Ein grünes Europa ohne Energieimporte

Forschende der ETH Zürich und der TU Delft zeigen hunderte von Optionen auf, mit denen bis 2050 das europ?ische Energiesystem grün und autark werden kann. Sie entwickeln eine interaktive Plattform, die es erlaubt, diese Optionen und die damit verbundenen Zielkonflikte besser zu illustrieren.

Solarpanels und Windräder
Bis 2050 gibt es  zahlreiche Optionen, um ein grünes und autarkes europ?isches Energiesystem aufzubauen. (Bild: Adobestock)

Europa importiert über die H?lfte seiner Energie aus dem Ausland. Dabei handelt es sich überwiegend um fossile Energietr?ger wie ?l oder Gas. Sp?testens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist klar, dass diese Abh?ngigkeit nicht nur das Klima, sondern auch die Sicherheit Europas gef?hrdet.

Doch kann Europa seinen Energiebedarf in Zukunft ausschliesslich aus eigenen, erneuerbaren Energiequellen wie Wind und Sonne decken und vollst?ndig auf Energieimporte verzichten? ETH-Forscher Bryn Pickering und seine zwei Mitautoren von der TU Delft zeigen in einer neuen Studie, dass dies nicht nur m?glich ist, sondern dass es über 400 kosteneffiziente und technisch machbare Optionen gibt, um bis 2050 ein kohlenstofffreies und autarkes europ?isches Energiesystem aufzubauen.

?Auf dem Weg zu einem grünen, unabh?ngigen Energiesystem in Europa gibt es viel mehr Flexibilit?t als wir bisher gedacht haben?, erkl?rt Pickering. So unterschiedlich diese Wege im Detail sein m?gen, haben sie eines gemein: Sie bedingen einen massiven und schnellen Ausbau erneuerbarer Energietr?ger – vor allem der Wind- und Sonnenenergie – sowie eine Reihe von flexiblen Umwandlungs-, Speicher- und Verteilungstechnologien. Ist dieses Potential erst mal ausgesch?pft, ist keine zus?tzliche Energie aus fossilen Energietr?gern n?tig. 

Ein ?ffentlich zug?ngliches Energiemodell Europas

Um die Vielfalt an Optionen sichtbar zu machen, entwickelten die Forscher ein hochaufgel?stes, ?ffentlich zug?ngliches Energiemodell Europas. Dieses bildet sowohl die Nachfrage als auch das Angebot aus erneuerbaren Energiequellen, die auf bew?hrten und bereits kommerziell verfügbaren Technologien beruhen, über unterschiedliche Sektoren und Regionen verteilt ab. Das Modell integriert für 35 L?nder stündlich schwankende Str?me aus Elektrizit?t, W?rme, Wasserstoff, synthetischen Kohlenwasserstoffen und Biokraftstoffen.

Eine ?ffentlich zug?ngliche externe Seite Online-Plattform erlaubt es Entscheidungstr?ger:innen, Analyst:innen und Forschenden die zahlreichen Optionen zu vergleichen. Um die schwankende Stromproduktion aus Wind und Sonne zu bew?ltigen, k?nnen Benutzer:innen der Plattform selbst entscheiden, wie sehr das System auf flexiblen Technologien und Ausgleichsmechanismen wie Speicherkapazit?t, Biotreibstoffen, der Elektrifizierung von Verkehr und W?rme, oder der Energieverteilung innerhalb Europas beruhen soll. ?Indem die Nutzer diese Faktoren beliebig variieren, werden unterschiedliche Zielkonflikte und komplexe Zusammenh?nge im Energiesystem sichtbar?, sagt Stefan Pfenninger, einer der Mitautoren von der TU Deflt.

Vergr?sserte Ansicht: Grafische Oberfläche des Visualisierungstools
Das ?ffentlich zug?ngliche Visualisierungstool erm?glicht es Nutzern, unterschiedliche Optionen eines grünen und autarken Energiesystems zu vergleichen.

