Seismologen und Seismologinnen rekonstruieren mit den Informationen, die seismische Wellen liefern, den Aufbau des Planeten. Das Team um ETH-Professor Andreas Fichtner nutzt dieses Wissen nun für die medizinische Bildgebung.
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Sowohl die medizinische Bildgebung mit Ultraschall wie auch die Seismologie zur Darstellung des Erdinneren nutzen die Ausbreitung von Wellen durch die Materie. Treffen seismische Wellen auf Materialunterschiede im Erdinnern, etwa unterschiedliche Gesteinsverb?nde, werden sie an deren Grenzfl?chen reflektiert und gebrochen. Infolgedessen ?ndert sich die Geschwindigkeit der Wellen. Messen nun Forschende an der Oberfl?che diese Wellen, k?nnen sie Rückschlüsse auf den Aufbau des Erdinneren ziehen, über die Gesteinszusammensetzung und deren Materialeigenschaften wie Dichte, Druck oder Temperatur.
Mit Hilfe von ausgefeilten Algorithmen und Hochleistungsrechnern wie ?Piz Daint? am CSCS k?nnen schliesslich Forschende wie Andreas Fichtner, Professor am Institut für Geophysik und Leiter der Gruppe Seismologie und Wellenphysik, diese Wellendaten verwenden, um die dreidimensionale Struktur der Erde zu charakterisieren. Die Parallelen zur Ausbreitung zwischen Ultraschall- und Erdbebenwellen sowie das Know-how des Teams im Bereich der Wellenphysik - wie sich die Informationen, die Wellen in sich tragen, nutzen und in Bilder umsetzen lassen - brachten den ETH-Professor und seine Gruppe dazu, die Wellenausbreitung auch für den medizinischen Ultraschall zu nutzen.
?Im Gegensatz zum herk?mmlichen Ultraschall verwenden wir in unseren Simulationen die gesamte Welleninformation.?Patrick Marty
So entwickelte die Forschungsgruppe schon vor sechs Jahren in Zusammenarbeit mit Medizinerinnen und Medizinern eine Ultraschallmethode zur Früherkennung von Brustkrebs. Neu erforscht das Team nun, wie sich das Gehirn mit Ultraschall untersuchen lassen k?nnte. Mit diesem Verfahren k?nnten die Forschenden und ?rzte dereinst beispielsweise Schlagfanfallpatienten überwachen oder Gehirntumore identifizieren.
Schonende und kostengünstige Untersuchung
Im Vergleich zur Computertomographie (CT) oder dem R?ntgen hat Ultraschall einen entscheidenden Vorteil: Das Verfahren ist für den K?rper nahezu unsch?dlich. Zudem ist es viel kostengünstiger als etwa die Magnetresonanz-Tomographie (MRT). Darüber hinaus sind Ultraschallger?te transportabel und k?nnen auch in entlegenen Regionen zum Einsatz kommen. Das Problem ist aber, dass Ultraschall bis anhin nur in Weichteilen gut funktioniert. Ultraschallwellen durch harte Strukturen wie die Sch?deldecke zu bekommen, ist jedoch sehr schwierig, denn der Sch?delknochen reflektiert und d?mpft die Wellen sehr stark.
Patrick Marty entwickelt in seiner Doktorarbeit bei Fichtner mit Unterstützung von Christian B?hm, Senior Scientist in der Gruppe Seismologie und Wellenphysik, nun ein Verfahren, das diese Herausforderung überwinden soll. Diese Methode soll die Grundlage dafür liefern, um das Gehirn mit Ultraschall hochaufl?send darzustellen.
Die Forscher entwickeln für die Simulation der Wellenausbreitung durch das Gehirn sowohl Algorithmen weiter wie auch ein spezielles Gitternetz, dessen Koordinatenpunkte berechnet werden müssen. Herzstück ist dabei ein an der ETH Zürich mit Unterstützung des CSCS entwickeltes Softwarepaket namens Salvus. Salvus modelliert die Ausbreitung des kompletten Wellenfeldes (full-waveform) über r?umliche Skalen von einigen Millimetern bis zu Tausenden von Kilometern. ETH-Seismologen nutzen diese Software zur Simulation seismischer Wellen, um beispielsweise das Innere der Erde oder des Mars zu erforschen, sowie für die medizinische Bildgebung. Das Softwarepaket verwendet die Spektrale-Elemente-Methode (SEM), die sich besonders zur Simulation der Wellenausbreitung in Medien mit kontrastreichen Materialüberg?ngen eignet.
