Klimaschutz bringt wirtschaftlichen Gewinn
Massnahmen der Klimapolitik werden gemeinhin als volkswirtschaftliche Mehrkosten betrachtet. Anthony Patt erwartet das Gegenteil: In der Schweiz k?nnte die Umstellung auf ein erneuerbares Energiesystem einen wirtschaftlichen Gewinn bringen.
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Bis anhin sah es so aus, als würde der ?bergang zu sauberer Energie mit wirtschaftlichen Nettokosten verbunden sein. Dies vor allem deshalb, weil erneuerbare Energiesysteme mitsamt den erforderlichen Speichern in Bau und Betrieb nach wie vor leicht teurer sind als fossile Systeme.
Selbst der Weltklimarat (IPCC) prognostizierte unl?ngst, dass Klimaschutz das Wirtschaftswachstum um etwa 0,04 Prozent pro Jahr bremsen würde.1 Zum Vergleich: Jemand, der 100'000 Franken verdient, würde bei einem Wirtschaftswachstum von zwei Prozent im n?chsten Jahr 102'000 Franken verdienen, aber nur 101'960 Franken mit einer starken Klimapolitik. Das Bundesamt für Energie kommt für die Schweiz zu einem ?hnlichen Schluss: Eine kürzlich ver?ffentlichte Studie geht von einem geringen Rückgang des Wachstums aus.2
Das bedeutet: Um den Umbau des Energiesystems ?konomisch zu rechtfertigen, muss man bislang die Folgekosten des Klimawandels – oder den wirtschaftlichen Nutzen aus dessen Vermeidung – hinzuziehen. Es gibt jedoch Gründe zur Annahme, dass der erneuerbare Umbau bereits für sich selbst gewinnbringend ist, auch ohne Klimafolgen zu berücksichtigen.
Um die Kosten des Klimaschutzes zu prognostizieren, stützten sich der IPCC und viele andere auf integrierte Bewertungsmodelle (Integrated Assessment Models, IAMs). Diese Modelle sehen vor, dass Menschen stets in die günstigste Energie investieren, und dass es ansteigende Kohlenstoffsteuern braucht, um kohlenstoffarme Technologien zu f?rdern. IAMs rechnen daher mit geringen Investitionen in relativ teure Erneuerbare – früher waren dies Solar- und Windenergie, heute etwa synthetische Treibstoffe. Investiert wird erst, wenn die Kohlenstoffsteuern hoch sind. Doch hohe Steuern führen zu h?heren Verbraucherpreisen, was das Wirtschaftswachstum d?mpft.
Empirisch begründete Kostenprognosen
Die Realit?t sieht jedoch anders aus. Die Investitionen in Solar- und Windenergie waren weitaus h?her als von IAMs vorhergesagt, und die erreichten Kostensenkungen sind viel gr?sser. Zudem kamen weniger Kohlenstoffsteuern, sondern vermehrt Subventionen und Vorschriften zum Einsatz, welche die Energiepreise in der Regel weniger stark verzerren.3
Was w?ren die volkswirtschaftlichen Auswirkungen, wenn sich diese Trends fortsetzen würden?
Im Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich haben wir dies für den Umbau des Schweizer Energiesystems und die Umsetzung des Netto-Null-Ziels untersucht.4 Unter Berücksichtigung der erforderlichen Investitionen hierzulande und in den Nachbarl?ndern haben wir die Strommarktpreise und die Handelsstr?me simuliert und die Kosten eines klimaneutralen Energiesystems bis 2040 in Szenarien verglichen.
Szenario ?stabile Integration?
Zun?chst nahmen wir an, dass die Schweiz im europ?ischen Stromnetz integriert bleibt. Unsere Marktsimulation ergab, dass die Schweiz im Sommer weiterhin Strom exportieren und im Winter importieren würde, bei leicht ansteigenden Netto-Stromimporten. Die Strompreise würden sinken, aber die Gesamtausgaben für Strom würden um etwa 0,5 Milliarden Franken steigen, weil wir mehr Strom ben?tigen um bis 2040 einen Grossteil des Erd?ls und Erdgases (für Verkehr und Heizen) zu ersetzen.
