Blumenwiese

Biodiversität – schön und dringend gebraucht

Eine hohe biologische Vielfalt ist nicht nur sch?n, sie ist auch wichtig. ETH-Wissenschaftler erforschen die Grundlagen dazu, wie sich die Vielfalt von Arten und Genen entwickelt und wozu wir Menschen diese Vielfalt dringend brauchen.

Im Frühling leuchtet der gelbe L?wenzahn aus sattgrünen Wiesen. Der Himmel darüber ist wolkenlos blau – was für eine Farbkombination, was für ein sch?ner Anblick, mag sich manch einer denken. Doch ein Biodiversit?tsforscher wie Alex Widmer, Professor für ?kologische Pflanzengenetik am Departement Umweltsystemwissenschaften, sieht das anders. ?Mein Wissen über ?kologische Zusammenh?nge ist mir im Weg, um eine solche monotone Wiese sch?n zu finden?, sagt er. Als sch?n empfindet er artenreiche Trocken- oder Magerwiesen, die wie er sagt ?kaum dem Postkartenidyll entsprechen?. Die Sch?nheit solcher Wiesen sei viel weniger offensichtlich. Ungedüngte, wenig bewirtschaftete Mager- und Trockenwiesen sind ?usserst vielf?ltig. Das ist nicht nur sch?n, sondern auch wichtig.

?Die Artenvielfalt macht ?kosysteme resilient?, betont Widmer, ?und die Grundlage der Resilienz ist die genetische Vielfalt.? Genetische Vielfalt sei die Voraussetzung dafür, dass sich Arten oder Organismen an bestehende oder sich ?ndernde Umweltbedingungen anpassen k?nnen. Und die Anpassungsf?higkeit wiederum ist die Grundlage für die Artbildung.

Blumenwiese
Eine Magerwiese beherbergt eine grosse Pflanzenvielfalt. (Bild: Peter Rüegg)

Auch für Lo?c Pellissier, Professor für ?kosysteme und Landschaftsevolution am Department Umweltsystemwissenschaften, offenbart sich die Sch?nheit von Biodiversit?t anders als nur durch das, was das Auge wahrnimmt. Er sehe die Sch?nheit der Biodiversit?t darin, wie sich Arten gemeinsam entwickeln und zusammen funktionieren. ?Wer sich mit Artenvielfalt besch?ftigt, erkennt, wie sich alle Organismen dahingehend entwickelt haben, miteinander wechselzuwirken. Ich betrachte ?kosysteme als riesige Puzzles, bei denen alle Teile nahezu perfekt zueinander passen.? In seiner Forschung befasst er sich damit, wie Artenvielfalt entsteht und sich entwickelt. Weil dies Zeitr?ume von Millionen von Jahren umfasst, arbeitet Pellissier mit Computermodellen, mit denen er sowohl geologische Prozesse, als auch die Vorg?nge simuliert, die zur Bildung neuer Arten führen.

Genetische Vielfalt

Der Biodiversit?tsforscher führt auch zahlreiche Feldprojekte durch, um dem Geheimnis der Artenvielfalt auf die Spur zu kommen. Dafür nutzt er einen neuen Ansatz, der sich in der ?kologie durchzusetzen beginnt, und zwar das Aufspüren von Arten oder Organismen mithilfe ihrer DNA, die sie in der Umwelt hinterlassen – Umwelt-DNA oder kurz eDNA (environmental DNA) genannt. Um an das Erbgut von verschiedensten Organismen heranzukommen, reicht es den Forschenden, nur noch Wasser- oder Bodenproben zu extrahieren und zu analysieren. Die darin vorhandene DNA ordnen sie dann den entsprechenden Organismen zu – sofern für diese eine Referenz bekannt oder vorhanden ist. Auf diese Weise k?nnen die Forschenden relativ rasch herausfinden, ob eine Art in einem ?kosystem vorkommt oder nicht. ?Wir erhalten durch eDNA einen neuen Sinneseindruck von der Vielfalt eines ?kosystems?, sagt er.

Vor Kurzem war Pellissier Mitautor einer Studie über die weltweite Vielfalt von Riff-?Fischen. In verschiedenen tropischen Korallenriffen nahmen Forschende über 200 Meerwasserproben und fischten wortw?rtlich nach der darin vorhandenen DNA von Fischen. Mithilfe der eDNA konnten die Forschenden in weniger als zwei Jahren tats?chlich mehr Fischarten und -?familien nachweisen als Spezialisten auf Tauchg?ngen w?hrend mehr als 13 Jahren.

