Zu Fuss zu Netto-Null
Kürzlich wurde im Kanton Zürich das Klimaschutzziel ?Netto-Null 2040? beschlossen. Sibylle W?lty pl?diert für mehr 10-Minuten-Nachbarschaften, weil sie den Siedlungsraum besser nutzen und dadurch viele Emissionen vermieden werden.
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Um Klimaschutzziele wie ?Netto-Null? zu erreichen, müssen 80 Prozent der heutigen Emissionen vermieden werden. Dies bedingt auch, dass wir unsere Siedlungspolitik grunds?tzlich überdenken müssen. Wie sollen also emissionsarme Siedlungsgebiete konkret geplant werden?
Die theoretische Antwort darauf ist gar nicht so schwierig: Man muss A n?her zu B bringen, Distanzen verringern. Doch unsere St?dte haben sich bezogen auf das Wohnen entdichtet. Es entstanden immer mehr Arbeitspl?tze und im Verh?ltnis dazu immer weniger, dafür umso teurerer Wohnraum. Einigermassen bezahlbarer Wohnraum ist nur noch ausserhalb der Ballungsr?um zu finden, was die Distanz zwischen Wohnen und Arbeiten zwangsl?ufig vergr?ssert. Parallel dazu erm?glicht der Staat durch gut ausgebaute Strassen- und Schienennetze eine erh?hte Verkehrsgeschwindigkeit zwischen A und B. Dies ist ein subventionierter Widerspruch zu den gesteckten Klimazielen.
10 Minuten zu Fuss als Limit
Soll uns die Klimawende gelingen, braucht es Bewegungsmuster, welche helfen die Emissionen zu senken. Dies erreichen wir beispielsweise, in dem wir an geeigneten Standorten die Bodennutzung intensivieren. Doch: Wird ein Einfamilienhaus ohne jegliche Versorgungsinfrastruktur in Gehdistanz durch ein Geb?ude mit 5 Wohneinheiten ersetzt, sind nicht mehr ?nur? zwei Autos unterwegs, sondern zehn.
Machen wir uns nichts vor: Wir Menschen sind bequem. Bezogen auf die Verkehrsmittelwahl heisst das, mehr als 10 Minuten von A nach B gehen zu müssen, ist Vielen zu beschwerlich. Für Distanzen ausserhalb eines 500 Meter Radius, gibt es noch das Velo oder den ?ffentlichen Verkehr, in den meisten F?llen entscheiden wir uns aber leider oft für den motorisierten Individualverkehr (MIV).
Nicht nur dichter auch gemischter
Nebst der Nutzungsdichte braucht es also auch einen verbesserten Nutzungsmix. Ideal ist, wenn Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Versorgung in einer 10-Minuten-Gehdistanzen liegen. Ein zus?tzlicher Pluspunkt: Je h?her die Nutzungsintensit?t, desto vielseitiger das lokale Versorgungsangebot.
Das von mir entwickelte Konzept der 10-Minuten-Nachbarschaften beruht auf folgenden Annahmen: Innerhalb eines Radius von 500 Meter betr?gt das Verh?ltnis von Bewohner:innen zu Vollbesch?ftigten 2:1. Für die erforderliche Verdichtung müssten mindestens 10'000 Einwohnerinnen und 5'000 Vollbesch?ftigten in dieser kurzen Distanz leben und arbeiten. Dies selbstverst?ndlich an mit ?ffentlichem Verkehr gut erschlossenen Lagen. Nicht zwingend ist, dass man in der gleichen 10-Minuten-Nachbarschaft wohnt und arbeitet. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies eine Option wird, nimmt jedoch zu, und zwar umso mehr mit den M?glichkeiten von Home Offices und Co-Working.1
In der Praxis
Wie das Konzept der 10-Minuten-Nachbarschaften in der Praxis umgesetzt werden kann, wird derzeit anhand des Projekts ?Oberstadt4D?2 der Stadt Baden geprüft. Gemeinsam mit verschiedensten Stakeholdern und mit modernster Visualisierung- und Kommunikationstechnologie machen wir in einem 4-dimensionalen Raum-Zeit-Modell sichtbar, wie die Transformation der Nachbarschaft aussehen k?nnte.
?Je mehr Menschen in 10-Minuten-Gehdistanz wohnen und arbeiten, desto besser fürs Klima.?Sibylle W?lty
Konkret: Wir gehen von einem 46 Hektar grossen Siedlungsraum aus, in welchem heute 3'700 Personen wohnen und arbeiten. Da der 80 Hektar grosse Perimeter über einen Waldanteil von 40 Prozent verfügt, müssten bei gleichem Wohnfl?chenkonsum pro Einwohner künftig 9'000 Personen (also 60 Prozent von 15'000), in dieser Nachbarschaft wohnen und arbeiten. Mir ist klar: Das ist ambitioniert und es müssten dafür auch noch einige Bestimmungen ge?ndert werden, aber je mehr Menschen in 10-Minuten-Gehdistanz wohnen und arbeiten, desto besser fürs Klima.3
Zeigen, was geht
Das Klimaschutzziel ?Netto-Null? bedeutet viel Verantwortung und bedingt, dass Politik, Wissenschaft und Praxis m?glichst rasch und eng zusammenarbeiten. Der Beitrag der Wissenschaft ist zu modellieren, zu rechnen und zu zeigen, wie ein emissionsarmer Lebensraum aussehen kann und was er mit seiner N?he bietet. Wir haben es in der Hand, eine Basis zu schaffen, bei der alle Akteur:innen gemeinsam den Transformationsprozess diskutieren und bei der Gestaltung mitbestimmen k?nnen. Ist vieles in Gehdistanz erreichbar, was es für ein gutes Leben braucht, reduziert sich durch die automatische Verhaltens?nderung der CO2-Ausstoss. Bewegen wir uns!