Faszination Bild
Bilder spielen eine grosse Rolle in Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation. Sie wirkten schon immer attraktiv. Doch die Mittel, sie zu erzeugen, und die Vorstellungen davon, in welchem Verh?ltnis sie zur Realit?t stehen, wandeln sich im Lauf der Zeit.
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Welche Rolle spielt ?Sch?nheit? in der Wissenschaftskommunikation mit Bildern? Die beiden Wissenschaftler:innen und Bildexpert:innen, denen diese Frage gestellt wird, m?gen den Begriff nicht sehr. Sarine Waltenspül und ihr Forschungspartner Mario Schulze sprechen lieber vom ?Begehren nach Bildern? oder allgemeiner von ??sthetik?. ??Sch?nheit? kommt leicht wie eine universalistische Kategorie daher?, erl?utern sie. ?Bilder werden aber in verschiedenen Kontexten produziert und von unterschiedlichen Publika wahrgenommen und interpretiert.? Deshalb sei die Frage, wer wann auf was schaut, entscheidend.
Genau dieser Frage gehen die beiden am Beispiel eines Films aus der Fluiddynamik nach. Ihr Projekt ?Film, Forschung, Fluidit?t? führen sie als Fellows am Collegium Helveticum durch, einer Institution von ETH, Universit?t Zürich und ZHdK, die die Begegnung zwischen den Disziplinen unterstützt. Im Projekt geht es um die erkenntnistheoretischen Implikationen, ?sthetiken und Politiken von Bewegtbildern in den Wissenschaften. Ausgangspunkt ist der 1927 entstandene Film ?Entstehung von Wirbeln bei in Wasser bewegten K?rpern? von Ludwig Prandtl, einem deutschen Wissenschaftler, der Beitr?ge zum grundlegenden Verst?ndnis der Str?mungsmechanik entwickelte.
Vom H?rsaal zum Filmfestival
?Er nutzte die M?glichkeiten von Bild und Bewegtbild, um Ph?nomene zu veranschaulichen, die sich aus dem damaligen mathematischen Modell für Str?mungen noch nicht ableiten liessen?, erz?hlt Schulze. ?Aber auch, um seine Lectures attraktiver zu gestalten.? Und das mit grossem Erfolg. Prandtl zeigte seinen Film auf Konferenzen rund um die Welt. Und dabei blieb es nicht. Der Film wird im Nationalsozialismus umgearbeitet zu einem Hochschul-?Unterrichtsfilm und gelangt w?hrend des Kalten Kriegs sogar in die Schulzimmer. Als Prandtls Film schliesslich in den 2000er-?Jahren in Filmprogrammen zu Experimentalfilm und visueller Musik gezeigt wird, hat er den wissenschaftlichen Rahmen endgültig verlassen. ?In der Rezeption des Films l?sst sich neben dem Aspekt des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns immer wieder auch das Moment der puren Faszination und Attraktion durch diese filmischen Bilder ausmachen?, sagt Waltenspül.
Prandtls Film zeichnet sich durch eine eigene ?sthetik aus. In gr?sstm?glichem Hell-Dunkel-Kontrast str?men glitzernde Partikel vor schwarzem Hintergrund um einfache geometrische K?rper wie Zylinder oder Pyramiden. ?Diese Bilder sind sehr abstrakt, sehr klar, aber sie haben auch etwas Rhythmisches, fast Musikalisches?, sagt sie. ?Sie sind pr?zise, oft im goldenen Schnitt und entsprechen damit gewissen Sch?nheitsidealen.? Der hohe Abstraktionsgrad sei einerseits Ausdruck des Bemühens um wissenschaftliche Objektivit?t, fügt Schulze an. Andererseits habe dieser auch begünstigt, dass der Film in unterschiedlichen Zusammenh?ngen anschlussf?hig gewesen sei.
Technik, Objektivit?t und ?sthetik
So entsprach die sachliche ?sthetik von Prandtls Filmbildern den wissenschaftlichen Erwartungen seiner Zeit. Das Aufkommen der Bildtechniken Fotografie und Film ging mit einer sich wandelnden Definition von wissenschaftlicher Objektivit?t einher, erl?utert Schulze in Anlehnung an die Wissenschaftshistoriker:innen Loraine Daston und Peter Galison. Frühere wissenschaftliche Darstellungen wie Zeichnungen und Stiche sollten die Naturwahrheit auch im Sinn von Natursch?nheit wiedergeben, wobei Sch?nheit und Wahrheit zusammenfielen. Zeichner oder Graveure liessen ihre ?sthetisch-künstlerische Sicht miteinfliessen. In Fotografie und Film sah man dann eine naturgetreue Wiedergabem?glichkeit, eine quasi mechanische Objektivit?t. ?Die Frage nach dem Einfluss der Technologien und Apparate auf das wissenschaftliche Denken stellt sich auch in der Bildproduktion, aktuell natürlich auch in Hinblick auf die virtuellen Bildwelten?, erg?nzt Waltenspül.
?Kommunikation mit Bildern funktioniert direkter als die Kommunikation über Worte.?Mario Schulze
Mit dem Aufkommen neuer Bildtechnologien vervielf?ltigten sich zudem die M?glichkeiten, Wissenschaft einem breiteren Publikum zug?nglich zu machen. ?Kommunikation mit Bildern funktioniert direkter als die Kommunikation über Worte?, sagt Schulze. Bilder geh?ren deshalb zum Grundrepertoire der Wissenschaftspopularisierung. Aufmerksamkeit wird in diesem Zusammenhang vermehrt mittels ?sthetischer Strategien wie Attraktion, Sch?nheit, Neuigkeit und ?berraschung generiert.
Vor diesem Hintergrund verwundere es nicht, dass Wissenschaftsorganisationen wie beispielsweise der Schweizerische Nationalfonds oder die deutsche Max-Planck-Gesellschaft Wettbewerbe für die besten Wissenschaftsbilder durchführen und diese auch in Museen ausstellen. Neu sei die Popularisierung von Wissenschaft mithilfe von Bildern nicht, sagt Waltenspül, aber sie nehme immer st?rker zu. ?Wissenschaftler:innen sind heute mehr denn je darauf angewiesen, zu kommunizieren und Aufmerksamkeit zu gewinnen – innerhalb ihrer Disziplinen, über Disziplinengrenzen hinweg und in der breiten ?ffentlichkeit.? Wie nützlich dazu Bilder sind, wusste bereits Ludwig Prandtl.
Zu den Personen
Sarine Waltenspül ist Junior Fellow am Collegium Helveticum. 2021/22 vertrat sie die Professur für Medien?sthetik der Universit?t Basel. Zuvor war sie Co-Leiterin eines SNF-Projekts an der Zürcher Hochschule der Künste, wo sie auch gelehrt hatte.
Mario Schulze ist Junior Fellow am Collegium Helveticum. Im letzten Jahr vertrat er die Professur für Medien?sthetik an der Universit?t Basel. Zuvor war er als Postdoc an der Zürcher Hochschule der Künste sowie der Humboldt-Universit?t zu Berlin t?tig.
?Globe? Sch?nheit & Wissenschaft
Dieser Text ist in der Ausgabe 22/02 des ETH-????Magazins Globe erschienen.