Durch den sinkenden fossilen Verbrauch würden wir rund 2,5 Milliarden Franken einsparen, selbst wenn man die zus?tzlichen Kosten für synthetische Treibstoffe einberechnet. Unter dem Strich erg?ben sich bis 2040 j?hrliche Einsparungen von rund 2 Milliarden Franken oder rund 200 Franken pro Person im Vergleich zu heute.
Szenario ?begrenzter Stromhandel?
In einem zweiten Szenario gingen wir davon aus, dass es der Schweiz nicht gelingt, die für den Verbleib im europ?ischen Strommarkt notwendigen Vertr?ge abzuschliessen, was zu einem eingeschr?nkten Handel führt. Wir müssten dann mehr in die erneuerbare Stromproduktion investieren, vor allem für den Winter. Im Vergleich zum ersten Szenario w?ren die Stromkosten um etwa 40 Prozent h?her. Wegen den Einsparungen bei den fossilen Energietr?gern würden die Gesamtenergiekosten aber immer noch sinken.
Unsere Resultate4 sind noch nicht von einem Fachmagazin begutachtet worden. Sie stimmen aber mit den Ergebnissen einer Studie der Universit?t Oxford überein, die kürzlich publiziert wurde.5 Die Forschenden gingen wie wir von einer Fortsetzung der aktuellen Trends aus und kamen zu Schluss, dass die erwarteten Energiekosten im Netto-Null-Szenario bis 2040 um 20 Prozent sinken würden im Vergleich zu einem Szenario ohne Energieumbau.
?Selbst für Verfechter eines uneingeschr?nkten Wirtschaftswachstums sollte eine rasche Dekarbonisierung nun attraktiv sein.?Anthony Patt
Zwar haben weder mein Team noch die Oxford-Forschenden die Auswirkungen der Kosteneinsparungen auf die Wirtschaftsleistung berechnet – es ist aber naheliegend, dass das Wachstum aufgrund der niedrigeren Energiekosten schneller und nicht langsamer w?re.
Geringe Differenz bei ge?ndertem Vorzeichen
Dank realistischerer Modelle und besserer Daten deuten die beiden Studien darauf hin, dass Klimaschutz für die Wirtschaft und die Umwelt eher eine Win-Win-Situation als einen Zielkonflikt darstellt.
Zugegeben, die positiven Effekte auf die Wirtschaft sind gering. Ich sehe die Hauptmotivation für stringenten Klimaschutz nach wie vor in der Vermeidung katastrophaler Klimafolgen als bei unseren Bankkonten.
Aber: Diese Effekte zeigen sich nun als ?konomischer Nutzen – und nicht als Kosten. Selbst für Verfechter eines uneingeschr?nkten Wirtschaftswachstums sollte eine rasche Dekarbonisierung nun attraktiv sein.
1 Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, 2022). Sixth Assessment Report, externe Seite Working Group III, chapter 3.
2 Energieperspektiven 2050+: externe Seite Volkwirtschaftlichen Auswirkungen. Oktober 2022. See also externe Seite Medienmitteilung.
3 Lillierstam, J., A. Patt, and G. Bersalli (2021). The effect of carbon pricing on technological change for full energy decarbonization: a review of empirical ex-post evidence. Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change. DOI: externe Seite 10.1002/wcc.681
4 Patt et al. (2022). externe Seite A quick end to Swiss greenhouse gas emissions. ETH Energy Science Center and Climate Policy Lab, October 2022. See also: externe Seite Summery of the Systems analysis and externe Seite visualised results on the Nexus-e modeling platform.
5 Way et al. (2022). Empirically grounded technology cost forecasts and the energy transition. Joule 6(9), 2057 – 2082. DOI: externe Seite 10.1016/j.joule.2022.08.009