?Die genetische Vielfalt ist der am st?rksten vernachl?ssigte Bereich der Biodiversit?t.?
Alex Widmer

Artenvielfalt ist indessen nur ein Aspekt der biologischen Vielfalt. Weitere Ebenen der Biodiversit?t sind die Diversit?t von Lebensr?umen und die genetische Vielfalt. ?Doch die genetische Vielfalt ist der am st?rksten vernachl?ssigte Bereich der Biodiversit?t?, betont Alex Widmer. ?Die genetische Vielfalt zu untersuchen und zu überwachen, ist viel aufwendiger und schwieriger, als Lebensr?ume oder Arten zu monitoren.? Davon zeugen auch die zahlreichen Inventare von Lebensr?umen – W?lder, Feuchtgebiete, Trockenwiesen – und von Pflanzen und Tieren der Schweiz. ?Aber kein einziges Monitoring besch?ftigt sich hierzulande mit der genetischen Vielfalt der Lebewesen?, sagt der ETH-Professor. ?Dabei ist die genetische Vielfalt als Grundlage der Artenvielfalt und der Anpassungsf?higkeit eminent wichtig.?

Widmer hat deshalb in Zusammenarbeit mit der Eidg. Forschungsanstalt WSL und mit der Unterstützung des Bundesamts für Umwelt Bafu ein Projekt angestossen, welches das Biodiversit?tsmonitoring der Schweiz erg?nzen und eine empfindliche Lücke schliessen soll. In einer Pilotstudie untersuchen Widmer und seine Mitarbeitenden fünf verschiedene Arten, darunter zwei Pflanzenarten, einen Schmetterling, eine Kr?te und einen Vogel: die Goldammer, ein im Schweizer Kulturland verbreiteter Singvogel, von dem die Forschenden die Genome von hundert Individuen aus der ganzen Schweiz sequenziert haben.

Ein grosser, brauner Fisch in einem Korallenriff
Hinter der Sch?nheit von Korallenriffen verbirgt sich Lebensraum für eine Vielzahl von Lebewesen. Heute sind diese komplexen ?kosysteme durch Umwelteinflüsse akut bedroht.  (Bild: Stocksy)

Zus?tzlich zu den lebenden Individuen untersuchen die Forschenden auch das Erbgut von Belegen aus Sammlungen. ?Damit k?nnen wir herausfinden, ob Populationen von vor über hundert Jahren genetisch so vielf?ltig waren wie heutige oder ob genetische Vielfalt verloren ging?, erkl?rt Widmer. Aufgrund der Biodiversit?tsforschung in der Schweiz wisse man, dass die Artenvielfalt stark abgenommen habe. ?Wir m?chten herausfinden, ob wir das auch bei der genetischen Vielfalt sehen.? Widmers Ziel ist es, nach Abschluss der Pilotstudie ein grosses Monitoring aufziehen. Dieses soll bis zu fünfzig Arten umfassen, die in regelm?ssigen Abst?nden auf Ver?nderungen ihrer genetischen Vielfalt untersucht werden. Ob für dieses aufwendige und ambitionierte Vorhaben Geld gesprochen wird, ist noch offen.

Fragile und bedrohte Sch?nheit

Die Zeit eilt. Die biologische Vielfalt ist bedroht und nimmt rapide ab. Nur ein Biodiversit?tspuzzle, das viele Teile umfasst und bei dem die Teile stark miteinander vernetzt sind, verlangsamt das Aussterben einzelner Arten. Halbiert sich dieses Netzwerk, dann sterben Arten um den Faktor 1000 schneller aus. Und nochmals tausendmal schneller geht es, wenn ?ussere St?rungen wie der Klimawandel mit reinspielen.

?Wir sind dringend auf die Biodiversit?t angewiesen: Ob wir etwas zu essen auf dem Tisch haben, h?ngt genauso von der biologischen Vielfalt ab wie unser psychisches Wohlbefinden?, betont Widmer. Vielf?ltige ?kosysteme sind viel stabiler und besser für die Zukunft gerüstet als monotone, artenarme Lebensr?ume. ?Biologische Vielfalt ist wie antike Kunst: Sie ist nicht ersetzbar. Verliert die Erde ihren biologischen Reichtum, verliert sie ihre Magie?, pflichtet Pellissier bei.

Zu den Personen

Lo?c Pellissier ist Professor für ?ko?systeme und Landschaftsevolution am Department Umweltsystemwissenschaften. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Landschaftsdynamik sowie ihre Korrelation mit der Biodiversit?t.

Alex Widmer ist Professor für ?kologische Pflanzengenetik am Departement Umweltsystemwissenschaften und forscht zu evolution?ren Prozessen und Biodiversit?t.

?Globe? Sch?nheit und Wissenschaft

Globe 22/02 Titelblatt: bunte Simulation einer gemessenen Gravitationswelle

Dieser Text ist in der Ausgabe 22/02 des ETH-????Magazins Globe erschienen.

Download Ganze Ausgabe lesen (PDF, 6.7 MB)

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