Viel mehr als bunt
Farben k?nnen auf ganz unterschiedliche Weisen entstehen. Doch Farbenreichtum ist nicht einfach nur sch?n anzusehen, Farben k?nnen auch eine wichtige Funktion haben.
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?Warum Schokolade braun ist, ?hnelt der Frage, warum der Himmel blau ist?, sagt Ralph Spolenak. Er ist Professor für Nanometallurgie am Departement Materialwissenschaft der ETH Zürich. Es sind Partikel – im Fall der Schokolade jene des Kakaopulvers, in der Atmosph?re die Luftmoleküle –, die das Licht so streuen, dass letztlich nur der braune beziehungsweise blaue Anteil in unseren Augen landet. Die Partikel bestimmen auch die Intensit?t der Farbe. Je mehr Kakao in der Schokolade ist, desto st?rker wird sein Einfluss auf die Streuung der einfallenden Lichtstrahlen und desto dunkler die Schokolade.
Henning Galinski, Mitarbeiter in der Forschungsgruppe von Spolenak, hat sich der Wissenschaft der Schokolade angenommen: ?Wir haben die Schokolade als optisches Material betrachtet und uns gefragt, ob es m?glich ist, Schokolade ohne Beigabe zus?tzlicher Stoffe zu f?rben.? Dabei hat der Physiker intensiv mit den ETH-Forschungsgruppen für Komplexe Materialien und für Lebensmittelverfahrenstechnik sowie mit der Fachhochschule Nordwestschweiz zusammenbearbeitet.
Zun?chst hat sich das Team neben der Lichtstreuung auch die Lichtreflexion angeschaut. Beim Reflexionsprozess f?llt der Lichtstrahl auf eine Oberfl?che und wird im Gegensatz zur Streuung in einem fixen Winkel reflektiert. Das passiert zum Beispiel bei Metalloberfl?chen oder Spiegeln. ?Wir haben in die Oberfl?che der Schokolade ein bestimmtes Profil eingepr?gt, um das reflektierte Licht an diesem optischen Gitter zu beugen?, sagt Galinski. Damit spaltet das Profil die einfallenden Lichtstrahlen in seine Spektralfarben auf: Die ?Schokolade schimmert in den sch?nsten Regenbogenfarben – und dies ganz ohne chemische Ver?nderung oder zus?tzliche Beschichtungen.
Von blossem Auge
?Die schillernde Schokolade ist optisch attraktiv. Aber das liegt natürlich immer im Auge des Betrachters?, meint Spolenak. Doch Farben k?nnen viel mehr sein als attraktiv. Und sie k?nnen durchaus objektiv beurteilt werden. Galinski blickt zurück: ?Wir hatten uns gefragt, ob wir Farben benutzen k?nnen, um Materialeigenschaften abzulesen.? Wie ver?ndert sich beispielsweise die H?rte einer Legierung, wenn sie heiss wird?
Der Wissenschaftler erz?hlt von einer konkreten Anwendung: ?berhitzt eine Turbine bei ?einem Windrad, kann das Material Schaden nehmen. Es wird instabil. Aber Turbinen in Windparks auf offener See mit dem Hubschrauber zu überwachen, ist aufwendig und sehr teuer. ?Wir haben ein System entwickelt, um mit einer einfachen optischen Messung Eigenschafts?nderungen permanent ablesen zu k?nnen?, erkl?rt Galinski. ?Wir konnten eine ?nderung der Farbe direkt mit einer H?rte?nderung des Materials verbinden oder mit einer ?nderung des elektrischen Widerstands.?
Galinski macht ein weiteres Beispiel: Gemeinsam mit der Empa haben die ETH-Wissenschaftler das Sensorkonzept auf Textilien übertragen. ?Wir haben ein thermo-chromisches System auf textile Fasern aufgebracht, das hitzebedingte Materialsch?den farblich signalisiert.? Das kann unter Umst?nden lebensrettend sein. Feuerwehrleute sind oft Situationen ausgesetzt, die sehr kritisch sind. ?berhitzt ein Material wie ein Seil oder Kleidungsstück wegen Feuer oder starker Reibung, wird seine Funktion beeintr?chtigt. Die ?nderung der Farbe signalisiert den Schaden und warnt vor dem weiteren Gebrauch.
