien aus vier Laboren in der Nordwestschweiz mit den Resultaten der bisherigen Resistenz-Tests. Rund 800 unterschiedliche Bakterien und über 40 verschiedene Antibiotika sind im neuen, ?ffentlich zug?nglichen Datensatz enthalten.
?Algorithmen der künstlichen Intelligenz lernten nun anhand dieser Daten, selbst?ndig Antibiotikaresistenzen zu erkennen?, erkl?rt Karsten Borgwardt, Professor am Departement Biosysteme der ETH Zürich in Basel, der die Studie gemeinsam mit Adrian Egli leitete.
Um ein m?glichst genaues Vorhersagemodell zu entwickeln, untersuchten die Forschenden, inwiefern die Trainingsdaten den Lernerfolg der Algorithmen beeinflussen. So trainierten sie das Vorhersagemodell beispielsweise nur mit Daten von einem Spital oder mit solchen von mehreren Spit?lern.
W?hrend bisherige Arbeiten in diesem Forschungsfeld einzelne Bakterienspezies oder Antibiotika untersuchten, stützt sich die eben publizierte Studie auf eine breite Palette von Bakterienarten, die in Spit?lern isoliert wurden, und eine Vielzahl zugeh?riger Resistenzmerkmale. ?Wir pr?sentieren den bisher gr?ssten Datensatz, der Massenspektrometrie-Daten mit Informationen zu Antibiotikaresistenzen verbindet? sagt Borgwardt. ?Und es ist ein tolles Beispiel, wie man bestehende klinische Daten nutzen kann, um neues Wissen zu gewinnen.?
Algorithmen erkennen h?ufige Resistenzen zuverl?ssig
Um den Nutzen der Computer-Vorhersagen zu überprüfen, haben die Forschenden rund 60 Fallbeispiele gemeinsam mit einem Infektiologen analysiert. Es ging darum, herauszufinden, inwiefern die Vorhersagen die gew?hlte Antibiotikatherapie beeinflusst h?tte, wenn sie dem Infektiologen frühzeitig zur Verfügung gestanden h?tten.
Das Forschungsteam konzentrierte sich in diesen Beispielen auf besonders wichtige antibiotikaresistente Bakterien – darunter Methicillin-resistente Staphylokokken (MRSA) und Darmbakterien mit Resistenzen gegen Breitspektrum-Beta-Lactam-Antibiotika.
Diese Untersuchung war wichtig, denn bei der Wahl des Antibiotikums stützen sich ?rztinnen und ?rzte auch auf Faktoren wie das Alter und die medizinische Vorgeschichte der Patienten. Tats?chlich h?tte der Infektiologe mit dem neuartigen Verfahren in einigen F?llen zu einem anderen Antibiotikum gegriffen.
Klinische Studie ist bereits in Planung
Bis das neue diagnostische Verfahren zum Einsatz kommen k?nnte, gibt es noch eine weitere Herausforderung zu meistern: Der Nutzen der neuen Methode muss im Spitalalltag im Rahmen einer gr?sseren klinischen Studie erh?rtet werden. ?Eine entsprechende Studie planen wir bereits?, sagt Egli. Der klinische Mikrobiologe ist zuversichtlich, dass das Projekt die Behandlung von Infektionen in den n?chsten Jahren verbessern wird.
Auch bezogen auf das Forschungsfeld der künstlichen Intelligenz in der Medizin werfe das Projekt viele wichtige Fragen auf, so Borgwardt. ?Mit diesem Datensatz k?nnen wir n?her untersuchen, welche Anpassungen wir auf der Ebene der Algorithmen vornehmen müssen, um die Qualit?t der Vorhersagen zu verschiedenen Zeitpunkten und an verschiedenen Orten weiter zu verbessern.?
Die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft haben diese Forschungsarbeit finanziell unterstützt.
Literaturhinweis
Weis C, Cuénod A, Rieck B, Dubuis O, Graf S, Lang C, Oberle M, Brackmann M, S?gaard K, Osthoff M, Borgwardt K, Egli A. Direct Antimicrobial Resistance Prediction from clinical MALDI-TOF mass spectra using Machine Learning, Nature Medicine, Jan 21, 2021. DOI: externe Seite 10.1038/s41591-021-01619-9