?Im Gegensatz zum herk?mmlichen Ultraschall, der nur die Ankunftszeit der Wellen nutzt, verwenden wir in unseren Simulationen die gesamte Welleninformation?, sagt Patrick Marty. Das heisst, die Form der Welle, deren Frequenz, Geschwindigkeit und Amplitude an jedem Punkt ihrer Ausbreitung fliessen in die Berechnungen ein.
Lernen an einer Magnetresonanz-Tomographie
Für ihr Modell verwenden die Forscher eine MRT-Aufnahme des Gehirns als Referenzbild. Auf dem Supercomputer ?Piz Daint? führen sie dann mit unterschiedlichen Parametern Berechnungen durch, bis das simulierte Bild mit dem des MRT übereinstimmt.
Mit ihrer Methode erhalten sie anstatt eines für den herk?mmlichen Ultraschall üblichen Graustufenbildes, das keine weiteren Informationen enth?lt, ein quantitatives Bild: Indem die Forscher die Informationen des kompletten Wellenfelds nutzen, lassen sich die physikalischen Eigenschaften des Mediums - die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Ultraschallwellen durch das Gewebe, deren D?mpfung, aber auch die Dichte des Gewebes – an jedem Punkt im Gehirn korrekt abbilden. Das erm?glicht es schliesslich, das Gewebe zu bestimmen und zu unterscheiden, ob es sich beispielsweise um Gehirnmasse oder Tumorgewebe handelt. Denn von Laborexperimenten kennt man die Dichte, D?mpfung oder Schallwellengeschwindigkeit der unterschiedlichen Gewebearten.
Die Forscher sind überzeugt, dass sich mit dieser Methode gesundes Gewebe von krankem schonend und kostengünstig unterscheiden l?sst. Konkret k?nnte dieses Verfahren in einen Computer eingespeist werden, der in ein speziell hierfür entwickeltes Ultraschallger?t integriert wird. Der Computer berechnet die von Sensoren erfassten Ultraschallsignale und heraus kommt ein dreidimensionales Bild des untersuchten Gehirns. Doch bis das Verfahren in die klinische Praxis gelange, sei es noch ein weiter Weg, betonen die Forscher.
Eine besondere Herausforderung ist die, aufgrund von Augen-, Nasen und Kieferh?hlen etc., komplexe Geometrie des Sch?dels, die in der Simulation genau modelliert werden muss, ohne dass dabei die Rechenzeit explodiert. Um dieses Problem zu l?sen, arbeitet Patrick Marty an Methoden, die aus Hexaedern (kleine Elemente mit sechs ebenen Fl?chen) individuelle numerische Gitter für beliebige Sch?delformen erstellen. ?Mit diesen verformten kleinen Würfeln sind wir 100 bis 1000mal schneller, als wenn wir mit Tetraedern arbeiten würden?, sagt B?hm. ?Zudem profitiert das Projekt stark von neuen Entwicklungen bei den Graphikkarten, wie wir sie in ‘Piz Daint’ und künftig in ‘Alps’ haben. Sie sind für diese Methode ideal.?
Die Forscher arbeiten mit Medizinerinnen und Medizinern des Unispitals Zürich zusammen, um diese Techniken weiterzuentwickeln. Wenn es Patrick Marty in den n?chsten drei Jahren seiner Doktorarbeit gelingt, die Verfahren für die Gittererstellung und Bildgebung des Gehirns weiterzuentwickeln, k?nnte diese Methode auch für andere K?rperteile wie das Knie oder der Ellenbogen anwendbar sein. Dies w?re dann eine vielversprechende Grundlage für die Entwicklung eines entsprechenden Ultraschallger?tes.
Dieser Text von Simone Ulmer erschien in Englisch auf der Website des externe Seite CSCS.
Literaturhinweis
Marty P, Boehm C, Paverd C, Rominger M, & Fichtner A (2022). Full-waveform ultrasound modeling of soft tissue-bone interactions using conforming hexahedral meshes. Medical Imaging 2022: externe Seite Physics of Medical Imaging, 12031, 877–891.
Marty P, Boehm C, & Fichtner A (2021, December 13). externe Seite Full-Waveform Inversion of Geological Structures in the Human Brain. AGU Fall Meeting, New Orleans, LA.