Zielkonflikte sichtbar machen

Entscheidet man sich zum Beispiel die Verwendung von Biokraftstoffen zu beschr?nken, hat dies zur Folge, dass sowohl die W?rmeversorgung als auch der Transport gr?sstenteils elektrifiziert und Elektrofahrzeuge vor allem dann geladen werden müssten, wenn genügend Strom vorhanden ist.

Nimmt man hingegen an, dass es nur m?glich ist, die H?lfte des Verkehrs zu elektrifizieren, steigt die Nachfrage nach synthetischen Treibstoffen, die aus Biokraftstoffen oder elektrisch erzeugtem Wasserstoff produziert werden, drastisch. Um die Nachfrage m?glichst kostensparend zu decken, sollten synthetische Treibstoffe vor allem dort produziert werden, wo Elektrizit?t am günstigen ist, etwa in Grossbritannien, Irland oder Spanien. Da dies zu einer Konzentration der Energiegewinnung und Produktion von synthetischen Treibstoffen in gewissen Regionen führen würde, müsste ein Grossteil der Staaten in Europa erzeugte Energie importieren.  

Wenn einzelne Staaten aber danach streben, m?glichst energieautark zu sein, empfiehlt es sich den Verkehr nahezu vollst?ndig zu elektrifizieren und die Ladezeiten so zu gestalten, dass die Energienachfrage besser durch das schwanke Angebot gedeckt wird.

Flexibilit?t bei regionalen Szenarien

Das Modell zeigt zudem, dass es bei der Frage, wo erneuerbare Energie und synthetische Treibstoffe kosteneffizient produziert werden, eine grosse Bandbreite an kontinentalen und regionalen Optionen gibt. So ist ein Szenario denkbar, bei dem eine Begrenzung der Speicherkapazit?ten und eine geringe Verwendung von Biotreibstoffen einen starken Ausbau der Windenergie und Wasserstoffproduktion in Grossbritannien und Irland erfordert. Um die produzierte Energie im Rest Europas zu verteilen, müssten die ?bertragungsnetzte stark erweitert werden (siehe Abbildung unten).

Grafiken
Mithilfe des Visualisierungstools kann für jedes Szenario der Energie- und Technologiemix (l.), die Verteilung der Wasserstoffproduktion (mitte) und der n?tige Ausbau der Stromleitungen verglichen werden. (Bild: aus Pickering, Lombardi & Pfenninger 2022)

Alternativ k?nnte der Bedarf nach Speicherkapazit?ten und Biokraftstoffen mit einem Ausbau der Solarenergie in Südeuropa reduziert werden, sofern diese durch Windenergie aus ganz Europa erg?nzt wird. Dies würde eine Aufteilung der Wasserstoffproduktion in südliche und n?rdliche Zentren sowie einen ausgeglichenen Ausbau der kontinentalen ?bertragungsnetze erfordern.

Ein besseres Verst?ndnis m?glicher Energiesysteme

Das Modell und die Online-Plattform erm?glichen es Forschenden und Entscheidungstr?ger:innen die Bedingungen, Optionen und Zielkonflikte eines grünen und autarken europ?ischen Energiesystems besser zu verstehen und effizienter zu untersuchen, als dies bisher m?glich war. So k?nnen zum Beispiel die Vor- und Nachteile einer in wenigen Regionen konzentrierten Energieproduktion besser mit dezentralen Optionen verglichen werden. 

?Die Grundannahmen dieses Modells sind mit einigen Unsicherheiten behaftet. Die 441 Optionen illustrieren vor allem m?gliche Zukunftsszenarien an denen sich Entscheidungstr?ger:innen orientieren k?nnen und sollten nicht als Prognosen verstanden werden?, sagt Pickering.

Literaturhinweis

Pickering B, Lombardi F, Pfenninger S. Diversity of options to eliminate fossil fuels and reach carbon-neutrality across the entire European energy system. Joule, 2022. DOI: externe Seite 10.1016/j.joule.2022.05.009

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert