Wer in Zürich arbeitet, soll hier wohnen können – doch wo genau?

Bis zur Jahrtausendwende wurde der Bau von zus?tzlichem Wohnraum ins Umland ausgelagert. Das funktionierte zwar gut, doch 2014 trat das revidierte Raumplanungsgesetz in Kraft, welches der Zersiedelung verst?rkt Einhalt gebieten sollte. In der Folge stieg die Nachfrage nach Wohnraum in den St?dten noch st?rker. Verdichtung schien die L?sung zu sein, und es wurde viel dar¨¹ber gesprochen, allerdings wurde und wird sie nicht hinreichend umgesetzt. Exemplarisch zeigt sich dies am Projekt Neugasse der SBB in der Stadt Z¨¹rich, ¨¹ber das die Stadtz¨¹rcher:innen am 25. September abstimmen werden. Auf einem drei Hektar grossen Areal an gut erschlossener Lage sind bloss 375 Wohnungen vorgesehen. Das heisst, es wird nicht hinreichend verdichtet, nicht so viel Wohnraum geschaffen, wie es m?glich w?re.

Statt ¨¹ber Verdichtung sprechen heute alle ¨¹ber das sogenannte Drittels-Ziel. Mit der Absicht, bezahlbaren Wohnraum sicherzustellen, setzte sich Z¨¹rich 2011 zum Ziel, dass auf die ganze Stadt bezogen ein Drittel der Mitwohnungen nicht-gewinnorientiert vermietet werden soll.³ Allerdings lenkt dieses Ziel vom Kernproblem ¨C zu wenig Wohnraum an zentraler Lage ¨C ab.

Gemeinn¨¹tzige Wohnungen

Blicken wir auf das Projekt Neugasse. Es sieht vor, das Areal der heutigen SBB-Reparaturwerkst?tten n?rdlich des Gleisfelds neu zu ¨¹berbauen. Vor etwas mehr als f¨¹nf Jahren hat es das Projekt zum ersten Mal in die Medien geschafft.⁴ Der Plan damals war, im Jahr 2022 mit dem Bau von 300 bis 400 Wohnungen zu beginnen. Ein Drittel davon, also um die 100 bis 133 Wohnungen, sollten gemeinn¨¹tzig sein. Ein Viertel der Nutzfl?che soll durch Gewerbe genutzt werden. Gegen diese Pl?ne formierte sich allerdings Widerstand, am lautesten von der Alternativen Linken.⁵ Die Kritiker bem?ngelten, ein Anteil gemeinn¨¹tziger Wohnungen von nur einem Drittel sei bei diesem Neubauprojekt zu wenig.

Die SBB f¨¹hrten daraufhin einen breit angelegten partizipativen Prozess durch und pr?sentierten Anfang 2022 die Ergebnisse: Nebst 375 Wohnungen ist Raum f¨¹r Gewerbe- und Gemeinschaftsnutzungen mit ca. 250 Arbeitspl?tzen sowie eine st?dtische Schule und ein Kindergarten vorgesehen. Je ein Drittel des geplanten Wohnraums soll gemeinn¨¹tzig, preisg¨¹nstig und im mittleren Marktsegment sein. Die Volksinitiative ?Eine Europaallee gen¨¹gt ¨C jetzt SBB-Areal Neugasse kaufen?, ¨¹ber die jetzt abgestimmt wird, fordert, dass der Wohnraum zu 100 Prozent gemeinn¨¹tzig ist und das Areal durch Kauf oder im Baurecht durch die Stadt ¨¹bernommen wird.⁶

Gesetzlichen Auftrag vollziehen

Angesichts der Tatsache, dass Z¨¹rich dringend neuen Wohnraum ben?tigt, sollten auf dem Areal, das k¨¹nftig in der Wohnzone liegen soll, meines Erachtens wesentlich mehr Wohnungen erstellt werden als derzeit geplant.

W¨¹rden durch eine Mehrausnutzung statt 375 beispielsweise 1500 Wohnungen gebaut, k?nnten rein rechnerisch 3000 Menschen in attraktiven st?dtischen Strukturen leben. Das w?re das Vierfache der jetzt geplanten Zahl und w¨¹rde einen wesentlichen Beitrag zum Vollzug des verfassungsm?ssigen Auftrags zur haush?lterischen Bodennutzung in der Stadt leisten. Und w?re die H?lfte der 1500 Wohnungen gemeinn¨¹tzig, also 750, w?re es das Doppelte der vom Verein geforderten 100 Prozent der 375 Wohnungen. Damit k?me die Stadt ihrem politischen Drittels-Ziel ein sch?nes St¨¹ck entgegen. Das Areal b?te Platz f¨¹r 1500 Wohnungen und die zus?tzliche Gewerbenutzung. Die st?dtische Schule k?nnte stattdessen auf dem bald frei werdenden Josef-Areal in unmittelbarer N?he, das in der Zone f¨¹r ?ffentliche Bauten liegt und der Stadt geh?rt, untergebracht werden.⁷

Zu utopisch? Die Vorstellung sei jedenfalls erlaubt, wie es h?tte herauskommen k?nnen, wenn beim Projekt Neugasse das Interesse hinsichtlich zahlbaren Wohnraums ganzheitlicher betrachtet und dem verfassungsm?ssigen sowie gesetzlichen Auftrag zur Verdichtung bei der Interessenabw?gung mehr Beachtung geschenkt worden w?re. Vielleicht s?he das Projekt Neugasse heute Wohnraum f¨¹r 3000 Personen vor? Die Diskussion ist nicht zu Ende!