Damit wird die Farbe zum Abbild der Funktion und zu einer sensorischen Komponente. ?Wir Menschen beurteilen ja den ganzen Tag unsere Umwelt anhand der Farben. Rot im Strassenverkehr bedeutet zum Beispiel ?Stopp??, sagt Galinski. Und Spolenak erg?nzt: ?Die Materialsch?den sind im Grunde mikroskopisch klein, aber unser Schichtsystem verst?rkt die Effekte und so werden sie durch die Farb?nderung schliesslich mit blossem Auge sichtbar.? Das System auf den textilen Fasern besteht aus mehreren Schichten. Auf die Temperatur reagiert allerdings nur die ?usserste, die lediglich 20 Nanometer dünn ist. Sie kristallisiert und die Farbe ?ndert sich.
Wenig Material, viel Licht
?Wir interessieren uns aber auch für grossfl?chige Lichtwechselwirkungen, die auf dünnen Schichten basieren?, erz?hlt Ralph Spolenak. Dies aus gutem Grund: Wenn viel Licht in wenig Material eingefangen werden kann, bis es vollst?ndig absorbiert ist, hat das ein enormes Potenzial im Bereich Solarzellen und anderen Energiematerialien. ?Braucht diese Art der Lichtkonzentration, die auch zur Farbentstehung verwendet werden kann, nur ein geringes ?Materialvolumen, ist das sehr effizient?, erg?nzt der Physiker Galinski.
Kürzlich hat die Gruppe von Spolenak ein Prinzip entwickelt, um mit nanoskopischen Netzwerken effizient Licht einzufangen. Diese Netzwerke bestehen aus einer speziellen Legierung und erlauben es weitgehend unabh?ngig vom Lichteinfallswinkel bis zu 99 Prozent des Lichts zu absorbieren.
Bereits vor ein paar Jahren hat die Gruppe gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam erfolgreich ein Prinzip entwickelt, um Metallbeschichtungen in verschiedenen Farben herzustellen. Das Beschichtungsmaterial besteht aus einer speziellen Feinstruktur, die sich aus zwei unterschiedlichen Schichten zusammensetzt. Die untere Schicht besteht aus einem Netzwerk aus Metallen, das von winzigen Poren durchsetzt ist. Der obere Teil besteht aus einer dünnen Oxidschicht. Die Farbe entsteht vor allem durch die Wechselwirkung des Lichts mit der ungeordneten Grenzschicht der beiden Materialien. Dabei bestimmt die Dicke dieser Schicht die Farbe: 12 Nanometer machen das Material beispielsweise grünlich, 24 Nanometer gelb und 48 Nanometer blau.
Auch Claudiadele Polinari vom Gymnasium R?mibühl hat im Rahmen ihrer Maturaarbeit Strukturfarben hergestellt. Sie wollte eine m?glichst grosse Farbpalette abbilden und nicht nur wenige einzelne Farben. Mit ihrem Zwei-Schichten-Prinzip ist die Nachwuchsforscherin bei den Grünt?nen aber an ihre Grenzen gestossen. Gelernt hat sie trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – sehr viel w?hrend ihres kurzen Forschungsaufenthalts an der ETH. Und die vielen erfolgreichen Farbproben h?ngen nun eingerahmt als Bild über dem Besprechungstisch an der Wand. Sch?n, wenn Forschungsergebnisse optisch so viel hergeben.
Zu den Personen
Ralph Spolenak ist Professor für Nano?metallurgie am Departement Materialwissenschaft der ETH Zürich.
Henning Galinski arbeitet als Senior Scientist in der Forschungsgruppe von Ralph Spolenak.
Literaturhinweis
Galinski H et al. Optical properties and structural coloration of chocolate. Appl. Phys. Lett. November 02 2020. DOI: externe Seite https://doi.org/10.1063/5.0028535
Schnabel V et al. Structural Color Sensors with Thermal Memory: Measuring Functional Properties of Ti-Based Nitrides by Eye. Advanced Optical Materials. July 26 2018. DOI: externe Seite https://doi.org/10.1002/adom.201800656
Galinski H et al. Functional Coatings on High-Performance Polymer Fibers for Smart Sensing. Advanced Functional Materials. February 16 2020. DOI: externe Seite https://doi.org/10.1002/adfm.201910555
Wohlwend J et al. Chemical Engineering of Cu–Sn Disordered Network Metamaterials. Nano Letters. November 5 2021. DOI: externe Seite https://doi.org/10.1021/acs.nanolett.1c03545
Galinski H et al. Scalable, ultra-resistant structural colors based on network metamaterials. Light Sci Appl. September 27 2016. DOI: externe Seite https://doi.org/10.1038/lsa.2016.233
?Globe? Sch?nheit & Wissenschaft
Dieser Text ist in der Ausgabe 22/02 des ETH-????Magazins Globe erschienen.